Neues Jahrzehnt Die 20er als Lieblingsjahrzehnt

Kleve · Der bekannte Illustrator und gebürtige Kranenburger Robert Nippoldt gilt als Experte für die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Heute, am 20. Januar 2020, blicken wir mit ihm auf das Jahrzehnt vor hundert Jahren und auf das beginnende.

  „A Night in Berlin, Szene für das Buch „Berlin“, TASCHEN Verlag, 2017“.     Zeichnung:  Robert Nippoldt

„A Night in Berlin, Szene für das Buch „Berlin“, TASCHEN Verlag, 2017“. Zeichnung: Robert Nippoldt

Foto: nippoldt

Endlich darf Robert Nippoldt die 20er Jahre mal selbst erleben. Der bekannte Illustrator, der in Münster lebt und in Kleve geboren wurde, gilt als Experte für die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Er hat nicht nur eine Vielzahl von Büchern über das Jahrzehnt, das vor hundert Jahren begann, illustriert und geschrieben, sondern sein halbes Leben danach ausgerichtet. Heute, am 20. Januar 2020, blicken wir mit ihm zurück und in die Zukunft.


So fing alles an
Bis 2004 hatte Robert Nippoldt wenig mit den 20er Jahren am Hut. „Dann brauchte ich ein Thema für meine Diplomarbeit. Ich mochte schon immer Gangsterfilme, so kam ich auf die Gangsterszene der 20er Jahre“, blickt der 42-Jährige zurück. Für die Recherche zu dem Buch, das er illustrieren wollte, flog Nippoldt nach Chicago und New York. In Bibliotheken wälzte er historische Tageszeitungen aus den 20ern durch, da war es um ihn geschehen. „Es gab keine Fotos, alles war illustriert. Ich dachte nur ,wow – ist das faszinierend’“ , sagt Nippoldt. Diese Faszination setzte Nippoldt in Kreativität um. Sein Diplombuch „Gangster. Die Bosse von Chicago“ fand gleich einen Verleger, und Nippoldt konzentrierte sich fortan auf die Buchkunst.


Nachfolge-Werke
Nach zweijähriger Arbeit erschien im Herbst 2007 Nippoldts zweites Buch „Jazz im New York der wilden Zwanziger“, das von der Stiftung Buchkunst zum schönsten deutschen Buch 2007 gekürt wurde. Der dritte Teil der Trilogie, „Hollywood in den 30er Jahren“, wurde im Herbst 2010 veröffentlicht. 2017 erschien sein viertes Buch „Es wird Nacht im Berlin der Wilden Zwanziger“ im Taschen Verlag.
Die 20er als Lebensstil
Spätestens 2017, als er die 20er Jahre in Deutschland analysierte,  war Nippoldt dem Jahrzehnt endgültig verfallen. „Das war eine kulturelle Blütezeit. Tolle Fotografen traten hervor, der Jazz schwappte aus den USA nach Deutschland über, im Theater wurde revolutioniert, unter anderem von Bertholt Brecht und Kurt Weill. Deutschland war kulturell plötzlich ein Weltstaat, stellte Kult-Regisseure und Stars wie Marlene Dietrich“, schwärmt Nippoldt. Weil er inzwischen durch seine Werke ziemlich bekannt geworden war, wurde Nippoldt immer gefragter. Für einen Auftritt im ZDF kaufte er sich Kleidung aus den 20er Jahren. Die gefiel im irgendwie, so dass er sich auch auf Ausstellungen im Stil der 20er kleidete. „Mit der Zeit sammelte sich immer mehr bei mir an. Ich kaufte mir Schiebermützen, ein Grammofon und vieles mehr“, berichtet Nippoldt. Nach und nach tauchte er immer tiefer in sein Lieblingsjahrzehnt ein. Er entdeckte, dass es eine große Szene für die 20er Jahre gibt, auch in Münster, wo er lebt und arbeitet. Er begann sich für den  Tanz Charleston zu interessieren, fing an, Tans-Szenen zu zeichnen und sich regelmäßig mit Gleichgesinnten zu treffen. Ein Leben für die 20er.

  Robert Nippoldt: Ein Selbstporträt.

Robert Nippoldt: Ein Selbstporträt.

Foto: nippoldt


Die große Sause
Als Nippoldt seiner damaligen Freundin einen Heiratsantrag machte, war klar, dass bei der Hochzeit die 20er Jahre eine große Rolle spielen mussten. „Sie war ja eh schon die ganze Zeit dabei, ob sie wollte oder nicht“, sagt Robert Nippoldt schmunzelnd über seine Frau und seine Leidenschaft, die 20er. So wurde die Hochzeitsfeier zur ganz großen Sause. Es ging fast wie beim Großen Gatsby zu: Über einen Veranstalter buchte das Ehepaar eine Zugfahrt mit einer historischen Diesellok. Mit Freunden begaben sie sich auf Schienen auf eine Zeitreise in die 20er und wieder zurück. Am Veranstaltungsort feierte die Gruppe die große Party im Stil der 20er: Ein Josephine-Baker-Double tanzte, es gab eine Varieté-Show und viel Gesang. Um Mitternacht feuerte ein als Gangster verkleideter Bekannter Schüsse aus einer nachgeahmten Maschinenpistole ab.


Vom Buch zur Bühne
Das alles hat Robert Nippoldt so viel Spaß bereitet, dass er beschloss, seine Karriere durch Live-Auftritte zu ergänzen. So bot Nippoldt eine Konzertlesung mit dem „Just Jazz Trio“ und Texten von Hans-Jürgen Schaal aus dem Buch „Jazz im New York der wilden Zwanziger“ an. Der neueste Clou ist „Ein rätselhafter Schimmer. Eine poetische Amüsiershow über das Berlin der 20er Jahre“. Dafür ist Nippoldt mit dem „Trio Größenwahn“  unterwegs und nimmt seine Gäste mit Live-Zeichnungen, Gassenhauern und Chansons von Marlene Dietrich, Friedrich Hollaender, aus der Dreigroschenoper bis hin zu den Comedian Harmonists  mit auf eine bild- und tongewaltige Zeitreise. Unter anderem sind sie schon im Kurhaustheater Augsburg, in den Ursulinensälen Innsbruck und im Schloss Elmau aufgetreten.


Blick auf 2020 
„Viele Fragen aus den 1920er Jahren sind heute genau so aktuell wie damals: Wie steht es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau? Steuern wir auf eine Weltwirtschaftskrise zu? Da kann es einen schon gruseln“, sagt Robert Nippoldt und ergänzt: „Der Rechtsruck, den wir zurzeit in Europa wieder erleben, macht mir Angst.“ Aber der 42-Jährige ist trotzdem auch optimistisch: „Durch die Erfahrungen, die wir gemacht haben, sind wir Deutsche hoch sensibel. So etwas wie die Gräueltaten im Nationalsozialismus wird so schnell nicht noch mal passieren.“ Er betont: „Aber nur, wenn wir alle Farbe bekennen!“

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