Kranenburg "Nur Gott ist mein Richter"

Kranenburg · Der ehemalige Kampfsportler Ralf Seeger (51) hat seine Biografie geschrieben. Seit November ist sie auf dem Markt. Auf 316 Seiten berichtet er davon, wie er regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt geriet und dennoch die Kurve kriegte.

 Ralf Seeger in der Kevelaerer Basilika: Für ihn ist sie eines der schönsten Gotteshäuser der Region. Hier betet der ehemalige Kampfsportler regelmäßig.

Ralf Seeger in der Kevelaerer Basilika: Für ihn ist sie eines der schönsten Gotteshäuser der Region. Hier betet der ehemalige Kampfsportler regelmäßig.

Foto: Evers

ist ein Mann, der sich stets durchs Leben schlagen musste: Doch jetzt wirkt Ralf Seeger entspannt. Der 112 Kilo-Mann trinkt Kaffee mit zu viel Milch. Er trägt kurze Hose und T-Shirt. So kann man gut sehen: Der 51-Jährige ist gezeichnet für die Ewigkeit. Sein Körper ist mit Tattoos überzogen. Es ist Kunst auf der Haut. Seeger schaut auf seine Arme und Beine und stellt fest: "Ich bin dicht." Auch bei 1,92 Meter Größe, die Haut gibt nichts mehr her.

Am Kehlkopf hat er sich ein Bildnis von Jesus stechen lassen. "Ich bin Christ und bete regelmäßig. Gern in der Kevelaerer Basilika. Mein Glaube ist sehr intensiv. Ich lebe danach. Denn wenn die Musik einmal aufgehörthat zu spielen, dann muss man Farbe bekennen. Dann wird gefragt 'Was hast du aus deinem Leben gemacht'?", sagt der 51-Jährige.

Seeger ist bekannt. Er hat sich einen Namen im Kampfsport gemacht. Aber nicht nur dort. Er war auch ein Mann, dessen Respekt vor Recht und Gesetz jahrelang - vorsichtig formuliert - eher schwach ausgeprägt war. "Ich bin da in etwas hineingeraten. Irgendwann war das ein Automatismus. Mit Gesetzen habe ich mich in einem Lebensabschnitt nie beschäftigt", sagt er.

Der 51-Jährige ist ruhiger geworden. Die Zeiten, in denen er Vorschriften als freundliche Empfehlung interpretierte, sind vorbei. Seeger hat in seinem Leben schon einiges gesehen und erlebt: ob in einem Heim für Schwererziehbare, der Fremdenlegion, bei den Hells Angels, als Personenschützer oder während seiner andauernden Tätigkeit im Bereich des "Forderungsmanagement" - wie er es nennt. Er sieht seine Tätigkeit nicht als einen Inkassobetrieb an: "Mein Job ist es, daran zu arbeiten, dass Schuldner und Gläubiger wieder miteinander kommunizieren. Ich leiste hier Überzeugungsarbeit."

Es gibt Menschen, deren Lebenslauf auf ein Post-it passt. Seeger benötigte dafür 316 Seiten. Mitte Oktober ist seine Biografie erschienen. Titel des Werks: "Nur Gott ist mein Richter". "Irgendwann ist mir die Idee gekommen, mein Leben aufzuschreiben. Vor zehn Jahren habe ich damit angefangen. Immer, wenn ich Muße dazu hatte, habe ich daran gearbeitet", erzählt er. Tippen kann er gut, in der Jugendstrafanstalt belegte er einen Kursus "Richtig Schreibmaschine schreiben".

"Meine Kindheit und die Jugendzeit waren ganz bitter", sagt Seeger. In dem Buch erzählt er seine Geschichte wie er in Gewalt und Kriminalität abdriftet und seinem Kampf zurück in die Gesellschaft.

Die Eltern ließen ihn kurz nach seiner Geburt beim Opa. Mit vier Jahren kam Seeger ins Heim. Die Zeit dort beschreibt er mit: Keine Pädagogen, wenig Essen und reichlich Prügel. "Gewalt war mein großes Problem. Ich bin keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Körperlich war ich immer gut drauf", sagt der zweifache Weltmeister im Free-Fight.

Der in Kranenburg lebende Seeger steht zu seinen Taten: "Ich will da nichts beschönigen. Fast alle Strafen, die ich bekommen habe, waren in Ordnung." Nach einigen Delikten wie Diebstahl, Fahren ohne Fahrerlaubnis oder Körperverletzung wurde er zu vier Jahre Haft verurteilt: Jugendstrafanstalt Siegburg. "Das war wie in Alcatraz", sagt Seeger, der dort seine Fachoberschulreife machte und in der Schreinerei arbeitete. Nach drei Jahren war er wieder draußen. Er habe danach viel an der Türe gearbeitet, so nennt der 51-Jährige den Job als Türsteher.

Wo Ralf Seeger hinkam, hinterließ er einen bleibenden Eindruck. So arbeitete er auch als Kämpfer in einer Boxbude auf der Kirmes. Auf der "Schlagerparty" wurde Seeger unter anderem vorgestellt mit: "...und in der linken Ecke, der Gerüstbauer aus Bottrop..." - und dann ging's rund im Ring. Auch die Zeit bei den Hells Angels war ein Abschnitt in seinem Leben, der Spuren hinterließ: "Da musste man aufpassen. Wenn man da im falschen Gebiet unterwegs war, konnte es sein, dass man liegen blieb."

Doch sind die Zeiten, in denen er vor Diskotheken stand und aussortierte, vorbei. "Nach einer langen U-Haft war es irgendwann in den 90er Jahren, als ich merkte, das kann es nicht sein", erinnert sich der Kampfsportler. Es war ein langer Weg, doch sei er dort angekommen, wo er hin wollte. Seeger kümmert sich jetzt um Kinder in Ungarn. Er fährt regelmäßig in ein Heim, in dem 300 Kinder mit Down-Syndrom wohnen. "Die sind von der Welt vergessen worden", weiß der Kranenburger, der auch mit privatem Geld das Projekt unterstützt. Zudem engagiert er sich für Tiere. Seeger hat zwei Tierheime in Rumänien aufgebaut. Für die Einrichtungen hatte er 60 Heizkörper gesammelt, die er ins das Land am Schwarzen Meer gebracht hatte.

Ralf Seeger, der mit seiner Freundin in Kranenburg wohnt, ist jetzt mit seinem Leben zufrieden. "Ich brauche nicht viel", sagt er. Ein Hund, eine Katze und ein paar Jobs. Sicherheitsfirma, Forderungsmanagement und als Schauspieler wird er auch gebucht.

"Mittlerweile habe ich größten Respekt vor den Leuten, über die ich früher gelacht habe. Ein Vater etwa, der um fünf Uhr aufsteht, arbeitet und nebenbei noch ein paar Jobs hat, weil das Geld nicht reicht." Ralf Seeger gefällt sein neues Leben. Er arbeitet gern im Garten und geht mit seinem Hund spazieren. Vielleicht schreibt der 51-Jährige noch ein zweites Buch. Titel "Seeger - ein Spießer".

(RP)
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