Kalkar Milliardenschwere Investitionsruine statt "Höllenfeuer"

Schmucke Grün- und Teichanlagen, Hotels, Restaurants und ein Outdoorzentrum mit Namen "Adventure Plaza": Das ist das "Wunderland Kalkar". Nur der Kühlturm erinnert noch daran, dass auf dem Gelände einst ein ganz anderes, technisches "Wunderland" geplant war.

Tag 4 nach der Katastrophe in Japan
32 Bilder

Tag 4 nach der Katastrophe in Japan

32 Bilder

Denn der heutige Freizeitpark nutzt die Gebäude eines Kernkraftwerks, das nie ans Netz ging. Der "Schnelle Brüter" von Kalkar sollte als Vertreter einer neuen Reaktorgeneration nach Willen seiner Befürworter die Atomenergie zu neuen Weihen führen. Dagegen warnten die Gegner in der langjährigen Entstehungsgeschichte des Projekts vor unkalkulierbaren Gefahren und erwirkten vor dem Bundesverfassungsgericht sogar einen mehrjährigen Baustopp. Am Ende der Auseinandersetzungen stand 18 Jahre nach dem 1973 erfolgten Baubeginn eine der größten deutschen Investitionsruinen.

Bund stieg 1991 aus dem Projekt aus

Rund 3,5 Milliarden Euro hatte der Meiler gekostet, als die schwarz-gelbe Bundesregierung am 21. März 1991, vor genau 20 Jahren also, das endgültige Aus für die Anlage verkündete. Zwar war der Reaktor da schon seit 1985 prinzipiell betriebsbereit. Doch die SPD-geführte Landesregierung hatte die Betriebsgenehmigung nie erteilt, die Brennelemente durften daraufhin nicht in den Meiler gebracht werden.

Zu groß erschienen dem Landeskabinett unter Ministerpräsident Johannes Rau die Risiken des Projekts. Das "Höllenfeuer von Kalkar" dürfe nicht entfacht werden, wetterte der damalige für die Atomenergie zuständige Arbeitsminister Friedhelm Farthmann (SPD).

Zudem war nach der teilweisen Kernschmelze im Atommeiler von Harrisburg 1979 in den USA und dem bislang größten Atom-Unglück, der Reaktorexplosion von Tschernobyl 1986 mit der radioaktiven Verseuchung weiter Landstriche, das Image der Atomenergie auf dem Tiefstand angelangt. Ein neues, noch dazu in der Praxis unerprobtes "Höllenfeuer" galt als nicht mehr durchsetzbar.

Angst vor Explosion des Meilers

Die aktuelle Atom-Katastrophe in Japan macht den "Schnellen Brüter" auch 20 Jahre nach seinem Aus nun einmal mehr zum Synonym für den einstmaligen Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten der Atomkraft. Denn der Brutreaktor sollte als eine Art nukleares Perpetuum Mobile mehr Brennstoff erzeugen, als er selbst verbraucht. Möglich macht das der Einsatz der Uransorte 238 statt Uran 235, mit dem herkömmliche Leichtwasserreaktoren betrieben werden.

Uran 235 ist nur in einem Prozent des Natururans enthalten - die Vorräte mithin begrenzt. Dagegen kommt das brüter-taugliche Uran 238 viel häufiger vor. Zudem kann ein Brut-Reaktor daraus das Element Plutonium als neues Spaltmaterial "erbrüten" und sollte so Deutschland langfristig unabhängig von Uranimporten machen. Die Eigenschaft "schnell" erhielt der Brüter deshalb, weil er bei der Kernspaltung mit schnellen Neutronen arbeitet statt mit langsamen, wie sie bei Leichtwassereaktoren zum Einsatz kommen.

Die Skeptiker wandten dagegen stets ein, dass das als Kühlmittel eingesetzte flüssige Natrium bei Kontakt mit Wasser explodieren und der Reaktor schlimmstenfalls wie eine Bombe hochgehen könne. Und schon Ende der 1970er Jahre führte der spätere saarländische Umweltminister Jo Leinen (SPD) auch moralische Bedenken ins Feld: Die Brütertechnologie müsse aus Kostengründen irgendwann exportiert werden, doch könne man aus Plutonium auch Atombomben herstellen.

Von all der Diskussion aus früheren Tagen ist im "Wunderland Kalkar" nichts mehr zu spüren. Die Menschen amüsieren sich in dem Freizeitpark, den ein niederländischer Investor dort errichtete, nachdem er 1995 das Reaktorgelände gekauft hatte. Für Skeptiker hat die Website des Betreibers dennoch eine Beruhigung parat, die in diesen Tagen wahrscheinlich umso wichtiger ist: "Das Kernkraftwerk hat nie gearbeitet und ist daher garantiert frei von Strahlung."

(DDP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort