Sammler erzählt bizarre Geschichte Vom Klever, der zweimal starb

Kleve · Martin Wennekers berichtet von einer bizarren Geschichte: Er besitzt die Totenzettel für einen Mann, der nach dem Ersten Weltkrieg für tot erklärt wurde, ein Jahr später aber plötzlich lebendig nach Kleve zurückkehrte. Der Mann starb 1978 „zum zweiten Mal“.

  Foto und Repros: Gottfried Evers

Foto und Repros: Gottfried Evers

Foto: Evers, Gottfried (eve)

„Jesus! Maria! Joseph! Willibrordus!“ – diese Passage prangt über dem Totenzettel für Wilhelm Vingerhoet aus Kleve. Die Trauer seiner Familie nach Ende des Ersten Weltkriegs muss groß gewesen sein: Der damals 20-Jährige soll am 10. November 1918, ausgerechnet am letzten Tag des Krieges, in Frankreich von einem Granatsplitter getroffen worden und den Heldentod für sein Vaterland gestorben sein. Das haben wohl Soldaten-Kollegen berichtet, die nach dem Krieg ohne Wilhelm Vingerhoet in ihre Heimat Kleve zurückgekehrt sind. Kurz darauf riefen die Angehörigen zum „frommen Andenken“ an ihren „christlichen Jüngling“ auf. „Möge ihm Gott der Herr das heldenmütige Opfer seines jungen Lebens reichlich belohnen“, heißt es in einem Totenzettel, der wohl bei der Trauerfeier für den jungen Mann ausgegeben wurde – vermutlich in der alten Kirche in Kellen. „Die Angehörigen dürften nicht schlecht gestaunt haben, als Wilhelm Vingerhoet ein Jahr später, zu Weihnachten 1919, plötzlich lebendig vor ihnen stand“, sagt Martin Wennekers.

Der Klever sammelt seit 30 Jahren Totenzettel und hat in der Zeit geschätzt 30.000 Stück zusammengetragen. Der Totenzettel für den Mann, der quasi zweimal gestorben ist, ist auch für ihn etwas ganz Besonderes. „Als Wilhelm Vingerhoet 1978 tatsächlich gestorben ist, haben seine Angehörigen wieder Totenzettel drucken lassen. Neben dem dann aktuellen Zettel führten sie auch den von 1918 daneben auf“, sagt Wennekers, dem so ein „Doppel-Zettel“ nie zuvor untergekommen ist. „Wilhelm Vingerhoet ist am letzten Tag des Ersten Weltkriegs nicht gestorben. Er ist in französische Kriegsgefangenschaft gekommen.“

Aus Sammler-Perspektive findet er die Idee mit dem kombinierten Totenzettel, der 1978 nach dem tatsächlichen Tod von Wilhelm Vingerhoet ausgegeben wurden, interessant. „Das ist ein einzigartiger Fall.“ Martin Wennekers hat in den vergangenen Jahren viel vor allem im Internet recherchiert. Wilhelm Vingerhoet soll auf dem Aldenhof zuhause gewesen sein und als Landwirt gearbeitet haben. Den doppelten Totenzettel fand er vor acht Jahren in einer Kiste voller Totenzettel, die ihm zugetragen wurde. „Ich war 2005 schon einmal auf den Zettel aufmerksam geworden, damals auf einem Treffen von Familienforschern“, berichtet Wennekers. Bezeichnend für den Zettel von 1918: Vermutlich hat ein Angehöriger nachträglich die Bemerkung „kam Weihnachten 1919 aus franz. Kriegsgefangenschaft zurück“ darauf notiert.

Auf dem Zettel wird die Frommheit der Familie deutlich. Auch wird ausführlich beschrieben, wo Wilhelm Vingerhoet gekämpft hat. „Nach einer längeren militärischen Ausbildung als Jäger rückte er im Sommer 1916 nach Rumänien aus“, steht auf dem Zettel. Damals muss Wilhelm Vingerhoet gerade einmal 18 Jahre alt gewesen sein. Es heißt weiter: „Von dort wurde er nach Italien versetzt, wo er viele und schwere Strapazen durchzumachen hatte, namentlich in den Wintermonaten infolge der dort herrschenden grimmigen Kälte, wodurch er sich auch ein schlimmes Fussübel zuzog, das ihn lange kampfunfähig machte.“ Nach seiner Genesung musste Wilhelm Vingerhoet offenbar im Frühjahr 1918, kurz nach seinem 20. Geburtstag, als Unteroffizier an die Westfront, wo er „nach vielen harten Kämpfen als Opfer seiner Pflichttreue auf dem Schlachtfeld geblieben ist“, wie es heißt.

Martin Wennekers verfolgt mit dem Sammeln von Totenzetteln ein Hobby, das auf viele erst einmal skurril wirkt. „Alles hat angefangen, als ich eine Zigarrenschachtel voller Totenzettel von einem Familienmitglied erhalten habe“, berichtet der 57-Jährige, der den Fokus seiner Sammlung auf die Region Niederrhein legt. Nach seiner Recherche weiß er auch: Die Familie Vingerhoet war durch den Ersten Weltkrieg gleich doppelt betroffen. Erst der Sohn, der für tot erklärt wurde und schließlich wieder zurückkehrte – und dann der Tod des Vaters Hermann Vingerhoet. Dieser ist wenige Tage nach der Rückkehr seines Sohnes, zur Jahreswende 1919/1920, an Schussverletzungen gestorben, die ihm belgische Besatzer an seinem landwirtschaftlichen Gut zugefügt haben sollen.

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