Kranenburg Schülertransport 2014 - Platzangst im Bus

Kranenburg · Die Verwaltung der Gemeinde Kranenburg weiß von keinen Problemen beim Schülerverkehr. Doch regiert bei den Fahrten nach Kleve täglich das Chaos. Überfüllte Busse, keine passenden Anschlüsse, Kinder werden stehen gelassen.

 Der Start in den Tag könnte angenehmer sein: Kranenburger Schüler im Bus auf dem Weg nach Kleve.

Der Start in den Tag könnte angenehmer sein: Kranenburger Schüler im Bus auf dem Weg nach Kleve.

Foto: Gottfried Evers

Jan (10) steht morgens um 6.10 Uhr auf und um 6.45 Uhr an der Bushaltestelle. Bis er dort angekommen ist, haben er und sein Freund Timon (12) bereits mehr als zwei Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt. Die beiden Frühaufsteher wohnen in Kranenburg. Jan besucht die fünfte Klasse des Konrad-Adenauer-Gymnasiums (KAG). Gefrühstückt hat er nicht, da er sonst noch früher aufstehen müsste. In der ersten großen Pause um 9.35 Uhr ist er gespannt darauf, was Mutti ihm in die Brotdose gepackt hat.

 6.45 Uhr, Haltestelle Richtersgut: Die Freunde Timon und Jan warten im Dunkeln. Noch sind sie allein.

6.45 Uhr, Haltestelle Richtersgut: Die Freunde Timon und Jan warten im Dunkeln. Noch sind sie allein.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Eigentlich müsste der 10-Jährige nicht mit dem Rad fahren, denn 50 Meter vor seiner Haustüre gibt es eine Haltestelle. Grund für die Radtour bei zwei Grad im Dunkeln: Wenn der Bus vor dem Haus ankommt, gibt's keinen Sitzplatz mehr. Der Fünftklässler ist wochenlang im Omnibus nur herumgeschubst worden und geht jetzt lieber auf Nummer sicher. Wenn der Bus aus Wyler kommt, schließt die Tür zum ersten Mal in Kranenburg Zentrum nicht mehr. Es ist so eng, dass zwei Schüler vor der Lichtschranke stehen. Freunde helfen den Jungs und ziehen sie in den Gang.

Jan gehört zu der Gruppe Schüler, deren Tag angenehmer beginnen könnte. Der Schulbusverkehr von Kranenburg Richtung Kleve hält immer neue Überraschungen parat. Nachdem die Hanna-Heiber-Schule ihren Betrieb eingestellt hat, müssen alle Kinder der Gemeinde ab der fünften Klasse fahren. Neben den Angst- und Beklemmungszuständen, umgangssprachlich als Platzangst bezeichnet, sorgen auch die Fahrzeiten für Negativrekorde.

Carsten Seehafer, Vater eines KAG-Schülers, hat ausgerechnet, dass sein Sohn wöchentlich zwölf bis 14 Stunden im Bus verbringt. Die Kranenburger Kinder sind schneller im CentrO. als im Klassenzimmer. Das Problem wäre noch großer, würden nicht zahlreiche Eltern ihre Kinder nach Kleve fahren. Sie wollen ihnen die Strapazen nach acht Stunden Schule nicht zumuten.

Das Thema Schülertransport wurde im Kranenburger Rat diskutiert. Hauptamtsleiter Norbert Jansen präsentierte Fahrpläne und stellte dann gemeinsam mit Bürgermeister Günter Steins fest, dass es keine Probleme gebe. Zudem sei Kleve Schulträger und Kranenburg somit aus der Nummer raus. Nach dem Einwand der SPD, dass es der Kommune nicht egal sein könne, wie ihre Kinder befördert werden, erklärte das Duo Jansen/Steins man könne nichts tun, schließlich hätten sich keine Eltern mit Problemen gemeldet. Stimmt nicht, wie die RP erfuhr. Bereits kurz nach Beginn des Schuljahres hat sich allein die Mutter von Jan dreimal mit ihrem Anliegen an die Verwaltung gewandt. Ohne Ergebnis. Die Sorge, dass keine Fälle vorliegen, um die sich die Verwaltung kümmern könnte, kann man ihr nehmen. Hier sind sie:

1. Robin (10 Jahre), 5. Klasse, Gesamtschule Rindern: Nach Schulschluss (16.05 Uhr) fährt Robin zum Bahnhof. Zwei Minuten hat er dort Zeit, um den Anschlussbus zu bekommen. Das schafft er einmal pro Woche nicht. Konsequenz: 45 Minuten am Bahnhof warten. Ab Nütterden fährt er weiter mit dem Düffelmobil nach Zyfflich. In dem Kleinbus muss sich Robin auf den Boden setzen. Der Bus ist völlig überfüllt. Es kam auch vor, dass er in Nütterden vergebens auf das Düffelmobil wartet, da es nur alle zwei Stunden fährt. Seine Mutter holt ihn dann ab. Sie bleibt an langen Schultagen ohnehin zu Hause, da sie ihren Sohn häufig irgendwo einsammeln muss. Für Robins Mutter steht fest: "Tiere werden besser transportiert als unsere Kinder."

2. Leona (11 Jahre) 6. Klasse, KAG: Bis 16 Uhr Unterricht steht die 11-Jährige nach der Fahrt zum Bahnhof dort 20 Minuten alleine herum und wartet auf den Bus nach Kranenburg. Wenn es keine Verspätung gibt, ist sie um 17.20 Uhr zu Hause. Acht Stunden Schule, 1:20 Stunde Heimweg, das gibt dem Tag Struktur. Ihre Eltern überlegen, ob sie ihr Haus nicht vermieten und nach Kleve ziehen, da auch Leonas Schwester das KAG besucht.

3. René (13 Jahre) Freiherr-vom-Stein-Gymnasium, 7. Klasse: René muss morgens mit dem Bus aus Kranenburg zum Bahnhof, wo er in einen anderen einsteigt, der ihn zum Stein bringt. Wenn der Bus Verspätung hat, verpasst er den Anschluss. Konsequenz: 7:30 Uhr vom Bahnhof durch die Innenstadt zum Gymnasium rennen, um pünktlich auf seinem Stuhl zu sitzen. Rene ist 13 Jahre, doch dürfte das Problem für Fünftklässler, nach einer Stadtrallye rechtzeitig in der Klasse zu sitzen, erheblich größer sein.

4. Jens (13 Jahre) Gesamtschule Hoffmannallee, 7. Klasse: Wenn alles nach Plan läuft, fährt Jens in 1:20 Stunde nach Hause. Dreimal in der Woche hat er um 15.40 Uhr Schulschluss. Um nicht noch später anzukommen, rennt Jens von der Hoffmannallee die zwei Kilometer zum Bahnhof, um dort den 16.20-Uhr-Bus zu erreichen. Seine Mutter ist froh, dass ihr Sohn ein guter Sportler ist: "In der Regel schafft er das."

5. Alena (15 Jahre) Jahre, KAH, 8. Klasse: Sie kam mit einem blutigen Schienbein nach Hause. "In dem Bus wird nur geschubst. Die Kinder können sich nirgendwo festhalten", sagt ihre Mutter. Alena muss täglich vom Kellener Schulzentrum bis zur Haltestelle Offenberg rennen, um den Bus zu bekommen. Vergangene Woche kam sie dort an, der Fahrer winkte ab, ließ sie und ihre Freundinnen stehen. Der Bus war voll. Ihre Mutter musste sie abholen.

Carsten Seehafer ist stellvertretender Pflegschaftsvorsitzender am KAG. Er lobt die Schule, da diese so flexibel sei, den Unterricht der 8. Stunde, um 15 Minuten nach vorne zu verlegen, damit die Kinder den passenden Bus bekommen. Eltern hatten sich mit der Niag zusammengesetzt, um nach Lösungen zu suchen. "Es gab keine. Der Niag-Vertreter erklärte, er könne nichts ändern", so Seehafer. Auch bei der Stadt Kleve war sein Einsatz von überschaubarem Erfolg: "Man sagte mir, es gebe keine Probleme, niemand habe sich gemeldet." Dabei hatte Seehafer sogar das Antwortschreiben der Stadt vorliegen, nachdem eine Mutter sich ans Schulamt gewandt hatte. Hilfe gab es dort keine. Doch wird es die jetzt von der Kranenburger Verwaltung geben.

(RP)
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