Kleve Neues auf dem schönsten Silbertablett

Kleve · Kölner Kammerorchester in der Klever Stadthalle mit Francesco Tristano

Das dritte Reihenkonzert mit Klassikpianist Francesco Tristano gemeinsam mit dem Kölner Kammerorchester in der Klever Stadthalle füllte die Reihen nicht nur bei der Konzerteinführung erfreulich. Auf dem Programm standen drei Bachkonzerte mit Tristano als Solist, dazwischen Interludien, Tänze und eine Ciacona von Henry Purcell, gespielt vom Orchester.

Bekannte Werke und doch in ganz neuem Gewand: Der Hingucker beim Hereinkommen in den Saal war der Yamaha-Flügel, aufgebockt auf einem Podest, denn Tristano spielte daran stehend. Dementsprechend standen auch die ersten und zweiten Geigen sowie die Bratschen links und dahinter, nur die Bassgruppe saß rechts vom Flügel. Die Musiker erschienen gewohnt in "schwarz und lang", dann der Auftritt Tristanos: androgyner Typ, Locke im Gesicht, mit skinny Jeans und Boots könnte dieser auch einem Fashion-Magazin entsprungen sein.

Es folgte der präzise Einstieg ins Bach-Konzert g-Moll BWV 1058 durch einen Fingerzeig des Solisten und das - vielleicht durchs Stehen noch gesteigerte? - agile und lebendige Zusammenspiel der Akteure. Die Tempi des Abends waren zügig gewählt, die Artikulation des Orchesters dabei blitzsauber. Tristano nahm brillant am Flügel mit dem Körper die Rhythmen auf, federnd wie ein DJ an seinen Turntables.

Gar nicht so weit hergeholt, wo der Pianist in der Tat auch in Clubs zu Hause ist und elektronische Musik produziert. Die Besonderheit in seiner Attitüde liegt nicht nur in der Freiheit über Genregrenzen hinweg, sondern auch in der Vorliebe für Rhythmen, für Strukturen und im wahrsten Sinne dem "Spiel der Sequenzen". Pulsierende Begleitung in der linken Hand verknüpfte sich nahtlos mit der leichtfüßigen Virtuosität der rechten.

Solist und Ensemble gingen auch die Bach-Konzerte A-Dur BWV 1055 und d-moll BWV 1052 engagiert an, die Allegro-Sätze zupackend mit frischen Tempi, in den langsamen Sätzen mit der nötigen Innenschau. Eine geglückte Verbindung des klassischen Flügels mit der Orchesterbesetzung, auch an der Grenze, sich in den Tempi fast selbst zu überholen.

Die Purcell-Auszüge aus dessen Oper "Dido und Aeneas" und die Ciacona gefielen sehr; bei beidem wurde das Cembalo statt des Flügels gespielt. Auch da zeigte das Kölner Kammerorchester sein erstklassiges Können und Interpretieren in den plakativen Sätzen, denen das Theater gar nicht fehlte.

Grenzen zwischen Genres sind für Tristano unwichtig. Seine improvisierten Kadenzen spielte er als Cage-artige Klangteppiche mit viel Pedal (an das er mit gehobenem Bein heranreichte) und Obertönen, vermeintlich simpel, aber Markenzeichen seines Idioms; in der musikalischen Ästhetik daher alles andere als simpel.

Tristano möchte Neues "servieren" - und das auf dem schönsten Silbertablett. Er ist frei in seinem Denken, in seinem Tun und dank ausgeprägter, sichtlich musik-verehrender Finesse nicht nur ein erstklassiger Musiker, sondern als Wanderer zwischen Genres höchst erfolgreich.

Der minutenlange Applaus ehrte alle Beteiligte.

(RP)
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