Museum Kurhaus Kleve Geschichte der modernen Fotografie

Kleve · Die Ausstellung „Freischwimmer: Fotografie aus der Sammlung Viehof & des Museum Kurhaus Kleve“ zeigt 130 Werke von 30 international bekannten Künstlern.

 Candida Höfers Blick auf das Wikingermuseum in Oslo aus dem Jahr 2000.

Candida Höfers Blick auf das Wikingermuseum in Oslo aus dem Jahr 2000.

Foto: Repro (Katalog) mgr

Jung sind sie, jung und gut gelaunt. Sie stehen in Gruppen, lachen, telefonieren. Sie genießen die Großstadt, in der sie leben.  Dass sie fotografiert werden, wissen sie nicht. Beat Streuli hat sie mit dem Teleobjektiv fotografiert, im unbeobachteten Momenten mitten in der Stadt. „Ein bisschen Voyeurismus schwingt natürlich mit“, sagt Annika Forjahn, Kuratorin der Sammlung Viehof, die zusammen mit Valentina Vlasic die neue Ausstellung im Museum Kurhaus eingerichtet hat. Die Fotos Streulis erzählten keine großen Geschichten. „Sie sind losgelöste fokussierte Momentaufnahmen, zeigen Individuen in einem Strom der Zeit“, so Forjahn. Die jeweils rund 1,5 mal zwei Meter großen Fotografien unter glänzendem Plexiglas hängen im großen Oberlichtsaal des Museums Kurhaus Kleve, man kann an ihnen wunderbar entlang flanieren wie durch die Stadt und den Blick auf die Menschen werfen. Ein bisschen Voyeurismus ist immer.

Direkt gegenüber Streulis Momentaufnahmen geht es streng geordnet zu: klassische Familienaufstellungen erzählen ganze Kapitel von Familiengeschichten, so wie sich das Personal zum Gruppenbild auf dem Foto angeordnet hat. „Hier spielt der Zufall keine Rolle, sondern die Inszenierung“, sagt Valentina Vlasic. Und die verrät wieder viel über die Familie oder die Person, die dort fotografiert wird: „Sie geben sehr viel mehr  über das Familiengefüge, den kulturellen Kontext preis, als sie beabsichtigen. Es zeigt sich Unausgesprochenes und Verborgenes“, sagt Vlasic zu den Fotos von Thomas Struth.

 Annika Forjahn vor Katharina Sieverdings Fotos.

Annika Forjahn vor Katharina Sieverdings Fotos.

Foto: Matthias Grass

„Zufall und Absicht“ ist der Raum überschrieben und stellt zwei Auffassungen von Fotografie gegenüber: Hier die gelungene Momentaufnahme, dort das streng geordnete Tableau. Hier Fotos aus der Sammlung Viehof, dort aus der Sammlung des Museums Kurhaus. Wie im Oberlichtsaal hat das Museum zehn Kapitel der modernen Fotografie der vergangenen 40 Jahre aufgeschlagen. Alle Kapitel zeigen, wie prächtig sich die Fotosammlung des Kurhauses und die der Privatsammlung Viehof ergänzen. „Wir wollen zum Dialog einladen, zum Dialog zwischen den verschiedenen Auffassungen von Fotografie, aber auch zwischen den Besuchern und den Fotos“, sagt Museumsdirektor Harald Kunde.

Dazu haben Kunde, Vlasic und Forjahn 130 Arbeiten von 30 international bekannten Fotografen (so der Museumsdirektor) aus den Sammlungen ausgesucht, die sich ergänzen, die gegenüberstehen, die überraschen. So wie Katharina Sieverdings grandiose  „Die Sonne um Mitternacht schauen“, wo Sieverding als goldschimmerndes Antlitz, das weder lächelt noch sich sonst zu einer Eotion zuordnen lässt, rästelhaft auf die Besucher herunterschaut. „Wie Mona-Lisa, wie eine femme fatale“, sagt Vlasic. Sieverding korrespondiert hier mit Porträts von Cindy Sherman und Thomas Ruff – „Porträt Porträt“ heißt die Gegenüberstellung sinnigerweise.

Von der femme fatale gar nicht weit weg sind die Grazien aus Josephine Mecksepers Serie „Blow up“ (da läuft direkt  Antonionis gleichnamiger Kultfilm vor dem geistigen Auge an). Sie zitiert einerseits die Ästhetik von Helmut Newtons Fotos augenzwinkend, zieht andererseits ihren idealen Models schlechtsitzende Unterwäsche aus den 1950er Jahren an, „um den Rückfall der Weiblichkeit in Rollenmodelle früherer Zeiten zu veranschaulichen“, sagt Vlasic. Die Models stehen hier den barocken Porträts von Ori Gersht gegenüber.

Das Kurhaus präsentiert fantastische Fotografie in einer Zeit, in der Fotos zum Smartphone-Massenprodukt werden, man geradezu in einer Bilderflut erstickt, die nur noch flüchtig wahrgenommen wird. Das fordert die Sehgewohnheiten heraus: „Wir fordern den Besucher auf, die vielen Positionen bewusst anzugucken und dann ganz bewusst zu verstehen, was er da sieht“, sagt Forjahn. Damit er, wie der Titel der Ausstellung sagt, mit seinen „Sehgewohnheiten“ den Freischwimmer machen kann.

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