Porträt Neuer Blick auf die selbstbewusste Frau

Kleve · Kirsten Becken machte in Kleve die Fotos zur ersten LP der Schauspielerin Sandra Hüller. Die Kleverin ist zudem Mitglied beim internationalen Fotografinnen Kollektiv „Female Photographers“.

  Sandra Hüller auf dem Flügel des Museums Kurhaus  Foto: Kirsten Becken

Sandra Hüller auf dem Flügel des Museums Kurhaus Foto: Kirsten Becken

Foto: Kirsten Becken

Sandra Hüller auf dem Steinway. Das ist nicht die laszive Pose Michelle Pfeiffers aus den „Baker Boys“, das ist ganz im Gegenteil Selbstbewusstsein pur. Ernst schaut Hüller den Betrachter an, direkt, vielleicht sogar ein bisschen von oben herab, salopp, fern aller Vorstellungen, wie „frau“ sich zu setzen hat, die Pose. Sie trägt eine kostbare barocke Brokat-Jacke, die jedem Prinzen Konkurrenz machen dürfte, silberne Schuhe. Hüller, die viermal von „Theater heute“ zur Schauspielerin des Jahres gewählt wurde, mit „Toni Erdmann“ für den Oscar nominiert war und 2016 mit dem Europäischen Filmpreis als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde, sitzt auf dem Flügel des Museum Kurhaus Kleve. Die Fotografin ist die Kleverin Kirsten Becken. Becken hat die Fotos für die erste LP Hüllers, „Be your own Prince“ (2020 bei Kreismusik, etwa: „Sei dein eigener Prinz“), gemacht. Das Titelbild zeigt Hüller in einer knorrigen Kiefer in den Maasduinen, das andere eben als Prinz auf dem Flügel.

Becken sitzt in ihrem Atelier am Ortsausgang der Stadt an einem großen provisorischen Tisch. Aus dem Fenster blickt man über das mit Teerpappe gedeckte Dach eines Baumarktes auf Burg und Stiftskirche, auf dem Dach bessern Handwerker die Bitumenbahnen aus. An der Wand ein großes Foto Beckens, das einen Halbakt ihrer hochschwangeren Freundin zeigt, daneben zwei monochrom-graue, mit Wachs beschichte Arbeiten ihres Vaters Holger Becken. Darunter ein Galerieständer mit Zeichnungen aus der Studienzeit, einige Poster ihrer Fotos. Gegenüber hängt der ausgefaltete Schutzumschlag des Foto-Buches „The Body Issue No.1“, der eine Venus mit dicker roter Tomate zeigt, daneben ein Plakat zu diesem Buch, das sie mit einem Fotografinnen-Kollektiv herausgegeben hat. Ein Buch, für dessen dazu erschienenen Kalender Kirsten Becken Hollywood-Star Jamie Lee Curtis  um ihr Gedicht „Ode to Women“ bat und bekam, weil Curtis der Fotoband so gut gefiel (Vorstellung des Buches folgt).

Becken hat für die Vogue fotografiert, hatte in München ein eigenes Atelier und machte Porträts von Künstlern und anderen Promis für Magazine. „Auftragsarbeiten“, sagt sie. Sie wurde 1982 in Kleve geboren und ging in Goch zur Schule, machte dort ihr Abitur, studierte dann auf der Folkwang-Schule Essen Design und Fotografie. Den ersten Fotoapparat bekam sie schon zur Einschulung. „Einen gelben Plastik-Fotoapparat – den habe ich heute noch“, sagt sie. Heute fotografiert sie digital mit einer Pentax-Kamera, die an alte Mittelformat-Fotoapparate erinnert.

Nach dem Studium arbeitet sie in Werbeagenturen, zuerst in Oberhausen, später in Frankfurt, zuletzt als Art Director.  „Das war dann meistens arbeiten mit Photoshop – auf die Dauer macht das keinen Spaß“, sagt sie. Also wagte sie den Schritt aus der Sicherheit der Festanstellung heraus zur freien Fotografin.  Zunächst mit einem Studio in München, dann, als das Heimweh nach Niederrhein immer größer wurde, zurück nach Kleve. Auch weil hier eine Dozentur an der Hochschule Rhein-Waal möglich wurde, wo sie derzeit auch Design-Studierende betreut. Nach Vorbildern gefragt, nennt sie die Fotografen Jürgen Teller und Wolfgang Tillmanns, dessen Bilder derzeit in der Freischwimmer-Ausstellung zur Fotografie im Museum Kurhaus zu sehen sind, die nach einem seiner Bilder betitelt wurde. Becken bearbeitet ihre Fotos zwar auch digital, sie entstehen aber nicht wie beispielsweise die großen Panoramen von Andreas Gursky am Computer, sondern sind noch nah dran am Negativ.

Becken inszeniert ihre Fotos, stellt ihr Personal zu bewegt-erzählerischen Tableaus, legt eine Ophelia mit ganz neuem Blick ins Wasser und zeigt immer wieder spannende Porträts.  Immer wieder blitzt auch der politisch motivierte Blick aus ihren Bilder – vor allem wenn es über den Blick auf Frauen geht: Auch 2020 seien Frauenbilder noch immer stark stilisiert und stereotypisiert, sagte Kirsten Becken in der Vogue. „Unser Blick ist so sehr über die Werbung und durchaus auch über die Mode auf Ideale und Maße trainiert, dass wir es selbst kaum merken. Das Selbstbewusstsein der Frauen wird heute noch in großen Teilen über den heteronormativen Blick gesteuert. Ich möchte ein Teil der Bewegung sein und an der Richtigstellung des Blickes arbeiten“, sagt Becken. Als neuer Blick auf die selbstbewusste Frau: wie Sandra Hüller auf dem Steinway im Museum Kurhaus Kleve. Und durchaus auch provokant.

Fotos von Becken sollen bald im Museum Kurhaus im Rahmen des Projekts „Naked Body“ zu sehen sein, so Valentina Vlasic vom Kurhaus.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort