Mehrere Fälle in Kleve Missbrauchsvorwürfe gegen ehemaligen Direktor des Stein-Gymnasiums

Kleve · Der 1991 verstorbene Priester war auch in Reichswalde, Keeken und Bimmen tätig. Der Fall wirft ein Licht auf das Versagen der Kirche bei Aufklärung in der Vergangenheit. Melden sich nun weitere Betroffene?

 Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve.

Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Es ist ein Fall, der viele Fragen aufwirft, ein Licht auf das Versagen der Kirche bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Vergangenheit wirft und der viele Klever berühren wird, weil es sich um „ihre“ Schule handelt. Alfons Freistühler, ein 1991 verstorbener Priester, der von 1970 bis 1980 als Studiendirektor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve tätig war, wird in mehreren Fällen sexueller Missbrauch vorgeworfen. Zu den Taten soll es während seiner Zeit als Schulleiter gekommen sein.

Der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings, steht in Kontakt mit drei Betroffenen. In zwei Fällen wurden auch bereits sogenannte Anerkennungszahlungen geleistet. Aufgrund der bisherigen Berichte rechnet Frings damit, dass es weitere Betroffene gibt. Der beschuldigte Priester war seit 1971 auch als Seelsorger in Reichswalde eingesetzt und war von 1980 bis 1988 Pfarrverwalter in Keeken und Bimmen.

Alfons Freistühler war Direktor am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve

Alfons Freistühler war Direktor am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve

Foto: Privatarchiv

Es ist nicht das erste Mal, dass Vorwürfe gegen Freistühler erhoben werden. In der Vergangenheit hatte sich die Katholische Kirche allerdings nicht um öffentliche Aufklärung bemüht. So wurde der damalige Münsteraner Bischof Reinhard Lettmann offenbar bereits in den 1980er Jahren, und damit noch zu Lebzeiten Freistühlers, auf sexuellen Missbrauch hingewiesen. 1988 hatte Freistühler Bischof Lettmann um seinen Rücktritt gebeten, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Nach Aussage eines Betroffenen waren hierfür aber nicht „gesundheitliche Gründe“ ausschlaggebend, sondern die Missbrauchsvorwürfe.

Dieser Betroffene hat Frings mitgeteilt, dass Bischof Lettmann um das Jahr 1988 herum einen Brief von ihm erhalten habe, in dem er über den sexuellen Missbrauch berichtet habe. Lettmann habe sich daraufhin nie bei ihm gemeldet. Der Betroffene geht davon aus, dass Bischof Lettmann die Taten vertuschen wollte. Ein zweiter Betroffener hat dem Interventionsbeauftragten mitgeteilt, dass er von einer größeren Zahl von Betroffenen, „mindestens 13 betroffenen Jungen und ein Mädchen“, ausgehe. Es sei auch unwahrscheinlich, dass Lehrer am Gymnasium nichts von dem Missbrauch mitbekommen hätten.

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Foto: AP

Ein Betroffener hat sich 2010 an das Bistum gewandt. Auch damals hat es keine öffentliche Aufarbeitung gegeben, obwohl der Betroffene es offenbar ausdrücklich gewünscht hatte. Peter Frings, der selbst bis 1977 Schüler am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium war und den Priester aus dieser Zeit kennt, sagt, er könne weder erklären noch nachvollziehen, warum dieser Schritt damals nicht vollzogen worden sei.

Nun geht das Bistum Münster mit dem Fall Freistühler auf Bitte von Betroffenen an die Öffentlichkeit. Zuletzt hatte sich Ende 2022 ein Betroffener beim Bistum gemeldet, nachdem er sich in der Propsteipfarrei St. Mariä Himmelfahrt die im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern der Universität Münster zum sexuellen Missbrauch im Bistum ausgeliehen hatte. Da der Betroffene in der Studie keinerlei Hinweis auf Freistühler fand, wandte er sich an Propst Johannes Mecking. Der wiederum soll umgehend Kontakt zum Interventionsbeauftragten des Bistums, Peter Frings, aufgenommen haben. Darüber hinaus hatte sich schon 2021 ein Betroffener bei Frings gemeldet. „Seitdem gab es zum weiteren Vorgehen und zur Frage der Veröffentlichung des Falles einen engen Austausch zwischen den Betroffenen und dem Interventionsbeauftragen“, heißt es in einer Mitteilung des Bistums.

Die Betroffenen hätten nun den Wunsch, dass die Fälle öffentlich gemacht werden. Nachdem Frings noch 2021 den Kontakt zu einem Betroffenen hatte, der seinerzeit ausdrücklich keine Öffentlichkeit wünschte, hält auch der Interventionsbeauftragte diesen Schritt nun für geboten. „Wir müssen uns als Bistum dem Geschehen stellen und gegenüber der Öffentlichkeit wie gegenüber den Pfarreien und Institutionen, in denen der Priester tätig war, für Transparenz sorgen“, sagt er. Die Pfarreien und Schulen, in denen der Priester im Bistum Münster tätig war, wurden durch das Bistum vor der Veröffentlichung über den Sachstand unterrichtet.

Alfons Freistühler wurde 1914 geboren und 1941 zum Priester geweiht. Er war ursprünglich Paderborner Bistumspriester und wechselte erst Ende der 1980er Jahre offiziell als Priester ins Bistum Münster. Vor seiner Zeit in Kleve war er am Gymnasium Petrinum Brilon eingesetzt – dort war es bereits zu erheblichen Verwerfungen gekommen, wie aus Akten hervorgeht. Vorwürfe sexuellen Missbrauchs aus seiner Zeit im Erzbistum Paderborn gibt es laut Bistum bisher aber keine.

Wie genau sich die Fälle am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve abgespielt haben, dazu äußert sich das Bistum nicht. Aus Rücksicht auf die Betroffenen, wie es heißt. Ein wichtiger Aspekt sei der Wunsch der Betroffenen, dass ehemalige Mitglieder des Lehrerkollegiums möglicherweise noch weitergehende Hinweise zum sexuellen Missbrauch durch den Priester beisteuern können, erklärt Frings.

Auch viele ehemalige Schüler werden die Veröffentlichungen nun aufwühlen. Es gibt viele Geschichten über die Zeit von Freistühler, der Geschichte und Religion unterrichtete. Er soll für seine Lehrmethoden bekannt gewesen sein und auch von körperlicher Züchtigung Gebrauch gemacht haben, wie ehemalige Schüler berichten. Als Freistühler seinen Dienst am Freiherr-vom-Stein-Gymnaisum beendete, erhielt der damalige Schulpflegschaftsvorsitzende reichlich Applaus, als er dem Pensionär als Geschenk eine Schallplatte überreichte und dazu erklärte, dass er dadurch einmal zuhöre und sich nicht nur anderen mitteile. Freistühler starb im Jahr 1991. Er ist im Priesterrondell in Kleve beigesetzt.

Auch beim Freiherr-vom-Stein-Gymnasium und der Stadt Kleve erfuhr man am Donnerstag von den Fällen. Seit 1974 ist die Stadt Kleve Trägerin des Gymnasiums, das sich zuvor als Staatliches Gymnasium in Trägerschaft des Landes Nordrhein-Westfalen befand. Kleves Bürgermeister Wolfgang Gebing reagierte mit großer Betroffenheit auf die nun bekannt gewordenen Vorfälle: „Meine Anteilnahme und mein tiefes Mitgefühl für diese schockierenden Vorfälle gilt den Betroffenen. Das ihnen zuteil gewordene Leid ist unvorstellbar. Ich respektiere den schwierigen, jedoch zugleich nicht minder wichtigen Schritt, für ein derart sensibles Thema eine Öffentlichkeit herzustellen. Die Stadt Kleve setzt sich in diesem Sinne selbstverständlich für eine vollständige Aufklärung des Geschehenen ein und wird behilflich sein, wo dies heute noch möglich ist.“

Es existiere ein Dossier eines Historikers zu dem Fall Alfons Freistühler, das jedoch bislang durch das Bistum Münster nicht zur Verfügung gestellt worden ist. Als Schulträgerin werde sich die Stadt Kleve für die Herausgabe dieses Dossiers einsetzen, heißt es. Zugleich betont Bürgermeister Gebing, dass die vergangenen Vorfälle keinerlei Implikationen auf das heutige Schulleben in Kleve haben: „Es steht fest, dass sich das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium und alle übrigen Klever Schulen heute entschieden und aktiv gegen alle Formen der Gewalt und des sexuellen Missbrauchs stark machen. Sämtliche Verantwortliche tragen stets größte Sorge dafür, dass ihre Schulen sichere und geschützte Lernumgebungen schaffen, die für das Aufwachsen und die Entwicklung der Kinder essenziell sind.“

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