Niederländer kaufen in Deutschland ein „Die Preisunterschiede sind derzeit gewaltig“

Niederlande · Lebensmittelläden jenseits der Grenze haben Sorge, dass immer mehr Kunden nach Deutschland abwandern. Das hat nicht nur mit deutlich niedrigeren Preisen zu tun. Unternehmer kritisieren die bevormundende Politik aus Den Haag.

Hagelslag für das Frühstücksbrot: Das ist Tradition in den Niederlanden und so füllen die Kartons die Regale niederländischer Supermärkte. Doch immer mehr Niederländer fahren zum Einkaufen über die Grenze.

Hagelslag für das Frühstücksbrot: Das ist Tradition in den Niederlanden und so füllen die Kartons die Regale niederländischer Supermärkte. Doch immer mehr Niederländer fahren zum Einkaufen über die Grenze.

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Ein Liter Milch für 1,50 Euro, 250 Gramm Butter für drei Euro und 500 Gramm Rinderhackfleisch für fünf Euro - die Lebensmittelpreise in den Niederlanden sind hoch. Und das nicht erst seit der Inflation der vergangenen Monate. Nahrung ist im Nachbarland seit jeher teurer als bei uns. Vor allem für Supermärkte in der deutsch-niederländischen Grenzregion ist das ein Problem. Und immer mehr Unternehmer fürchten derzeit das Aus für ihr Geschäft.

Willie van den Berg führt einen Coop-Supermarkt in Babberich bei Emmerich. „Die Herausforderungen sind riesig. Die Preisunterschiede sind derzeit gewaltig“, sagt van den Berg. Viele Niederländer würden über die Grenze fahren, um den täglichen Bedarf zu decken. Und deutsche Supermärkte stellen sich gezielt auf die Nachfrage aus dem Königreich ein: In Emmerich sind gleich zwei neue Edeka-Märkte geplant. Es ist ein offenes Geheimnis, dass man dort mit vielen gelben Kennzeichen auf dem Parkplatz rechnet. Und auch in Kranenburg, Kleve oder Goch gibt es Märkte, die ohne die Kundschaft aus den Niederlanden nicht auskommen.

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„Gerade für Supermärkte in kleinen Dörfern in den Niederlanden wird die Situation immer schwieriger. Wenn es diese Geschäfte im Ort nicht mehr gibt, bricht aber eine wichtige Infrastruktur weg“, sagt van den Berg. Und im Juli 2024 tritt ein Gesetz in Kraft, das vielen Supermärkten den Garaus machen könnte. Dann steigen nicht nur die Steuern auf Tabak deutlich. Auch wird es Lebensmittelhändlern verboten, Zigaretten zu verkaufen. „Den Tabakumsatz können wir kaum kompensieren“, sagt van den Berg. Und die Maßnahme werde nicht dazu führen, dass weniger Niederländer rauchen. „Raucher fahren dann nach Deutschland oder in die großen Einkaufszentren, wo sie gleich alle anderen Einkäufe erledigen“, sagt van den Berg. Immerhin profitiere er noch von deutschen Kunden, die für den günstigen Kaffee kommen.

Theo Urselmann vom Handelsverband “Vakcentrum” sieht zwei Gründe, weshalb die Zukunft vieler Supermärkte in der Grenzregion auf dem Spiel steht. „Auf der einen Seite geht es um den Preis. Viele Produkte sind in Deutschland deutlich günstiger. Sicherlich haben deutsche Supermärkte auf dem internationalen Markt eine größere Macht, weshalb sie stärker die Preise diktieren können”, sagt Urselmann.

Hinzu komme, dass Steuern und Abgaben im Königreich höher seien. „Problematisch ist aber auch die Verfügbarkeit von Produkten in den Niederlanden. Hochprozentigen Alkohol gibt es bei uns nur in Spezialgeschäften oder in getrennten Bereichen im Markt. Und Tabak gibt es ab Juli 2024 nur noch bei Tabakverkaufsstellen, nicht mehr in Supermärkten“, sagt Urselmann.

Das werde zur Folge haben, dass niederländische Kunden künftig noch zahlreicher über die Grenze fahren. „In Deutschland kann man Alkohol, Tabak und alle anderen Lebensmittel an einem Ort kaufen. Das ist ein schlagendes Verkaufsargument. Gerade in der Grenzregion werden die Kunden fehlen, die für eine Packung Zigaretten eben in den Supermarkt springen, dann aber gleich noch einige Lebensmittel mitnehmen“, sagt Urselmann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er habe bisweilen das Gefühl, dass die Politik in Den Haag die Niederlande als Insel wahrnimmt. „Dabei ist die Konkurrenz aus Deutschland groß. Und es ist nicht so, dass die Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht schon genug Herausforderungen zu bewältigen hatten. Die Kosten für Personal und Energie stiegen dramatisch. Wir haben Angst, dass die geplanten Maßnahmen für weitere Supermärkte das Aus bedeuten“, sagt er. Vor allem in Dörfern könne es zu einem veritablen Geschäftssterben kommen, so Urselmann.

Anne Harmsen führt den Supermarkt Plus Koenders im Grenzort Eibergen. Mit Blick auf die neue Tabakgesetzgebung aus Den Haag hat sie schräg gegenüber ihres Supermarktes einen kleinen Tabakladen eröffnet. „2024 dürfen wir in unserem Plus keinen Tabak mehr verkaufen und ab 2026 ist das auch an Tankstellen im Dorf nicht mehr möglich. Das bedeutet, dass noch mehr Kunden nach Deutschland fahren“, sagt Koenders. Dort würden sie dann freilich auch andere Besorgungen machen, kaum einer werde nur für Zigaretten gen Bundesrepublik fahren. „Deshalb haben wir unseren eigenen Laden eröffnet. Nicht, weil ich für den Verkauf von Tabak bin, ich rauche selbst nicht. Es geht darum, die Kunden hier zu halten und damit die Lebensqualität im Dorf zu schützen“, sagt Koenders.

Sie könne nicht nachvollziehen, weshalb man etwa das Tabakgesetz nicht auf europäischer Ebene abgestimmt hat. „Wir erkennen immer deutlicher, dass der Markt in der Grenzregion verzerrt wird. Wir dürfen immer weniger, die Ungleichheit zwischen den Ländern wächst“, sagt die Unternehmerin. Der Präventionsgedanke sei in den Niederlanden erdrückend. „Die Bevormundung aus Den Haag nimmt teilweise extreme Formen an. Und der nächste Schritt wartet schon: Dann werden die Gesetze zu Fett und Zucker verschärft“, sagt Koenders.

Sie hält die Vorschläge aus Den Haag für lebensfremd. „Eine gesunde Generation ist mir auch sehr wichtig. Aber es ist doch nicht so, dass jemand mit dem Rauchen aufhört, wenn er nicht mehr vor der Haustüre an Tabak kommt. Die Möglichkeiten sind heute riesig. Die Leute fahren nach Belgien oder Deutschland, immer mehr bestellen im Internet“, sagt Koenders. Ein mögliches Marktsterben sei jedoch vor allem für ältere Menschen ein Problem. „Es wird zu wenig an die Nahversorgung gedacht“, so die Niederländerin.

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