Fledermaus-Netzfang in Uedem Auf den Spuren der Nachtschwärmer

Kleve/Goch/Uedem · Bevor Bauvorhaben realisiert werden können, muss geprüft werden, ob besondere Tierarten davon beeinflusst werden. Da kommt die Firma Graevendal ins Spiel: Sie macht unter anderem Fledermaus-Netzfänge. Wir durften sie begleiten.

Kleve: Eine Nacht mit den Fledermausjägern
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So sieht der Netzfang bei Nacht aus

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Foto: Sebastian Esch

Das Tier zappelt im Netz. Jetzt muss es schnell gehen. Es ist 21.51 Uhr und schon so dunkel, dass die eigene Hand kaum zu erkennen ist. Nur die Helmlampen auf den Köpfen von zwei Männern erleuchten die Szene. Sie versuchen, das Tier aus dem Netz zu schneiden. Quietschen, Schreie und Laute, die wie das Piepen einer Maus klingen. Noch ein Schnitt mit der Schere, und die Breitflügelfledermaus ist aus dem Netz befreit. Für das Tier geht es nun erstmal in einen kleinen Beutel. Die Handschuhe des einen Mannes sind Nass. „Das passiert oft. Wenn die Tiere Angst haben, koten die sich schonmal ein“, sagt Cedric Czernia.

Der 29-Jährige ist Mitarbeiter der Firma Graevendal. Sein Begleiter Hans Steinhäuser (32) ist Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens. Graevendal, ein Büro für Faunistik und Ökologie, führt unter anderem Fledermaus-Netzfänge durch. „Wenn Bauvorhaben anstehen, beispielsweise eine neue Straße, dann prüfen wir, inwiefern davon Tiere in der Umgebung beeinflusst werden“, sagt Steinhäuser. Es reiche ja, ein paar Bäume zu fällen, um gewissen Arten ihr natürliches Zuhause zu nehmen. Bei fast allen Einsätzen geht’s dabei um Fledermäuse. „Aber wir hatten auch schonmal Eidechsen oder besondere Vogelarten.“ Das Ziel eines Netzfang sei es, „den Tieren einen Sender zu geben, der uns zu den Quartieren führt“, sagt Steinhäuser.

Heute steht ein Netzfang in Uedem an. „Der Tagesablauf geht dann ungefähr von 19 bis 6 Uhr“, sagt Hans Steinhäuser. Wie man das aushält? „Naja, Energy-Drinks, Müsliriegel und kalte Pizza haben sich bewährt“, sagt er und lacht. Es ist kurz nach 19 Uhr. „Die Netze sollen vor dem Sonnenuntergang aufgebaut sein, sonst behindert das nur den Aufbau“, sagt der Biologe.

Engagiert wird das Unternehmen von den Bauträgern. „Viele machen das natürlich nicht gerne, da entstehen ja Kosten.“ Die Hauptaufgabe von Graevendal ist eigentlich das Kartieren. „Wenn wir für einen Bereich engagiert werden, dann geht es erst einmal mit einem Ultraschall-Detektor durch die Gegend“, sagt Czernia. Da Fledermäuse sich per Ultraschall verständigen, der für das Gehör des Menschen nicht wahrnehmbar ist, braucht es so eine Technik. Dort, wo ein Tier entdeckt wird, markieren sich Steinhäuser und sein Team dann die Stelle in einer digitalen Übersicht. „Außerdem versuchen wir immer, die Art zu bestimmen, damit wir genau wissen, womit wir es in welcher Region zu tun haben“, sagt Czernia.

Die Netze können erst etwa 45 Minuten nach dem Sonnenuntergang aufgestellt werden. „Dann sind nämlich keine Vögel mehr unterwegs“, erklärt Czernia. Ungefähr um 21.20 Uhr soll es heute soweit sein. Das sei auch die Zeit, in der die Fledermäuse beginnen, aktiv zu werden. „Wir bauen eine gute Stunde vor dem Morgengrauen wieder ab, weil dann die Vögel herauskommen und die Fledermäuse von ihren Nachtausflügen. Sonst hätten wir Dutzende auf einmal“, erklärt Steinhäuser.

Dass sie einmal Fledermausjäger werden, haben beide nicht geahnt. „Ich bin eher durch Zufall hier herein gerutscht“, sagt Czernia. „Es ist wie bei so vielen, man studiert – in meinem Fall Biologie – und danach fragt man sich dann, was mache ich eigentlich jetzt damit.“ So kam er zum Büro Graevendal.

Der Weg von Steinhäuser ist außergewöhnlicher. „Ich habe Biogeographie studiert. Und danach geschaut, was ich damit so machen kann.“ Er landete in Afrika, lernte seine heutige Frau kennen. „Dort haben wir an Hyänen geforscht. Das war wahnsinnig spannend“, sagt der 32-Jährige. Er kehrte mit seiner Frau aber nach Deutschland zurück. „Hier nahmen wir dann beide einen Job als Fledermauskartierer an.“ Bis zum Gedanken an die Selbstständigkeit dauerte es dann nicht mehr lange. „Seit etwa fünf Jahren haben wir nun schon unser Büro. Und gerade dieses Jahr ist wirklich die Hölle los“, sagt Steinhäuser. „Inzwischen möchte ich gar nichts anderes mehr machen.“

Auf einem Feld nahe einem Waldstück in Uedem: Steinhäuser schnappt sich Metallstangen und schlägt sie in den Boden. Daran befestigt er die Netzhalterung. „Unsere Netze sind aus Puppenhaarnetz, so fein und leicht, dass sich die Tiere dadurch nicht verletzen“, sagt Steinhäuser. Insgesamt bauen die beiden heute neun Netze auf. Die größten sind neun Meter breit und acht Meter hoch. Für zwei große Netze geht es durch den Wald. „Und diese Strecken müssen wir heute Nacht alle 15 Minuten patrouillieren“, sagt Czernia. So seien die Vorgaben, damit die Tiere nicht unnötig lange im Netz gefangen sind.

In Deutschland gibt es 25 verschiedene Fledermausarten. „Alle essen Insekten. Deshalb seien der Wald und die Nähe zu kleinen Flüssen ein optimaler Punkt für den Aufbau. Außerdem muss das Wetter mitspielen. „Wenn es regnet, fliegen die Tiere nicht. Dann können wir direkt wieder abbauen“, sagt Czernia.

Um 21.25 Uhr steht alles. Eine knappe halbe Stunde haben die beiden jetzt, um die Ruhe und den Himmel zu genießen. „Draußen bei angenehmen Temperaturen sitzen, die Sterne beobachten – das ist doch Lebensqualität“, sagt Steinhäuser.

Dann, 21.45 Uhr, geht es los. Die Netze werden ausgefahren. Der erste Fang des Abend ist allerdings nicht geplant – es handelt sich um ein Rotkehlchen. „Die ist aber noch spät unterwegs“, sagt der Chef. Aber alles in Ordnung: Ein paar Schnitte am Netz, und der Vogel fliegt davon.

Fast zeitgleich befinden sich drei Fledermäuse in den Netzen. Es wird hektisch. „Schmeiß mir mal die Schere her“, „Ich brauch einen Beutel“, „Schnell hier herüber“. Bei kleinen Fledermausarten geht die Befreiung ganz gut alleine. „Bei der Breitflügelfledermaus ist es aber besser, zu zweit zu sein. Die ist schon eine gute Ecke größer und beißt auch härter zu“, sagt Czernia. Ganz ungefährlich ist die Arbeit übrigens nicht. „Die Fledermaus gilt nach wie vor als eines der Tiere, die Tollwut übertragen können. Dagegen sollte man geimpft sein“, sagt Steinhäuser.

Kaum sind die drei Fledermäuse aus den Netzen heraus, sind schon die nächsten drei gefangen. Da die beiden nicht mehr hinterher kommen, entscheiden sie: Netze erstmal wieder einholen.

Nach der Befreiung kommen die Fledermäuse für kurze Zeit in einen Beutel, damit sie vermessen, gewogen und markiert werden können. Zum Wiegen legt Steinhäuser den Beutel in eine kleine Schale, die auf einer Waage steht. „24 Gramm“, liest Czernia ab. „Die Breitflügelfledermäuse wiegen deutlich mehr als viele der kleineren Arten.“ Die anderen fünf bislang gefangenen Tiere wiegen zwischen vier und neun Gramm.

Im Anschluss wird der Flügel vermessen und über eine Taschenlampe gehalten. „Dadurch ist es uns möglich, zu bestimmen, ob wir ein junges oder älteres Tier haben“, so Czernia. Das funktioniere anhand der Struktur und Beschaffenheit des Flügels. Czernia stellt roten Nagellack auf den Tisch. „Damit werden die Tiere markiert. Nur ein kleiner Tropfen auf eine der Krallen.“ So gehe man sicher, dass man nicht mehrfach dasselbe Tier fängt. Zum Schluss wird noch ein Sender am Tier befestigt. Damit statten die beiden Biologen Fledermäuse aus, damit sie wissen, wo die Tiere ihre Quartiere haben.

Für einen Sender eignet sich aber nur eines der gefangenen Tiere. „Wir rüsten keine Jungtiere mit Sendern aus und zudem nur Weibchen. Die sind nämlich immer in den Quartieren. Die Männer sind da nicht so treu, die wechseln jede Woche“, sagt Steinhäuser und lacht. Um den Sender zu befestigen, schneidet Steinhäuser zunächst ganz vorsichtig ein kleines Stück Fell vom Rücken ab. Dann wird der Sender mit Klebstoff in der entstandenen Lücke befestigt. „Die kleine Antenne die noch daran ist, behindert die Tiere nicht. Sie ist biegsam und geht in jede Richtung mit“, erklärt Czernia. Zum Schluss wird die Stelle mit dem abgeschnittenen Fell wieder zugeklebt.

Eine gute Stunde dauert es, bis alle sechs Tiere wieder frei sind. Für Hans Steinhäuser und Cedric Czernia heißt das: die Netze können wieder ausgefahren werden. Schnell ein Schluck aus dem Energy-Drink, dazu ein Biss in die kalte Pizza. Dann springen die beiden Biologen wieder auf. Die Nacht hat gerade erst angefangen.

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