Joseph Beuys Der Weltkünstler aus Kleve

Serie | Kleve · Joseph Beuys ist weltweit bekannt, seine Werke sind in allen großen Museen zu sehen. Umstritten war er schon immer, seine Wurzeln hat er am Niederrhein.

 Joseph Beuys 1985 in Paris - ein Jahr vor seinem Tod.  F  oto: Imago

Joseph Beuys 1985 in Paris - ein Jahr vor seinem Tod. F oto: Imago

Foto: imago

Nicht nur zur Weihnachtszeit stand der Christbaum im Hause Beuys am Drakeplatz in Oberkassel. Die Nadeln des Baumes rieselten herunter, bildeten einen Teppich auf dem Boden, lagen über einem kleinen Spielzeug-Auto. Beuys hatte, als er Kleve verließ und 1961 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf geworden war, zusammen mit seiner Frau Eva einen großen Wohnatelierraum gemietet. Es sollte sein Zuhause sein bis zu seinem Tod. Es war der erste Christbaum, den Eva und Joseph Beuys in ihrer neuen Heimat am Drakeplatz aufgestellt hatten. Und wie sollte es anders sein: Der Baum wurde Kunst. Er blieb stehen, verlor seine Nadeln, wurde zur Skulptur, wie der Künstler 1969 in einem Interview sagte. 1962 fotografierte seine Frau Eva das Fichtengerippe im Gegenlicht des großen Atelierfensters. „Nadeln eines Christbaums“ steht als Beuys-Titel unter dem Bild.

„Typisch Beuys“ sagt man noch heute und denkt an den Mann mit seiner Weste, an den Hut auf dem Kopf, an Filz und Fett.  Es ist der Mann, der wie ein Schamane durch eine New-Yorker Galerie stapfte und mit dem Kojoten sprach, der in Düsseldorf dem toten Hasen die Bilder erklärte, der das rheinisch-niederrheinische „Jajajaj-Neeneenee“ zu einem Kunstwerk machte und sich unentwegt selbst inszenierte.

Beuys konstruierte sich einen Lebenslauf, den er als Kunstwerk ansah und ihn „Lebenslauf-Werklauf“ titelte. Er erfand  die Geschichte von Tataren und Fett und Filz, weil Fett und Filz seine künstlerischen Materialen wurden. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Grünen, die aber auch nicht mit ihm grün wurden. Und er schuf schon in den 1970er Jahren Werke, die aktueller nicht sein könnten: Wie in Italien die Verteidigung der Natur „difesa della natura“, wie die berühmten „7000 Eichen“ in Kassel. Beuys ist Weltkünstler. Sein Werk ist singulär und in allen großen Museen der Welt zu sehen.

Beuys ist der wohl berühmteste Klever: Mann mit Hut gleich Beuys, wissen ganz viele. Dass die Wurzeln des Professors aus Düsseldorf in Kleve liegen und er zeitlebens die Kontakte in seine Heimat pflegte, wissen die wenigsten außerhalb Kleves. Die Stadt hat es versäumt, rechtzeitig ein wirklich großes Werk von Beuys zu kaufen – auch wenn Stadtdirektor Scholzen es ihm versprach, als er die erste Beuys-Ausstellung im Haus Koekkoek eröffnete. Auch wenn der nachfolgende Stadtdirektor Schröer versuchte, den da schon berühmten Beuys für ein Werk gewinnen zu können, der Rat verhinderte es. Beuys war den Menschen zu sperrig mit seiner Kunst. In seiner Heimat gibt’s vor allem Anekdoten vom Weltkünstler: Dass er mit dem Fahrrad die Treppen des Gymnasiums heruntergefahren und immer schon etwas seltsam gewesen sei. Und am Ende kommen Touristen an Orte, wo „der Beuys“ mal war oder fotografiert wurde.

Immerhin blieben die alten Atelierräume im Kurhaus erhalten und sind jetzt Teil des Klever Museums. Das Kurhaus baute seine weiland bescheidene Beuys-Sammlung so aus, dass man im neuen Beuys-Flügel des Hauses einen Blick ins Werk bekommt. Im Museum Schloss Moyland sicherte für das Land NRW der spätere Bundespräsident Johannes Rau die Sammlung van der Grinten mit Tausenden von Zeichnungen und Grafiken, mit plastischen Bildern. Für die internationalen Museen bleibt Beuys wichtig: 2008 kaufte das Museum of Modern Art (MoMA) in New York die Vitrine „Ohne Titel II“, in der Tate Modern in London steht sein verrätselter Blitzschlag, in Düsseldorf steht der großartige Palazzo Regale und in Berlin kündet die Straßenbahnhaltestelle von Kleve.

Dort ist ja aus Beuys auch „der Beuys“ geworden, nachdem er sich in sein Atelier wie in einen Kokon“ (so der ehemalige Museumsdirektor Guido de Werd) ins Kurhaus zurückgezogen hatte, um das Mahnmal für die Kriegsgefallenen in Büderich zu vollenden. Als der Galerist Schmela mit Frau und Tochter Ulrike 1961, zuvor von Beuys bekocht, in das Atelier kam, sah er seltsame Werke. „Aquarelle, Zeichnungen, Objekte, eine verwesende Ratte im Karton, abgetane Dinge, verwandelt in Schweigen und Geheimnis.“ Dabei waren auch Utensilien, die Beuys immer wieder in seinem Werken verwandte. Später sprengte „seine künstlerische Arbeit (...) die Grenzen tradierter Vorstellungen von bildender Kunst, seine Werke erzielten auf dem Kunstmarkt Höchstpreise und er selbst sorgte immer wieder für Schlagzeilen“, wie Bettina Paust und Timo Skrandies als Herausgeber des „Joseph Beuys Handbuch“ schreiben, das das Zeug zum Standard-Werk über Beuys hat. Um eine breite Öffentlichkeit von seinem Werk zu begeistern, schafft Beuys Multiples.

Geboren wurde der Klever in Krefeld  am 12. Mai 1921 als einziges Kind von Josef Jakob Beuys und Johanna Maria Beuys. Kurz darauf zog die Familie nach Kleve. Er kam in die Volksschule (1927 bis 1932) und dann ins Gymnasium, lernte Cello und Klavier. Beim flämischen Bildhauer Achilles Moortgat ging Beuys in Kleve ein und aus und lernte die Werke von Wilhelm Lehmbruck kennen, die ihn nachhaltig beeindruckten.

Mit 15 trat Beuys in die Hitlerjugend ein, spielte in deren „Bannorchester“ Cello und nahm 1936 am „Adolf-Hitler-Marsch“ nach Nürnberg teil, wie Zsuzsanna Aszodi von der Universität Düsseldorf im „Joseph Beuys-Handbuch“ zusammengetragen hat. 1940 verließ er die Schule vor dem Abitur, weil er sich freiwillig zur Wehrmacht meldete. Er landete bei der Luftwaffe. Nach dem Krieg bekam er wie viele, die die Schule wegen Kriegsdienstes abbrachen, das Notabitur. Auf der Krim stürzte er bei einem Einsatz ab, sein Pilot starb. Beuys kam ins Lazarett und erfand die Tatarenlegende. Er geriet in britische Gefangenschaft und wurde am 5. August 1945 nach Kleve entlassen. Schon seit 1940 beschäftigte er sich mit dem Anthroposophen Rudolf Steiner, dessen Gedankengut er teils aufnahm. Wie nahe Beuys dem NS-Gedankengut stand, ist umstritten und Thema mehrerer Werke. Die Aufarbeitung ist längst nicht abgeschlossen.

Beuys studierte nach dem Krieg bei Ewald Mataré an der Kunstakademie in Düsseldorf, 1953 präsentierten die Brüder Hans und Franz-Joseph van der Grinten erste Werke von ihm im Stall in Kranenburg. Nachdem 1958 eine Bewerbung an der Akademie am Einspruch Matarés scheiterte, bekam Beuys den Zuschlag und zog 1961 mit seiner Frau Eva in die Landeshauptstadt.

1968 begann der Akademie-Streit über die künftige Ausrichtung der Kunstakademie in Düsseldorf. Beuys galt als „Ungeist“, der die Ordnung der Hochschule gefährde. 1969 wurde sein Werk „The Pack“ (heute in Kassel) mit VW-Bus und Schlitten für 100.000 D-Mark verkauft. Es ist das bis dahin teuerste Werk deutscher Gegenwartskunst. Dann folgte der Eklat: 1972 kündigte ihm NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau fristlos die Stelle als Professor. Wegen „Hausfriedensbruch“. Das Bundearbeitsgericht erklärte nach sechs Jahren Rechtsstreit die Kündigung als nicht rechtens.

1986, nur wenige Tage vor seinem Tod, wird Beuys mit den Lehmbruckpreis der Stadt Duisburg geehrt. Den Goslarer Kaiserring trägt er da schon seit Jahren. Das ist am 12. Januar. Am 23. Januar 1986 stirbt Beuys in Düsseldorf.

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