Jürgen Franken "Landrat lässt die Betroffenen allein"

Kleve · Für den SPD-Landratskandidaten ist das Verhalten der Lebenshilfe in der Tarifauseinandersetzung keine Überraschung.

Kleverland Eins kann man Jürgen Franken (50) nicht vorwerfen: Dass er von gesetzlichen Bestimmungen und der Finanzierung von Kindertagesstätten keine Ahnung habe. Franken, Landratskandidat der SPD, war Gründungsmitglied der Kranenburger Elterninitiative "Villa Kunterbunt". Seine drei Töchter haben die Einrichtung besucht. Ihr Vater war nicht nur beim Sommerfest als "Mister Bingo" aktiv, sondern hat sich Jahrzehnte um die Betriebskosten gekümmert. Ehrenamtlich. Verschiedene Elterninitiativen holen sich bei ihm Rat. Im RP-Interview bezieht er Stellung zu der aktuellen Situation im Streit zwischen den streikenden Erzieherinnen und der Lebenshilfe gGmbH.

Sie haben Jahrzehnte die Betriebskostenabrechnung für die "Villa Kunterbunt" erstellt. Welcher Lohn wird dort gezahlt?

Jürgen Franken Wir haben immer in Anlehnung an den TVöD gezahlt. Also das Gehalt, das derzeit die Erzieherinnen der Lebenshilfe von ihrem Arbeitgeber fordern.

Ist die Kranenburger Elterninitiative nie Gefahr gelaufen, dass irgendwann Rot die bestimmende Farbe in der Buchhaltung wird?

Franken Im Gegenteil. Wir haben bei den Personalkosten nie gespart und bewegten uns bei der Zahl der Mitarbeiterinnen oberhalb der Mindestbesetzung, die gesetzlich gefordert ist. Die Finanzierung einer Kita ist mit KiBiz-Mitteln und dem Kreis-Zuschuss problemlos möglich, auch wenn man die Erzieherinnen in Anlehnung an den TVöD bezahlt.

Können Sie die starre Haltung der Lebenshilfe in der Tarifauseinandersetzung nachvollziehen?

Franken Das kann ich. Denn für mich sieht es so aus, als käme der Streik der Lebenshilfe gerade recht. Quasi wie bestellt.

Warum?

Franken Weil es ab dem 1. August grundlegende Änderungen in der Fördersystematik für die Kinder mit einer Behinderung gibt. Und diese Änderungen sind gravierende.

Nennen Sie Beispiele.

Franken Bislang erhielten die Einrichtungen, in die Kinder mit einer Behinderung gehen, einen nicht unerheblichen Zuschuss vom Landschaftsverband Rheinland. Diese werden extrem gekürzt. 9000 Euro bekam jede Gruppe pauschal, in die Kinder mit Förderbedarf gingen. Dies fällt weg. Die Personalkosten für therapeutische Kräfte wie Logopädinnen oder Physiotherapeuten wurden bislang komplett vom LVR übernommen. Auch das gibt's nicht mehr. Bestimmte Stunden der Leiterin einer integrativen Tagesstätte wurden vom LVR getragen. Vorbei. Eltern von Kindern mit einer Behinderung mussten keine Elternbeiträge zahlen. Auch das ist ab 1. August Geschichte. Die Kinder mit einer Behinderung werden wie alle Kinder gesehen, deshalb sollen auch alle Eltern dieselben Beiträge zahlen.

Gibt's denn nichts mehr vom LVR?

Franken 5000 Euro im Jahr erhält jede Einrichtung vom LVR pro Kind mit einer Behinderung. Das war's. Damit soll der pädagogische Teil, der zweifellos höher ist als bei anderen Kindern, finanziert werden. Therapeutische Maßnahmen werden nicht mehr vom LVR bezahlt.

Die finanzielle Situation von integrativen Kindertagesstätten wird demnach schlechter.

Franken Eindeutig. Nur muss man wissen, dass der LVR vor Jahren noch mehr Gelder an diese Einrichtungen überwiesen hat. Integrative Kindergärten konnte man äußerst komfortabel betreiben. Wer es geschickt angestellt hat, dürfte durch die LVR-Mittel regelmäßig Geld in die Rücklage geschoben haben.

Will die Lebenshilfe die integrativen Einrichtungen schnell loswerden, weil der Geldhahn zugedreht wird?

Franken Der Gedanke könnte einem kommen. Nicht unwichtig erscheint mir in dem Zusammenhang, dass in der Kranenburger Kita Lebensburg seit Jahren kaum investiert wurde. Ein Antrag für einen U 3-Bau, den nahezu alle Kitas gestellt haben, ist meines Wissens nicht eingereicht worden. Die jetzt bekanntgegebene Schließung war meiner Ansicht nach von lange geplant und hat nichts mit dem Streik zu tun.

Wie bewerten Sie das Verhalten des Kreises und von Landrat Spreen?

Franken Wenn Herr Spreen sich hinstellt und erklärt, er könne nichts tun, der Streik sei Sache der Tarifparteien, so sage ich: Das ist eine Schande. Der Kreis hat eine Fürsorgepflicht den Kindern und Eltern gegenüber. Wo bleibt hier die Menschlichkeit? So darf ein Landrat nicht agieren. Die Eltern können nicht mehr. Herr Spreen hat nicht einen Lösungsversuch unternommen, er lässt die Betroffenen allein.

Sollten die Eltern eine Initiative für alle fünf Einrichtungen planen?

Franken Ich kann davor nur warnen. Das ist kaum umsetzbar — auch aufgrund der großen örtlichen Distanzen zwischen den Einrichtungen. Wenn, dann sollte es kleine Initiativen vor Ort geben. Fest steht, dass am 1. August in Kranenburg 37 Kinder stehen, die nach aktueller Situation nicht wissen, wo sie in den Kindergarten gehen werden. Das Kreisjugendamt hat bislang keine Lösung aufgezeigt. Es wäre ja noch nicht der 1. August, heißt es aus der Verwaltung. Man baut offenbar darauf, dass sich Eltern oder andere finden, die die Trägerschaft übernehmen. Für mich spielen Lebenshilfe und Kreisverwaltung auf Zeit. Aber das ist ein unwürdiges Spiel auf Kosten der Kinder und Eltern.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE PETER JANSSEN

(RP)
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