Lovestorys „Liebe kann kein Zufall sein“

Kleve · Dagmar Kehmeier ist Standesbeamtin in Kleve. Für uns blickt die 58-Jährige aus Kessel auf die letzten 17 Jahre ihrer Dienstzeit zurück, erzählt die schönsten Liebesgeschichten der Paare, die sie getraut hat.

               Dagmar Kehmeier an ihrem Arbeitsplatz im Klever Rathaus. Die 58-Jährige ist seit 17 Jahren Standesbeamtin und hat in dieser Zeit viele schöne Liebesgeschichten mitbekommen.

Dagmar Kehmeier an ihrem Arbeitsplatz im Klever Rathaus. Die 58-Jährige ist seit 17 Jahren Standesbeamtin und hat in dieser Zeit viele schöne Liebesgeschichten mitbekommen.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Als Dagmar Kehmeier am 1. Oktober 2002 als Standesbeamtin der Stadt Kleve anfing, hat sie noch an den Zufall geglaubt. Heute, 17 Jahre später, steht für sie fest, dass die Dingen nicht einfach zufällig passieren – zumindest nicht, wenn Liebe im Spiel ist. „Ich habe von unzähligen Menschen gehört, wie sie sich gefunden haben. Wenn ich mal über all diese Geschichten nachdenke, entsteht bei mir der Eindruck, dass das nicht alles allein auf wundersame Weise passiert sein kann – das muss Fügung sein“, sagt sie.

Das gilt auch für ihr eigenes Leben. Lange Zeit haben hauptsächlich Zahlen den Berufsalltag der heute 58-Jährigen bestimmt. Kehmeier ist seit 1981 im Öffentlichen Dienst. Sie war für Volkszählungen zuständig, hat bei der Stadtkasse, im Hauptamt und im Rechnungsprüfungsamt gearbeitet. Doch es schlummerte der Wunsch in ihr, etwas Neues auszuprobieren. „Ich habe im Rathaus aus meinem Fenster heraus die Hochzeitsgesellschaften gesehen. Das war immer schön“, blickt die Kesselerin zurück. Als sie 2002 las, dass bei der Stadt Kleve eine Stelle als Standesbeamtin ausgeschrieben war, hat sie sich beworben und wurde genommen. Als dann die erste Trauung kam, die sie durchführen durfte, war sie sehr aufgeregt. „Alles lief wie im Film ab“, erinnert sie sich. „Doch mir war sofort klar: Jetzt habe ich meinen Traumjob gefunden.“

Im Laufe der 17 Jahre, die Kehmeier jetzt schon Standesbeamtin ist, hat sie viele Liebesgeschichten gehört. Da gab es Paare, die schon im Sandkasten zusammen gespielt, sich als Teenager verliebt haben und schließlich als Erwachsene von Kehmeier getraut wurden. „Ich kenne viele Paare, die sich lange aus den Augen verloren haben, sich irgendwann wieder begegnet sind und sich dann erst so richtig verliebt haben“, sagt sie. Einer wollte kaum noch aus dem Haus gehen, ließ sich dann eines Abends von Freunden zu einem Restaurantbesuch überreden und ist dabei der Liebe seines Lebens begegnet. „Ein Paar hatte sich getrennt. Nach Jahren haben sie zur gleichen Zeit das selbe Hotel auf Mallorca gebucht, ohne davon zu wissen. Kurze Zeit später habe ich die beiden getraut“, erzählt Kehmeier. An einem Tag hat die Standesbeamtin zwei Paare getraut. „Beide haben sich am selben Tag in einem Lokal in Hamburg, das Frida B. hieß, kennen gelernt“, erinnert sich Dagmar Kehmeier. Alles Zufall?

Viele besondere Trauungen hat die Standesbeamtin im Laufe der Jahre durchgeführt. Sie ist zur Klever Justizvollzugsanstalt gefahren, um dort einen Häftling zu vermählen. Ein Datum, das ihr besonders in Erinnerung bleibt, ist der 1. Oktober 2017. Das war der Tag, an dem die „Ehe für alle“, also auch für gleichgeschlechtliche Paare, eingeführt wurde. „Zwei Männer in fortgeschrittenem Alter kamen zu mir. Einer von ihnen hat vor Rührung geweint und mir erzählt, dass er früher bestraft worden wäre, wenn er sich offenbart hätte. Dass es heute möglich ist, als schwules Paar zu heiraten, hat beide sehr bewegt“, sagt sie.

Dass ein Verlobter bei der Trauungszeremonie mal einen Rückzieher gemacht hätte, das ist ihr noch nie passiert. „Gott sei Dank“, sagt Kehmeier. In diesem Fall würde sie das Buch schließen, das Paar nach draußen bitten und es höflich darauf hinweisen, dass ein neuer Termin möglich wäre. Manche kommen mit großer Gesellschaft, andere Paare erscheinen alleine. Für Kehmeier ist das alles gleich schön. Es kommt vor, dass die Paare, die vor ihr stehen, schon hoch betagt sind. „Manchmal heiraten sie aus Liebe“, sagt sie mit einem Schmunzeln. Jede Dritte ehe wird wieder geschieden. Kehmeier sieht das so: „Zwei von drei Ehen halten.“

Kleve: Standesbeamtin Dagmar Kehmeier erzählt ihre schönsten Liebesgeschichten
Foto: grafik

Als Standesbeamtin ist Kehmeier für die Menschen von ihrer ersten bis zur letzten Stunde da. Geburtenanmeldung, Namensgebung, Vaterschaftsanerkennung, Anerkennung ausländischer Scheidungsurteile, und die Ausstellung von Sterbeurkunden – all das gehört zu ihren Aufgaben. Und manchmal liegen Glück und Leid so eng beisammen, dass man es kaum ertragen kann. Kehmeier wurde mal zu einer Nottrauung gerufen. Als die beiden sich verlobten hatten, wussten sie, dass der ältere Mann nicht mehr lange zu leben hatte, er war schwer krank. Für die Trauungszeremonie mobilisierte er noch einmal alle Kräfte. Zwei Stunden später war er tot. Kehmeier hat noch lange darüber nachgedacht. Auch dieses Erlebnis war für sie am Ende kein Zufall, sondern Fügung. „Liebe geht über den Tod hinaus“, sagt sie.

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