Reiten Holger Hetzel: „Im Reitsport muss sich einiges ändern“

Goch-Pfalzdorf · Der 60-jährige Nationenpreisreiter und Trainer aus Goch spricht im Interview über die Turnier-Konkurrenz im Ausland und Motivation für den Nachwuchs durch neue Prüfungen.

 Holger Hetzel ist ein Vorreiter im deutschen Turniersport.

Holger Hetzel ist ein Vorreiter im deutschen Turniersport.

Foto: Markus van Offern (mvo)

In Zeiten der Corona-Krise hat auch Holger Hetzel Home Office. Es gibt national und international keine Turniere, bei denen der 60-jährige Nationenpreisreiter starten könnte. Er muss sich auf die Arbeit mit seinen Pferden und Reitschülern auf seinem Hof in Goch-Pfalzdorf beschränken. Die MERA-Turnierserie auf seiner Anlage konnte noch über die Bühne gehen, bevor der Sportbetrieb gestoppt wurde. Die Veranstaltungen in Pfalzdorf waren ein Pilotprojekt beim Bemühen, dass der Turniersport in Deutschland konkurrenzfähig bleibt. Die Rheinische Post sprach mit Holger Hetzel, der seit 1998 Landestrainer der Junioren und Jungen Reiter im Springreiten ist, darüber und welche Schwierigkeiten er unter anderem in der Zusammenarbeit mit der FN, der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, sieht.

Sie wollen ein Vorreiter dabei sein, den deutschen Turniersport wieder attraktiver zu machen. Was muss sich ändern?

Holger Hetzel Ich glaube nicht, dass man alles auf den Kopf stellen muss. Ich will kein Rebell sein. Aber ich glaube, dass sich im Reitsport einiges ändern muss. Ich will mit meinen Pilot-Turnieren, bei denen ich vom Pferdesportverband Rheinland optimal unterstützt werde, dazu beitragen, dass wir eine Diskussion in Gang bringen. Ich hoffe, dass so Bewegung in die Sache kommt. Denn das ist nötig für uns alle, die im Reitsport tätig sind.

Warum?

Hetzel Es starten immer mehr deutsche Reiter bei Turnieren im grenznahen Ausland – ob die Rheinländer in Belgien oder den Niederlanden, die Saarländer in Frankreich oder die Bayern in Österreich. Sie machen das, weil bei den Veranstaltungen dort vieles einfacher für sie zu handhaben und von den Kosten her auch günstiger ist.

Zum Beispiel?

Hetzel Wenn ich an einem Turnier in Deutschland teilnehmen möchte, muss ich in der Regel Wochen vorher meine Nennung abgeben und dafür zahlen. Ich muss zu diesem Zeitpunkt schon entscheiden, mit welchem Pferd ich in welcher Prüfung in den Parcours gehen möchte. Doch bis zum Turnier kann viel passieren. Das Pferd wird krank oder ist in einem anderen Trainingszustand als zum Zeitpunkt der Nennung, weshalb es besser wäre, wenn es in einer anderen Prüfung starten würde. Ich kann dann zwar noch umnennen, aber dafür muss ich wieder zahlen.

Und wie läuft es etwa in den Niederlanden?

Hetzel Dort ist alles wesentlich unkomplizierter und auch kostengünstiger. Wenn ich bei einem Turnier in den Niederlanden reiten möchte, rufe ich drei Tage vorher beim Veranstalter an. Und wenn noch Plätze frei sind, kann ich kommen. Und wenn es bei einem Umlauf im Parcours nicht so geklappt hat, wie ich mir das vorstelle, kann ich später außer Konkurrenz noch einmal eine Runde reiten und zahle dafür einen Obolus. Diese Möglichkeit ist wichtig für Reiter und Pferd, weil sie durch die Extrarunde lernen und aus ihr auch Motivation ziehen können, wenn es beim zweiten Versuch gut geklappt hat. Aber das ist nur einer der Vorteile bei einem Turnier in den Niederlanden oder Belgien.

Welche gibt es noch?

Hetzel Dort werden viele Turniere von professionellen Veranstaltern organisiert, die Anlagen mit perfekten Bedingungen bieten. Das heißt gute Parkplätze für die schweren Pferdetransporter, gute Abreiteplätze, gutes Hindernismaterial und einen guten Boden im Parcours. So etwas zieht Reiter an.

Das können aber viele ländliche Reitvereine nicht bieten, die wiederum wichtig für den deutschen Reitsport sind, weil sie das Gros der Turniere organisieren.

Hetzel Natürlich kann ich nicht von Reitvereinen, die von ehrenamtlichen Kräften geführt werden und einmal im Jahr draußen ein Turnier ausrichten, verlangen, dass sie die Top-Bedingungen wie professionelle Veranstalter bieten. Aber wenn man ein Springturnier auf einem Rasenplatz durchführt, dann reicht es eben auch nicht, die Wiese 14 Tage vor der Veranstaltung einmal zu mähen – und dann ist es gut. Da muss mehr geschehen.

Das aber wiederum kostet Geld, das gerade die kleineren Vereine nicht haben.

Hetzel Deshalb müssen wir Wege finden, wie wir es schaffen, dass diese Vereine bei Ihren Veranstaltungen mehr Geld verdienen können, das sie dann wiederum in ihre Infrastruktur investieren können.

Welche Möglichkeiten gibt es da?

Hetzel Zum Beispiel könnte die Deutsche Reiterliche Vereinigung die Abgaben reduzieren, die sie von den Vereinen verlangt, wenn sie ein Turnier organisieren. Und ein späterer Nennungsschluss könnte auch dazu beitragen, dass mehr Reitsportler für ein Turnier melden, was die Einnahmen wiederum erhöht. Und wir müssen andere Prüfung anbieten, die Ausschreibungen für die Turniere ändern.

Und was sagt die FN, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, dazu?

Hetzel Bei der FN habe ich den Eindruck, dass sie glaubt, was einmal gut war, das bleibt gut. Jedes Unternehmen muss fast täglich analysieren, welche Veränderungen es im Markt gibt und wie es darauf reagieren muss. Das muss auch ein Verband eigentlich machen und nicht nur alle vier Jahre überlegen, was verbessert werden kann. Doch bei der FN wird einiges blockiert, was ich gerne umsetzen würde  – außer, dass mir gestattet wurde, die Pilot-Turniere mit dem Pferdesportverband Rheinland zu veranstalten, der Neuerungen gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

Sie haben auch angesprochen, dass sich bei den Prüfungen einiges ändern muss.

Hetzel Wir müssen neue Wettbewerbe schaffen, andere Anreize in den Prüfungen setzen, um Reiter zu motivieren, wieder mehr bei Turnieren in Deutschland zu starten. Ein Beispiel sind die Platzierungen. In Deutschland dürfen nur ein Viertel der teilnehmenden Reiter platziert werden. Das heißt bei einer Prüfung mit 20 Startern können nur fünf in die Platzierung kommen und erhalten Geldpreise und Schleifen. Wir müssen großzügiger platzieren. Warum sollen nicht immer die besten zwölf Reiter platziert werden, egal, wie viele Starter es in einem Wettbewerb gibt. Das ist ein Ansporn – für den Sportler, der sich über eine Schleife freut, und die Züchter und Besitzer, deren Pferde platziert sind.

Aber mehr Platzierungen heißt mehr Geldpreise und damit auch mehr Kosten für die Veranstalter.

Hetzel Das muss nicht unbedingt der Fall sein. Man könnte ja nur an die besten sechs Reiter Geldpreise verteilen und die Starter auf den Rängen sieben bis zwölf erhalten lediglich eine Schleife. Wichtig ist doch, dass wir mehr junge Reiter motivieren. Und dafür benötigen wir auch andere Prüfungen, wie etwa den Wettbewerb Clear to win.

Wie funktioniert der?

Hetzel Es gibt nicht nur einen Sieger, sondern jeder Reiter ist ein Gewinner, der in einer Prüfung den Umlauf ohne Fehler schafft. Diese Wettbewerbe gibt es im Ausland. Doch in Deutschland regen sich die Leute darüber auf, wie es denn sein kann, dass eine Prüfung zehn oder mehr Sieger haben kann. Das ist der falsche Ansatz und raubt gerade Amateurreitern oft die Motivation.

Es muss also mehr Gewinner geben.

Hetzel Natürlich. Ein weiteres Beispiel: In einer Springpferdeprüfung können Profis wie Ludger Beerbaum oder Holger Hetzel, aber auch Anfänger mitmachen. Entscheidend für den Sieg ist unter anderem der Springstil und die Einwirkung des Reiters. Und da ist doch klar, dass ein Amateur, der es seit kurzer Zeit reitet, da nicht mit einem Profi mithalten kann. Das heißt, die ersten Plätze gehen an die Profis – und dann kommen die Amateure. Doch warum wird nicht jeder zum Sieger erklärt, der den Parcours ohne Fehler schafft und von den Richtern eine bestimmte Mindestnote für seinen Reitstil erhält? Einige dieser Änderungen haben wir bei den Pilot-Turnieren auf meiner Anlage angewandt?

Und wie war die Resonanz?

Hetzel Sie war durchweg positiv. Ich glaube, dass wir hier auf einem guten Weg sind.

Und wie muss es jetzt weitergehen?

Hetzel Ich werde jetzt schriftlich für den Verband ausarbeiten, was gut war und was noch verbessert werden kann. Und dann muss der nächste Schritt kommen, damit der Turniersport in Deutschland konkurrenzfähig bleibt.

Joachim Schwenk führte das Gespräch.

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