Berufskolleg Escape-Room macht Geschichte greifbar

Bedburg-Hau · „Der Löwe von Münster“ macht in Bedburg-Hau Station: Schüler des Berufskollegs Kleve erleben ein innovatives Unterrichtsprojekt und zeigen sich anschließend begeistert von der Zeitreise zurück ins Jahr 1941.

 Im Escape Room des Berufskollegs Kleve am Tisch von links die Schülerinnen Lisa Scholl, Michelle van Boven und Anne Mathias.

Im Escape Room des Berufskollegs Kleve am Tisch von links die Schülerinnen Lisa Scholl, Michelle van Boven und Anne Mathias.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Ein Lied von Lili Marleen läuft auf einem Volksempfänger im Hintergrund, als die Jugendlichen eine Gewissensentscheidung treffen müssen: „Wie würdet ihr euch entscheiden?“, fragt Spielleiter Matthias Hecking in die Runde. Zuvor sind die Schüler des Berufskollegs Kleve am Standort Bedburg-Hau in die spannende Erfahrung einer ganz besonderen Unterrichtsstunde gekommen - Geschichte zum Anfassen im Escape-Room. Hecking hat sich gemeinsam mit seinem Mitveranstalter Winfried Hachmann vor einigen Monaten selbstständig gemacht. Seitdem sind die beiden mit ihrem portablen Escape-Room „Der Löwe von Münster“ auf Tour und lassen die Teilnehmer sich auf eine Zeitreise ins Jahr 1941 begeben. In seiner Predigt am 3. August 1941 sprach nämlich der damalige Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, öffentlich über die systematische Tötung von Menschen mit Behinderung durch die Nationalsozialisten. Diese und weitere mutige Predigten gegen das NS-Regime verliehen ihm schließlich den Beinamen „Der Löwe von Münster“ und trugen maßgeblich zur Beendigung dieses sogenannten Euthanasieprogramms bei. Die Schüler erleben die Stunde im Escape-Room in der Rolle von Pfadfindern, die auf der Suche nach Kopien der politisch brisanten Predigt sind und, sofern sie dies erfolgreich geschafft haben, sich der anfangs genannten Frage stellen: soll die Predigt zur Verbreitung weitergeleitet werden, obwohl sie sich selbst dadurch in Gefahr bringen würden?

Dass diese Frage auch heute noch auf Gewissenskonflikte übertragen werden kann, erklärt Lehrer Jan Feldmann, der mit Unterstützung von Kollegen und Spenden des Fördervereins des Berufskollegs und des Rotary Clubs Moyland den „Löwen von Münster“ nach Bedburg-Hau holte: „Wir wollen das Bewusstsein für die Taten in der damaligen Zeit schärfen und gleichzeitig eine Verknüpfung zur Lage der Schülerinnen und Schüler heute herstellen. In Zeiten, in denen der Ton auch in politischen Auseinandersetzungen rauer wird, ist es uns besonders wichtig, den jungen Leuten zu vergegenwärtigen, dass es besonders relevant ist, gerade den Schwächsten in unserer Gesellschaft eine Stimme zu verleihen.“

Vom Gelingen dessen zeugen die Rückmeldungen der Schüler nach einem Besuch im Escape-Room: „Es ist schwer, sich durch reines Fachwissen in die Lage der Menschen während der NS-Zeit zu versetzen. Dies wird durch das Projekt greifbar gemacht“, erzählt die Auszubildende Lisa Scholl. Ihre Mitschülerin Anna Mathias ist ebenfalls mehr als angetan vom Konzept: „Durch den Besuch werden gerade Sachen wie Team- und Sozialkompetenz sowie die Zivilcourage gefördert, was für uns im Job und im Alltag sehr wertvoll ist.“ Darüber hinaus „macht gerade die Gestaltung des Raums viel aus, die mit viel Liebe zum Detail und vielen Requisiten aus den 1940ern erfolgt ist“, wie Manfred Küper, Abteilungsleiter für den Fachbereich Sozialwesen am Berufskolleg erläutert. Neben dem Volksempfänger stehen auch eine Schreibmaschine oder ein altes Telefon parat, die mit in das Spiel integriert sind. Gemeinsam mit Theaterwänden haben Hachmann und Hecking hier eine mobile Raum-in-Raum-Installation geschaffen. Alle diese Geräte sind mit einem Rätsel verknüpft, welches zum Lösen der Aufgabe beiträgt.

Gelegentlich greifen die Spielleiter aus einem Kontrollraum, aus welchem sie das Ganze mit Bild und Ton verfolgen können, ein. Dabei geben sie als ins Spielgeschehen eingebundene Charaktere Hinweise. Abschließend gibt Hecking einer Gruppe von Schülern mit auf den Weg, „dass es zwar schwer ist, sich in diese von Kontrolle und Angst geprägte Zeit  zu versetzen, es damit aber etwas greifbarer wird.“ Schülerin Michelle van Woven, die das Rätsel gerade erfolgreich mit ihrer Gruppe gelöst hat, bestätigt dies: „Es war eine tolle und sehr kurzweilige Erfahrung!“ Zuvor hatten die Jugendlichen sich im Unterricht auf das Thema vorbereitet und sich auch mit der Reportage „Transport in den Tod“ auseinandergesetzt. Diese beschäftigt sich auch mit der Tötung von 3000 in Bedburg-Hau untergebrachten Menschen, die dem NS-Regime zum Opfer fielen: „An der Stelle war es mucksmäuschenstill im Raum, da jeder gemerkt hat, dass die Verbrechen auch „um die Ecke“ stattgefunden haben“, gibt Feldmann Einblicke.

In den nächsten Jahren soll der Escape-Room erneut Station am Berufskolleg machen, um noch vielen weiteren Schülern die Teilnahme an einer packenden Unterrichtsstunde zu ermöglichen.

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