Sexueller Missbrauch in Kleve Immer mehr Betroffene im Fall Freistühler

Kleve · Nachdem bekannt wurde, dass der ehemalige Schulleiter Alfons Freistühler Kinder sexuell missbraucht hat, steigt die Zahl der Betroffenen auf zehn. Das Bistum geht von mehr Fällen aus. Was passiert mit dem Grab des Priesters?

Das Kollegium des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums im Jahr 1972. Alfons Freistühler (Brille, schwarze Krawatte) sitzt mittig in der vordersten Reihe.

Das Kollegium des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums im Jahr 1972. Alfons Freistühler (Brille, schwarze Krawatte) sitzt mittig in der vordersten Reihe.

Foto: Schularchiv

Die Berichterstattung über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Alfons Freistühler hat offenbar eine Lawine losgetreten. Immer mehr Betroffene finden den Mut, über die Taten des verstorbenen Priesters zu sprechen. Zur Erinnerung: Freistühler war von 1970 bis 1980 als Oberstudiendirektor des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve tätig, ihm wird sexueller Missbrauch vorgeworfen.

„Innerhalb von drei Tagen haben sich sechs weitere Betroffene bei uns gemeldet“, sagt der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings. „Das ist auch im Vergleich zu anderen Fällen viel.“ Demnach wurden fünf Betroffene während der Zeit Freistühlers in Kleve Opfer sexuellen Missbrauchs. Aber auch eine erste Person aus Brilon hat sich gemeldet. Alfons Freistühler war ursprünglich Paderborner Bistumspriester und wechselte erst Ende der 1980er Jahre offiziell als Priester ins Bistum Münster. Vor seiner Zeit in Kleve war er am Gymnasium Petrinum Brilon eingesetzt – dort war es bereits zu erheblichen Verwerfungen gekommen. Nun gibt es auch dort einen ersten Bericht über sexuellen Missbrauch.

Der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings.

Der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster, Peter Frings.

Foto: Peter Frings

Die Betroffenen berichten von bestürzenden Vorfällen. „Es sind alles Meldungen von grenzverletzendem und völlig unangemessenem Verhalten“, sagt Frings. Zum Teil sei es bei Anbahnungsversuchen geblieben, zum Teil zu einmaligen Übergriffen gekommen. Es sind aber auch mehrfache Übergriffe bekannt. „Eine Person hat davon berichtet, von einer Sekretärin gerettet worden zu sein“, sagt Frings. Diese sei hereingekommen, habe das Kind gesehen und mitgenommen. „Die Person schildert, dass sie bis heute dankbar ist, dass die Frau eingeschritten ist.“ Öffentlich wurden die Vorgänge damals freilich nicht. Weil ein Machtverhältnis bestand? Wie viele Menschen wussten um die Taten Freistühlers? Gab es ein systematisches Schweigen an der Schule und in den Gemeinden? Noch sind viele Fragen offen.

Die nun bekannt gewordenen Fälle beziehen sich sowohl auf Freistühlers Zeit als Schulleiter als auch auf seine Tätigkeit als Priester. Er war seit 1971 als Seelsorger in Reichswalde eingesetzt und war von 1980 bis 1988 Pfarrverwalter in Keeken und Bimmen.

Mit vier bereits Ende vergangener Woche bekannt gewordenen Fällen liegt die Zahl der Betroffenen nun bei zehn. Der Interventionsbeauftragte des Bistums Münster geht davon aus, dass es aber noch mehr Fälle gibt. „Uns liegen Schilderungen von Betroffenen vor, die von anderen Fällen wissen, die noch nicht öffentlich gemacht worden sind“, sagt Frings. Dem Bistum liegen ebenfalls Briefe vor, die Freistühler in den 1970er-Jahren hat verfassen lassen und in denen er sich über Schüler äußert, mit denen er auf eine mehrwöchige Sommerreise fährt. Darin schlägt Freistühler vor, dass Jungen in seinem Zimmer schlafen sollen. Kopien der Briefe habe man zur weiteren Bearbeitung der Staatsanwaltschaft Kleve zur Verfügung gestellt, sagt Frings.

Ein wichtiger Aspekt sei der Wunsch der Betroffenen, dass ehemalige Mitglieder des Lehrerkollegiums möglicherweise noch weitergehende Hinweise zum sexuellen Missbrauch durch den Priester beisteuern können, hatte es vom Bistum bei Bekanntwerden des Falls Freistühler geheißen. Dazu sei es bisher nicht gekommen.

Es existiert ein von Historikern angefertigtes Dossier zu dem Fall, das jedoch bislang nicht öffentlich zur Verfügung gestellt worden ist. Die Stadt Kleve hat bereits angekündigt, sich für für die Herausgabe dieses Dossiers einzusetzen. Das Bistum betont, dem nicht im Wege zu stehen. Mit dem Bild, das sich nun immer klarer zeichnet, wird es fortgeführt werden müssen.

Alfons Freistühler ist 1991 gestorben. Er ist auf dem Klever Friedhof begraben, im sogenannten Priesterrondell. Die Ruhezeit ist in der Zwischenzeit abgelaufen, in Kleve muss nun entschieden werden, was mit dem Grab passiert. Also ob es abgeräumt wird oder erhalten bleibt und zum Beispiel um die nun ans Tageslicht kommenden Informationen ergänzt wird. Es werde keine Einflussnahme aus Münster geben, man werde die Entscheidung in Kleve respektieren, sagt Frings. Er habe jedoch empfohlen, die Grabplatte nicht einfach abzuräumen, kurz bevor die Öffentlichkeit über den sexuellen Missbrauch informiert wurde.

Nach Jahren des Schweigens, nach Jahren, in denen sich Betroffene auch vergeblich an Kirchenvertreter gewandt hatten, soll nun der Eindruck vermieden werden, dass man etwas unter den Teppich kehren will.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort