Landwirte-Demos Niederlande zwischen Protest und Bürgerkrieg

Groesbeek  · Die Demonstrationen von Landwirten halten die Niederlande seit Wochen in Atem. Zuletzt fielen Schüsse, Supermarktregale blieben leer. Auch in der Grenzregion gehen Bauern auf die Straße. Wie soll es weiter gehen?

 Landwirte gehen auf die Straße und blockieren Autobahnen, auch an der deutsch-niederländischen Grenze.

Landwirte gehen auf die Straße und blockieren Autobahnen, auch an der deutsch-niederländischen Grenze.

Foto: dpa/Vincent Jannink

Einige Politiker in Den Haag dürften Ende vergangener Woche aufgeatmet haben: In den Niederlanden hat die politische Sommerpause begonnen. Vorerst müssen die Abgeordneten nicht mehr von Sitzung zu Sitzung eilen. Stattdessen können sie – neben der Urlaubserholung – Gesetze ausarbeiten, Konzepte konkretisieren oder Anfragen beantworten. Der Politikbetrieb geht weiter, nur eben ohne die öffentlichkeitswirksamen Debatten. Und eine Ruhepause scheint die Niederlande dringend gebraucht zu haben: Die Bauernproteste stellen das Königreich regelrecht auf den Kopf.

Zum Hintergrund: Die niederländische Regierung will Emissionen reduzieren, und zwar zuvorderst in der Nähe von Naturschutzgebieten. Dafür hat das Kabinett Regionen ausgewiesen, in denen die Stickstoff-Ausstöße um zwölf bis 70 Prozent gesenkt werden sollen. In einigen Bereichen ist gar eine Reduktion um 95 Prozent geplant. Für die Minimierung sollen vor allem Landwirte sorgen. Politiker schlagen vor, dass Bauern ihren Viehbestand deutlich reduzieren – oder ihre Höfe ganz aufgeben.

Die Landwirte aber winken ab. Sie fürchten um ihre Existenz und machen ihrem Unmut Luft. Nicht nur, aber auch in der Grenzregion. In der vergangenen Woche demonstrierten dutzende Bauern mit ihren Treckern vorm Rathaus in Groesbeek, auch im Herzen von Arnheim und Nimwegen zeigten die Landwirte zuletzt immer wieder Präsenz. Friedlich, im Dialog mit der Polizei sowie der Verwaltung.

Doch nicht überall verlaufen die Demonstrationen derart reibungslos. Vor dem Haus der zuständigen Naturministerin Christianne van der Wal von der rechtsliberalen VVD war die Stimmung bisweilen derart aggressiv, dass sich die Uniformierten zum Selbstschutz zurückzogen. Polizisten und Politiker werden bedroht. Autobahnen werden über Stunden blockiert. Logistikzentren von Supermärkten werden gezielt angesteuert, um Zufahrten zu blockieren. Die Folge: Viele Regale blieben jüngst leer, insbesondere Frischeprodukte wie Milch, Obst und Gemüse wurden mancherorts zur Mangelware.

Der bisherige traurige Höhepunkt folgte am Dienstag: Am späten Abend hatte ein Polizist bei Heerenveen gezielt auf den Trecker eines 16-Jährigen geschossen. Zuerst hieß es, der junge Mann sei auf die Polizisten zugesteuert. Videoaufnahmen aber lassen erhebliche Zweifel an der Darstellung aufkommen. Die Eltern des Betroffenen wollen nun Anzeige wegen versuchten Mordes erstatten. Der Polizist, der seine Waffe gezückt hatte, musste unterdessen untertauchen. Nach Morddrohungen wurde er unter Polizeischutz aus seinem Dorf geleitet und an einer unbekannten Adresse untergebracht. Es scheint, als herrsche im Nachbarland Chaos. Dazu passt, dass der Vorsitzende der Regierungsfraktion ChristenUnie, Gert-Jan Segers, vor einem Bürgerkrieg warnt.

„Bauern und Gärtner fühlen sich machtlos und sie sind ratlos. 25 Milliarden Euro Steuergeld will das Kabinett für Pläne aufwenden, die nicht berechnet worden sind. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Auswirkungen dieser verheerenden Stickstoffpolitik sind unbekannt“, sagt Sjaak van der Tak von der Bauernorganisation LTO Nederland. Die Politik in Den Haag hatte zuletzt einen Vermittler ins Spiel gebracht, der zwischen Kabinett und Agrarsektor verbinden soll. Doch dieser Mediator, ein politisches Urgestein der VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, wird von den Bauern abgelehnt. „Jetzt sind die Provinzen an der Reihe, dieses Diktat von Den Haag in eine Politik umzuwandeln, die es uns ermöglicht, weiterhin gutes Essen und schönes Grün auf dem Land zu produzieren. Landwirte und Gärtner haben dazu zusammen mit anderen unzählige Vorschläge gemacht, die realistisch sind“, sagt Sjaak van der Tak. Die Regierung in Den Haag aber sieht das anders – und will an den Zielen festhalten. Von einer Lösung scheinen man also noch weit entfernt zu sein. So haben die Bauern bereits angekündigt, weiter auf die Barrikaden gehen zu wollen, und zwar landesweit.

Dabei bahnt sich das nächste Aufregerthema bereits seinen Weg. Die Europäische Union will, dass die Nitrat-Belastung in Holland sinkt. Bislang hatte das Königreich eine Ausnahmeregelung, wonach die Landwirte jenseits der Grenze deutlich mehr Gülle ausfahren dürfen als etwa in Deutschland. Diese Sonderbehandlung wird Derogation genannt. Doch die Genehmigung läuft bald aus und Medien berichten, dass es dem Kabinett nicht gelungen sei, diese zu verlängern.

„Der Wegfall der Ausnahmeregelung ist ein schwarzes Szenario für die Kreislauflandwirtschaft. Dies bedeutet, dass nur noch ein kleinerer Teil der erforderlichen Bodendüngung aus fruchtbarem Mist stammen kann und daher eine größere Abhängigkeit von Dünger und damit Gas besteht. Das kostet die Landwirte etwa 10.000 bis 20.000 Euro extra, ohne der Umwelt zu nützen“, sagt Sjaak van der Tak.  Der Branche fehle die Zukunftsperspektive.

Im März 2023 wählen die Niederländer in den Provinzen, vergleichbar mit den Bundesländern in Deutschland. Stand jetzt würden die Mitte-Rechts-Parteien VVD und CDA, die traditionell stark unter Landwirten sind, klar verlieren. Die BoerBurgerBeweging, die sich für die Interessen des ländlichen Raums einsetzt, startet derweil in Umfragen durch. Landwirte hoffen darauf, dass die Regierungsparteien mit Blick auf den Wahlkampf Abstriche bei ihren Stickstoff-Plänen machen. Aber freilich erst nach der Sommerpause.

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