Flucht endete tödlich Klinik-Geiselnehmer gesteht zum Prozessauftakt in Kleve

Kleve/Bedburg-Hau · Der 44-jährige Angeklagte bestätigt, an der Flucht vor einem Jahr beteiligt gewesen zu sein, die für seinen Mittäter tödlich endete. Die beiden hatten einen Pfleger als Geisel genommen.

Kleve: Prozessbeginn und Geständnis nach Flucht aus Klinik in Bedburg-Hau
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Geständnis nach Flucht aus LVR-Klinik Bedburg-Hau

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Foto: dpa/Fabian Strauch

Die Flucht aus einem Gefängnis oder einer forensischen Psychiatrie ist in Deutschland nicht strafbar. Zwar muss der Flüchtige damit rechnen, wieder festgenommen und inhaftiert zu werden. Zusätzliche Strafen drohen ihm aber nicht. Es sei denn, er hat bei seinem Fluchtversuch eine Straftat oder mehrere begangen. Hat er beispielsweise einen Gefängniswärter bestochen oder bewusstlos geschlagen, um zu fliehen, muss der Flüchtige mit einer weiteren Strafe rechnen.

Das gilt auch für Straftäter, die eine Geisel genommen haben, um zu fliehen. Eine Geisel nahm auch ein heute 44-Jähriger, geboren in Düren, der sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Kleve verantworten muss. In der forensischen Entziehungsanstalt der LVR-Klinik Bedburg-Hau kidnappte er vor einem Jahr einen seiner Pfleger. Er tat dies zusammen mit einem weiteren Forensikpatienten. Die Männer waren mit einer aus einer Rasierklinge gebastelten Waffe unterwegs – und mit einem Messer aus dem Vorrat der Klinik.

Mithilfe dieser Waffen gelang es den beiden Fluchtwilligen im Mai 2020, im Aufenthaltszimmer der LVR-Pfleger die Kontrolle zu übernehmen. Einen der Pfleger sperrten sie in den Kriseninterventionsraum der Station, drohten ihm wohl mit dem Tode des Kollegen. Dem Kollegen hielten sie geschärftes Metall an die Kehle und erklärten ihm: Sorge dafür, dass der Pförtner die Schleuse öffnet, sonst stirbst du.

Der Pfleger leistete Folge, erklärte dem Pförtner via Sprechinstallation um etwa 22.20 Uhr, dass er nun zusammen mit zwei Patienten den Müll rausbringen wolle. Der Pförtner öffnete die Schleuse – und den beiden Straftätern damit das Tor zur vorläufigen Freiheit.

Mit dem Pkw ihrer Geisel, welche sie in Bedburg-Hau zurückließen, flüchteten die damals 37- und 43-jährigen Männer. Keine erfolgreiche Flucht: Der heute 44-Jährige wurde am nächsten Tag festgenommen – sein Mitpatient und Komplize starb durch Polizeischüsse.

Die Beamten hatten das Duo einen Tag nach dem Ausbruch in Aachen gesichtet und festzunehmen versucht. Allerdings zeigten sich die Männer laut Anklage nach ihrer Aufdeckung gewaltbereit: Der heute verstorbene Flüchtige habe eine Frau unter Vorhalt eines Messers als Geisel genommen, daraufhin seien die tödlichen Polizeischüsse gegen ihn gefallen, erklärt das Klever Landgericht die Anklage.

Der heute 44-jährige Angeklagte überlebte den Zugriff in Aachen. Zwar zückte auch er angesichts der auftauchenden Polizeikräfte scheinbar ein Messer, widerstand sogar dem Einsatz von Pfefferspray seitens Beamter. Doch der Biss eines Polizeihundes, in Zusammenhang mit dem Zugriff der Polizisten, ermöglichte schließlich die Festnahme des heute angeklagten Mannes – lebendig.

Der Angeklagte legte am Mittwoch vor dem Klever Landgericht ein weitgehendes Geständnis ab. Er räumte ein, seinen mittlerweile erschossenen Komplizen angewiesen zu haben, am Fluchtabend unter Vorwand ein Messer bei den LVR-Pflegern zu holen. Und er räumte ein, dann zusammen mit seinem Komplizen unter Vorhalt des Messers und unter Vorhalt einer selbstgebauten Rasierklingen-Waffe den Pflegerraum infiltriert zu haben. Er erklärte, den Pfleger als Geisel genommen zu haben, mit dessen Hilfe entkommen und dann mit dessen Pkw und zusammen mit dem 37-Jährigen zunächst in die Niederlande geflohen zu sein.

Über Nimwegen und Venlo soll der Fluchtversuch laut Angeklagtem schließlich in Aachen geendet haben, wo die Polizeischüsse gegen den 37-Jährigen Fluchtkomplizen des Angeklagten fielen. Nach mehrmaliger Warnung und Aufforderung, das Messer fallen zu lassen, wurde der Komplize dort von der Polizei erschossen.

 Der Angeklagte legte ein Geständnis im Prozess ab.

Der Angeklagte legte ein Geständnis im Prozess ab.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Der Angeklagte äußerte am Mittwoch seine Reue wegen der Geiselnahme und der Flucht. Das lebensbedrohende Auftreten, das er gegenüber des LVR-Personals an den Tag gelegt habe, habe ausschließlich der Flucht gedient, so der 44-Jährige. Auslöser für die Tat sei ein Gerichtsbeschluss gewesen, dass er nach seinem Maßregelvollzug zur Drogenentgiftung wegen zweier alter Straftaten wieder in reguläre Haft kommen sollte, sagte die Anwältin des Mannes. Das habe ihn völlig aus der Bahn geworfen, weil er keine Perspektive mehr gesehen habe.Alkohol, Drogen, Entgiftungen und Rückfälle zögen sich wie ein roter Faden durch das Leben des Angeklagten, sagte seine Anwältin. Er ist laut Bundeszentralregister 17 Mal vorbestraft, meist wegen Drogendelikten und Beschaffungsdiebstählen.

(lils/dpa)
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