Kreis Kleve Patienten warten Monate auf Arzttermin

Kreis Kleve · Im Kreis Kleve gibt es laut Bedarfsplanung genug Mediziner. Fall-Beispiele zeigen eine andere Realität. Der Sozialverband VdK fordert, die Patienten-Interessen mehr zu beachten. Landrat Spreen spricht von einer "dramatischen Situation".

 Untersuchung bei einer Augenärztin – bis er auf dem Behandlungsstuhl Platz nehmen darf, muss mancher Patient viel Geduld aufbringen.

Untersuchung bei einer Augenärztin – bis er auf dem Behandlungsstuhl Platz nehmen darf, muss mancher Patient viel Geduld aufbringen.

Foto: Matzerath

Der Sozialverband VdK, Kreisverband am Niederrhein, hatte schon vor drei Jahren Alarm geschlagen: Ärzte in ländlichen Regionen würden in wenigen Jahren Mangelware sein, warnte der VdK-Vorsitzende Horst Vöge. Besonders ältere, weniger mobile Patienten hätten dann das Nachsehen, so die düstere Prognose. Lange Wartezeiten für einen Termin würden unvermeidlich. Erfahrungen, die zwei aus einer Familie stammende Klever innerhalb weniger Tage gemacht haben, zeigen: Die Vorhersage ist bereits Realität.

Fall 1: Ein Patient, dessen Auge stark tränt und dessen Lider dadurch eitrig verkleben, bemüht sich telefonisch um einen Arzttermin. Seine Hausarzt-Praxis verweist an einen Augenarzt. Beim ersten Facharzt nimmt bei mehreren Versuchen keiner den Anruf entgegen. Auch kein Anrufbeantworter schaltet sich ein. In der zweiten Augenarztpraxis wird der Anruf angenommen. Die Auskunft der Praxismitarbeiterin ist eindeutig: "Wir dürfen keine neuen Patienten aufnehmen. Sie müssen sich an den Notdienst wenden." Unter der Notdienstnummer meldet sich das Band der entsprechenden Praxis: "Alle Mitarbeiter sind im Gespräch — bitte haben Sie Geduld." Nach geduldigem Warten gibt es einen Termin — "aber bringen sie viel Wartezeit mit". Zudem ist die Praxis mehr als 20 Kilometer entfernt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mühsam und mit hohem Zeitaufwand zu erreichen.

Fall 2: Ein Klever Optiker warnt einen Kunden, die erhebliche Verschlechterung seiner Sehstärke sei möglicherweise auf eine beginnende Netzhautablösung zurückzuführen. Er solle dies möglichst rasch von einem Augenarzt untersuchen lassen. Die Terminanfrage, die Mitte Oktober gestellt wird, beantwortet die Mitarbeiterin einer Klever Augenarzt-Praxis so: "Rufen Sie uns am 19. Januar nächsten Jahres um 9 Uhr an — aber pünktlich um neun Uhr. Dann bekommen Sie vielleicht einen Termin im April oder Mai."

Die Fälle zeigen: Einen Termin beim Augenarzt zu bekommen, ist im Kreis Kleve schwierig. Auch wer die Hilfe anderer Fachmediziner benötigt, braucht Geduld. Extrem ist die Lage bei den Kardiologen. Drei von ihnen müssen im Kreis Kleve laut der Stabsstelle Medizinische Versorgung, AOK Regionaldirektion für den Kreis Kleve, 308 085 Einwohner versorgen (Stand 2012).

Bei den Hausärzten ist die Versorgungslage folgende: Laut der Ärzteliste der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein vom Februar 2013 müssen in Kranenburg zwei Allgemeinmediziner 9972 Menschen betreuen. In Goch kommen auf 17 Hausärzte 34125 Einwohner, in Uedem auf vier Mediziner 8125 Einwohner, in Kerken gibt es für 12 675 Menschen sechs Hausärzte und in Wachtendonk fünf Mediziner für 7942 Einwohner.

"Als gut bis sehr gut" bezeichnet Heiko Schmitz von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) die Versorgung mit Fachärzten in den "Zentren" des Kreises Kleve. "Einfacher" werde die Situation allerdings nicht werden.

Der Kreis Klever Landrat Wolfgang Spreen urteilt mit Blick auf den aktuellen Versorgungsreport der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein eindeutiger. Der Bericht zeige, dass hausärztliche und insbesondere fachärztliche Versorgung im Kreis Kleve nicht gesichert sei und sich die Lage bis 2030 weiter verschlechtern wird. "Die Prognose zeigt, dass 2030 im Kreis Kleve neben 95 Hausärzten acht Augenärzte, elf Internisten, neun Nervenärzte, neun Orthopäden und vier Urologen fehlen werden. Eine aus Sicht des Kreises Kleve dramatische Situation", sagt Landrat Wolfgang Spreen. Allein die KVNO verfüge über personelle und finanzielle Ressourcen, das Thema anzupacken.

Für die KVNO aber gilt der Kreis Kleve gemäß der aktuellen Bedarfsplanung des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen als "versorgt" — lediglich ein halber zusätzlicher Sitz für einen Augenarzt sei unbesetzt. "Wir haben in Nordrhein kein generelles Problem von überlangen Wartezeiten bei Fachärzten", erklärt Peter Potthoff, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. In Fällen, die nicht akut sind, müssten längere Wartezeiten aufgrund der Kapazitätsgrenzen akzeptiert werden — diese seien kein Versorgungsproblem. Da die Bedarfsplanung im Kreis "erfüllt" ist, ist dort laut KVNO-Sprecher Heiko Schmitz derzeit keine Niederlassung zusätzlicher Fachärzte zulässig.

Die Bedarfsplanung als Kriterium für die Zahl der "zulässigen" Praxen wird jedoch — gerade in Bezug auf den ländlichen Raum — kritisiert. Dabei gehe es lediglich um das Verhältnis zwischen Ärzte- und Einwohnerzahl, bemängelt Carsten Ohm, Sozialreferent beim Sozialverband VdK. In keiner Weise würde die Infrastruktur beachtet — die Fragen, wie groß der Einzugsbereich einer Praxis oder wie sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sei. Carsten Ohm meint: "Die Kriterien für die Bedarfsplanung wurden bislang nicht verändert, weil wirtschaftliche Interessen der Ärzteschaft eine größere Rolle spielen als Interessen der Patienten."

(RP)
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