Buchvorstellung „The Body Issue“ Das Problem mit dem Körper

Kleve · Ein Fotoband, der von einem Fotografinnen-Kollektiv herausgegeben wird, erzählt vom Körper und vom Schönsein in all seinen Formen. Die Kleverin Kirsten Becken ist federführend dabei.

 „Multitudes“, 2019 aus der Serie „Bodies“ von Kirsten Becken.

„Multitudes“, 2019 aus der Serie „Bodies“ von Kirsten Becken.

Foto: Kirsten Becken

Schönsein oder nicht Schönsein? All die oft so widersprüchlichen Anforderungen an das Aussehen erfüllen und bloß nicht alt werden? Über „Problemzonen“ und „Sixpacks“ nachdenken? Oder doch frei nach Hamlet einfach „Sein“. Den Körper annehmen wie er ist, jung oder alt, dick oder dünn, nach den gängigen gesellschaftlichen Normen wohl geformt oder eben nicht. Es geht um das Problem mit dem Körper, das ein Frauenkollektiv internationaler Fotografinnen mit ihren Werken hinterfragt und in einem Band fotografisch diskutiert. „The Body Issue“ heißt das in einem schreiend gelben Schutzumschlag bei Hatje Cantz erschienene Fotobuch.

Zu den Initiatorinnen gehört die Klever Fotografin Kirsten Becken. Sie hat zusammen mit Veronika Faustmann das Konzept erstellt, Herausgeber ist Elisabeth Biondi für das Kollektiv Femalephotographers.org, dessen Gründungsmitglied Becken ebenfalls ist. Die Texte zum Band (alle in Englisch) kommen von Emma Lewis (Tate Modern) und der amerikanischen Dokumentarfotografin Maggie Steber sowie von Kirsten Becken. Das Kollektiv wurde 2018 von Becken und Faustmann ins Leben gerufen und inzwischen haben sich mehr als zwanzig Fotografinnen angeschlossen. Über eine Kickstarter-Kampagne konnte der Auftaktband „The Body Issue“ finanziert werden, dem weitere folgen sollen.

Der Band funktioniert ohne Text. Biondi, Becken, Faustmann und Gestalterin Karin Kolb verzichten auf Bildunterschriften: Es soll allein die Folge der Fotos, die ausschließlich von Fotografinnen gemacht wurden und überwiegend Frauenakte zeigen, erzählen. Und es sind Fotos, die viel zu erzählen haben: Von jungen und alten Menschen, vom kritischen Blick in den Spiegel, von dicken Körpern und dünnen Körpern oder von den Menschen in bunten Catsuits, die wie Laokoon und seine Söhne im Kampf mit der Schlange eins werden, zur Skulptur verschmelzen. Es gibt Bilder, die bewusst an die Ästhetik Edward Westons oder der 1960er Jahre erinnern oder an Diane Arbus, es sind sachliche und humorvolle Arrangements dabei.  Insgesamt 29 Künstlerinnen versammelt der Band mit 113 Fotografien. Es sind Künstlerinnen, die, so die Fotografin Nora Lowinsky, ihre eigenen visuellen Geschichten erzählen, die sich den Blick auf den Körper zurückholen wollen.

Das Magazin Vogue schwärmte, dieser Band feiere den weiblichen Körper in all seinen Formen. Das tut er, auch mit ein paar männlichen Models dazwischen. Aber: Die Fotografinnen liefern keine „Hochglanzbilder“ ab, stellen nicht einen weiteren Fotoband mit Akten neben die vielen anderen. Es geht eben um den Blick auf den Körper und um die Frage, wer bestimmt, was schön ist und was nicht, wer führt den Blick und wie soll man damit umgehen. „,The Body Issue’ soll dem Betrachter Körperbilder präsentieren, die fernab von irgendwelchen Schönheitsidealen Assoziationen erzeugen. Es geht um Körper, aber auch um die Bilder, die wir von Körpern in unseren Köpfen haben“, sagt Kirsten Becken.

Becken spricht von der Bewusstmachung des gelernten Blicks, von unseren Sehgewohnheiten und vom subtilen, visuellen Dauerstress, den beispielweise Werbung bei uns allen auslöst. „Wir wollen dabei auch humorvoll und selbstkritisch eine gewisse Wahrheit aufzeigen. Wir haben auch bewusst zunächst unpassende Bildpaare, die zum Nachdenken anregen, nebeneinander platziert“, sagt Becken. Und dass diese Bilder nicht mehr wie in den 1970er Jahren überwiegend von Männern gemacht werden, die Frauen fotografierten. Sondern es ist ein Blick von Frauen auf überwiegend Frauen.

Valentina Vlasic, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums Kurhaus ist von dem Buch begeistert – zumal es auch die Thematik der Kooperation zwischen Hochschule Rhein-Waal und Museum Kurhaus Kleve trifft, die sich mit dem nackten Körper auseinandersetzt und in die Becken ebenfalls eingebunden ist. „Das Buch ist ganz am Puls dieser sich rasant wandelnden Zeit entstanden. Über die stereotypisierende Werbeindustrie hinweg zeigt es den Blick auf Frauen in ihrer bunten Vielfalt, in wechselnden Posen, in jedem Alter und mit unterschiedlichstem Körperumfang – so, wie Frauen eben sind“, sagt Vlasic. Kirsten Becken nehme darin eine starke Position ein, auf ihren Photographien zeige sie selbstbestimmte Frauen, die über normative Rollenzuschreibungen hinausgehen.

The Body Issue, Hatje Cantz, 28 Euro, ISBN 978-3-7757-4663-2

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