Kreis Kleve "So lebe ich mit Aids"

Kreis Kleve · Zum heutigen Welt-Aids-Tag sprach die RP mit einem Betroffenen. Rainer Müller* hat sich vor 27 Jahren bei einer Bluttransfusion mit dem tödlichen Virus angesteckt. Den Kampf aufgeben? Mitnichten.

 Allgegenwärtig: Sprayer haben an diese beiden Berliner Türen den Schriftzug "HIV" gesprüht.

Allgegenwärtig: Sprayer haben an diese beiden Berliner Türen den Schriftzug "HIV" gesprüht.

Foto: dapd

Das erste Wort, das Rainer Müller* in den Sinn kommt, ist: "Scheiße". Er sitzt in einer Praxis, ihm gegenüber seine Hausärztin, und da sein Blutbild nicht in Ordnung war, hat sie einen HIV-Test veranlasst. Er fällt positiv aus. "Ich habe gar nicht reagiert, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen soll", sagt er. "Ich wusste ja gar nicht, was HIV und Aids überhaupt sind." Die Ärztin sagt, dass er jetzt nur noch ein bis drei Jahre zu leben habe. Das war 1984.

Anfang der 80er Jahre wird der Virus erstmals von einem französischen Arzt beschrieben. Die älteste bekannte Infektion geht auf das Jahr 1959 zurück. Weltweit sind heute etwa 33,4 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert, in Deutschland sind es etwa 70 000. Die Aids-Hilfe Kleve betreut 54 Menschen, die HIV positiv sind.

Rainer Müller hat sich bei einer Bluttransfusion im Krankenhaus. angesteckt. Die Nachricht, dass er nicht mehr lange zu leben hat, ignoriert er so gut es geht. "Ich habe meiner Familie, meiner Freundin und ein, zwei Freunden Bescheid gesagt", sagt der heute 51-Jährige. Ende der 80er Jahre geht er zu einer der vielen neu gegründeten Aids-Hilfen. "Aber mir ging es ja gut", sagt er. "Ich gehörte da nicht hin." Da die Krankheit Aids nicht ausbricht, geht seine Methode lange gut. Erst ein Jahr. Dann drei Jahre. Müller lebt ganz normal weiter. 16 Jahre lang.

Im Frühsommer des Jahres 2000 ändert sich sein Leben schlagartig. "Mittags war noch alles okay, nachts bin ich zusammengebrochen", erinnert er sich. "Ich konnte nicht mehr denken, hatte Halluzinationen und dachte nicht, dass ich die Nacht überlebe." Ein harmloser Schnupfen hatte sich über eine Bronchitis zu einer Lungenentzündung entwickelt und das durch den Virus geschwächte Immunsystem angegriffen.

Die Diagnose: Aids. Sieben, vielleicht sogar acht Wochen liegt Müller im Krankenhaus.

"Ab da musste ich mich mit Aids auseinandersetzen", sagt er. Alle vier Stunden nimmt er bis zu sechs Tabletten, auch nachts. Heute sind es nur noch morgens drei und abends zwei. Die Medizin findet immer bessere Wege, die Krankheit einzudämmen. Die Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Depressionen.

Seinen Beruf kann Müller nicht mehr ausüben. "Seit fast 30 Jahren kämpft mein Körper gegen den Virus", sagt er. "Ich bin nicht mehr so leistungsfähig."

Dennoch gehe es ihm nicht schlecht — zumindest gemessen an anderen Infizierten. "Wenn ich mich aber mit einem Gesunden vergleiche, dann geht's mir beschissen", gibt er zu.

Und trotz der Befürchtung, dass sich der nächste Schnupfen wieder blitzschnell zu einer Lungenentzündung ausweitet und er an dieser stirbt, hat er sich eines geschworen. "Ich werde mich niemals aufgeben."

(*Name geändert)

(RP/jul)
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