Fechten im Selbstversuch Degen oder Florett?

Kleve · Wer erfolgreich fechten möchte, muss schnell sein und gleichzeitig Köpfchen haben. Unsere Reporterin hat mit den Fortgeschrittenen des Vfl Merkur trainiert und den Sport ausprobiert. Ein Selbsttest mit Hitze, Waffen und Stichen.

 Der Arm ohne Waffe sollte aus der Trefffläche genommen werden. Nicole Verfondern macht vor, wie es geht.

Der Arm ohne Waffe sollte aus der Trefffläche genommen werden. Nicole Verfondern macht vor, wie es geht.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Sie lauert in Angriffsposition, bewegt sich nicht. Die Augen beobachten sie, lassen nicht von ihr ab. Das Netz der Maske liegt derweil wie ein Fliegengitter auf dem Gesicht. Ihr ist nicht zu trauen – der Degenspitze meiner Gegnerin. Was dann passiert, ist nach zwei Sekunden schon vorbei. Nicole Verfondern hechtet mit dem rechten Bein nach vorne und zielt mit ihrem Degen in Richtung Brustkorb. Dann zwiebelt es ordentlich. Die Degenspitze bohrt sich durch die Jacke zwischen Brust und Achselhöhle. Die Anzeige leuchtet rot. Gültiger Treffer.

Wer zum ersten Mal fechtet, besitzt die Reaktionsgeschwindigkeit einer Schildkröte und ist ein leichtes Ziel. „Blaue Flecken können vorkommen“, sagt Verfondern. Die Kleverin fechtet seit drei Jahren beim VfL Merkur. Ihre beiden Kinder, die vor vier Jahren mit der Sportart begonnen haben, brachten die 44-Jährige auf den Geschmack. Im Verein sind aktuell 45 aktive Fechter und Fechterinnen, die in der Spyckhalle trainieren. Auch für die Hochschule bietet der Verein einen Kurs. „Die 25 Euro Gebühr pro Semester sind vielen Studenten allerdings zu hoch“, sagt Horst Terfehr, Vorsitzender beim VfL. Dabei stellt der Verein die komplette Ausrüstung.

Terfehr nimmt die Fecht-Jacke vom Bügel und öffnet den Reißverschluss. „48, das ist doch auch Ihre normale Kleidergröße, oder?“ Meine hochgezogenen Augenbrauen und flatternden Nasenflügel verraten ihm, dass er weit daneben liegt. „Die fallen sehr klein aus“, fügt der 79-Jährige rasch hinzu und hilft beim Anziehen der Jacke. Darunter sitzt bereits eine Unterzieh-Weste und ein Brustschutz aus Kunststoff. So oder so ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man eine Zwangsjacke trägt. Beim Florett-Fechten wird über die Jacke sogar noch eine Schicht gezogen: Eine E-Weste umzeichnet den gültigen Trefferbereich, der sich bei dieser Fechtart auf den Rumpf beschränkt. „Zusammen haben alle Kleidungsschichten eine Reißfestigkeit von bis zu 1600 Newton“, sagt Nicole Verfondern und zupft an ihrer Jacke. „Das fängt den Stoß und den Druck der Waffe größtenteils auf.“

 Fechten geht in die Beine. Bei der Grundhaltung sind die Knie permanent gebeugt. Eine Runde dauert drei Minuten.

Fechten geht in die Beine. Bei der Grundhaltung sind die Knie permanent gebeugt. Eine Runde dauert drei Minuten.

Foto: Markus van Offern (mvo)

In einer Kiste, die aus einer anderen Epoche zu stammen scheint, ruhen die Schätze des VfL Merkur. Es ist die Waffentruhe. Horst Terfehr zieht zuerst den „Brummer“ unter den drei Fechtwaffen: den Degen. Aus dem französischen übersetzt heißt „degue“ langer Dolch, eine Stichwaffe mit einer langen, schmalen, dreikantigen Klinge. Der Degen ist wie das Florett eine reine Stichwaffe. Jedoch mit 770 Gramm Höchstgewicht bedeutend schwerer als das Florett mit 500 Gramm. Der Säbel, eine Hieb-und Stichwaffe, ist das Leichtgewicht und wiegt zwischen 400 und 500 Gramm. Die Knie sind leicht gebeugt, der rechte Fuß zeigt auf zwölf Uhr, der linke direkt dahinter auf neun. „Nur so bewegen wir uns vor- und rückwärts“, sagt Nicole Verfondern. Die Finger, eingehüllt in einen Handschuh, umgreifen den Griff des Degens. Der linke Arm streckt sich vom Körper weg, um nicht getroffen werden zu können. Denn beim Degen-Fechten ist der ganze Körper Trefferfläche. Offensiv sein – und auf die Gegnerin zustürmen oder warten bis sie mich angreift? Ich entscheide mich für zweiteres. Unter der Maske kullern Schweißtropfen die Schläfe hinab, im Inneren der Jacke ließe sich ein Mittagessen aufwärmen. Trotz Hitze und Ungewissheit fühle ich mich stark – immerhin habe ich eine Stichwaffe in der Hand. Ich warte. Und beobachte. Mit kleinen Schritten gleitet Verfondern nach vorne. Dann ein großer Ausfallschritt: Wie ein Insekt mit ausgefahrenem Stachel stürmt die Degenspitze direkt auf mein Gesicht zu. Unsere Degen kreuzen sich. Aber ich reagiere zu spät. Treffer, direkt auf die Zwölf.

Fechten sei wie Schach, nur im Tempo von Formel 1, sagen die Athleten über ihren Sport. Es gehe um Schnelligkeit, aber hauptsächlich um Köpfchen. Dabei sei Fechten aber in keinem Fall ein Ego-Sport. „Ganz im Gegenteil, wir sind trotzdem eine Mannschaft, wenn wir auf Wettkämpfen antreten“, sagt Verfondern. „Diese Sportart fördert das Selbstbewusstsein, besonders im jungen Alter.“ Ihre eigene Tochter sei zu Beginn sehr schüchtern gewesen, habe sich immer klein gemacht. „Nach mehreren Wochen Training habe ich sie nicht mehr wiedererkannt“, berichtet die zweifache Mutter.

Mittlerweile fechten im VfL zahlreiche junge Talente. Sogar Sophie Brunets, eine Nachwuchsfechterin der Spitzenklasse, fand ihren Weg einst in die Schwanenstadt. Nun lebt die 17-Jährige im Sportinternat des Olympia-Stützpunktes Tauberbischofsheim und gehört derzeit dem Perspektivkader des Deutschen Fechterbundes an. Jorge Thönnes und Jan Mallmann, beide 14, fechten aktiv beim VfL und nebenbei auf Deutschen Meisterschaften.

 Die Waffe wird per Kabel mit dem Prüfgerät für Treffer verbunden. Horst Terfehr hilft dabei.

Die Waffe wird per Kabel mit dem Prüfgerät für Treffer verbunden. Horst Terfehr hilft dabei.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Die Muskeln in den Oberschenkeln beginnen zu zwicken, der Degen scheint innerhalb von einer Stunde deutlich an Gewicht zugenommen zu haben. Nur drei Minuten dauert ein Durchgang. „Mehr Spannung im Arm, aber alles nicht so verkrampft“, korrigiert Horst Terfehr die Körperhaltung nach Runde vier. „Der Unterarm muss im 90 Grad Winkel zum Oberarm liegen.“ Der Fechtarm schafft noch nicht einmal mehr die 45 Grad. Ich gebe auf und reiche Nicole Verfondern die Hand. Denn beim Fechten bedankt man sich – auch für’s Verlieren.

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