Kleve Kein Public Viewing - Pro und Contra

Kleve · Es war ein Fußball-Spektakel, das man so in Kleve noch nicht gesehen hat. Public Viewing war während der Weltmeisterschaft vor vier Jahren das Zauberwort, dem sich viele nicht entziehen konnten. Natürlich war der Platz gleich neben dem Bahnhof kein englischer Rasen, aber das war eigentlich auch wurscht. Worum es ging: Das Runde musste ins Eckige! Und das passierte regelmäßig, wenn Jogis Jungs in Brasilien die Netze ausbeulten.

 Helmut Vehreschild (l.) und Peter Janssen.

Helmut Vehreschild (l.) und Peter Janssen.

Foto: Markus van Offern

In Kleve findet kein Public Viewing statt. Unsere Redakteure mit einem Pro und Contra.

Es war ein Fußball-Spektakel, das man so in Kleve noch nicht gesehen hat. Public Viewing war während der Weltmeisterschaft vor vier Jahren das Zauberwort, dem sich viele nicht entziehen konnten. Natürlich war der Platz gleich neben dem Bahnhof kein englischer Rasen, aber das war eigentlich auch wurscht. Worum es ging: Das Runde musste ins Eckige! Und das passierte regelmäßig, wenn Jogis Jungs in Brasilien die Netze ausbeulten.

Der Klever Fanpark füllt sich schon lange vor dem Anpfiff. Schließlich heißt es zur Einstimmung "Happy Hour". Da lassen sich viele nicht zweimal bitten, um "vorzuglühen". Überhaupt ist es ein buntes Treiben an der van-den-Bergh-Straße. Alle stecken sich mit dem Fußball-Fieber an. Wer nicht mit Deutschland-Trikot, einer Fahne oder zumindest schwarz-rot-goldenen Farben im Gesicht aufläuft, der ist schon gleich ein Außerirdischer, dem empfohlen wird, besser daheim im Keller die Glotze anzumachen. Das sind aber eher wenige "Nöölpänze", ganz Kleve und Umgebung ist heiß auf den Titel. Dass der eine Schalke-Fan ist und der andere Dortmund-Anhänger, das interessiert während der WM-Wochen niemanden. Alle wollen jetzt einfach nur Weltmeister werden. Und der Schorsch als Organisationschef vom Veranstalter sagt augenzwinkernd: "Kleve ist das einzige Public Viewing mit eigenem Bahnhof." Auch meine Familie ist ganz in Schwarz-Rot-Gold eingestimmt. "Ist doch hier viel schöner, wenn so viele Leute gemeinsam auf der großen Leinwand Fußball gucken", sagt die kleine Lea, die sich eine Bratwurst mit Ketchup und eine Cola gönnt. Ich selber freue mich auf ein leckeres Pilschen. Es wird nicht das Letzte sein. Und auch fürs Auge gibt es auf der Bühne etwas: Sängerin Loona präsentiert ihre Hits wie "Bailando" oder "Vamos a la playa". Da wird einem ganz heiß! Dana hat anderes im Sinn. Da ihr neuer Freund ein Königsblauer ist, ist Bayern München passé. Stattdessen holt sie jetzt ein Autogramm von Eurofighter Olaf Thon, der nicht nur während der Talkrunden mit Fachwissen glänzt, sondern auch gerne in der Menge badet. "Es ist sehr nett. Gyros mit Zaziki waren gut, und ein Warsteiner habe ich mir auch gegönnt", sagt die Schalke-Legende. Die Vorrundengruppe der Löw-Elf schätzt Thon als anspruchsvoll ein. "Portugal ist der schwerste Gegner, dann kommen Ghana und USA. Ein Unentschieden zum Auftakt wäre nicht so schlecht. Ich tippe 1:1." Knapp daneben ist auch vorbei: Am Ende heißt es 4:0 gegen Portugal, über 4000 Fans sind aus dem Häuschen und wollen nur eins: Weltmeister werden. Zum Finale kommen wir nicht mehr zum Klever Fanpark. Da gibt es noch eine schönere Location. Wir feiern mit tausenden Deutschen auf Mallorca im Bierkönig.

Dass es diesmal in der Schwanenstadt kein Rudelgucken gibt, ist schade. Dann hoffe ich mal, dass wir mit Karnevalsfreunden bei Franz gucken dürfen. Der hat einen englischen Rasen, eine große Leinwand, leckeres Pils und Bundesliga-Bratwurst. Statt auf Mallorca werden wir dann eben in Kellen wieder Weltmeister! Helmut Vehreschild

Es gibt Situationen im Leben, in denen merkt man sofort: Hier bin zur falschen Zeit am falschen Ort. Beim Public Viewing reicht dafür ein Rundblick: Albern wirkende Heranwachsende mit schwarz-rot-gelber Indianer-Perücke, andere haben sich in Deutschland-Fahnen eingewickelt. Ein paar Aufgeschwemmte hüpfen mit unbekleidetem, rosigem Oberkörper und Kunstblumenkette. Der Schminkteufel neben mir trägt lange, angeklebte Fingernägel in den Farben der Republik. Karneval findet man kaum lächerliche Verkleidungen.

Der Hälfte, die da beim "Fußball für alle" steht, möchte man zurufen: "Weiß deine Mutter eigentlich, was du hier machst?" Die andere Hälfte fängt an zu kreischen "Los Kroos, mach . . .", wenn deutlich zu sehen ist, dass Hummels durchs Bild läuft. Was Fußball betrifft, merkt man schnell: Hier sind nicht die hellsten Kerzen auf der Torte versammelt. Schließlich geht es hier um Spieler, die man mit einer Selbstverständlichkeit erkennen sollte wie seine Eltern.

Das Phänomen, dass sich etliche - ermuntert durch obergärige Getränke - am liebsten selbst reden hören, ist hier weit verbreitet. Doch kommen sie kaum über das Standardrepertoire wie "Wenn der rauskommt, muss er den haben" hinaus.

Schon bevor das Spiel beginnt, sind Nehmerqualitäten gefragt. Vor dem Areal preisen BWL-Studenten penetrant T-Shirts mit Aufdruck an: "Public Viewing Bahnhofsvorplatz 2018 - Ich war dabei". Windige Geschäftsleute verkaufen "Anstoßbier", 0,5 Liter Dose Oettinger Export für 3,50 Euro. Man weiß, dass man über den Leisten gezogen wird, aber kauft es trotzdem.

Den Einlass passiert, sieht man auf der Bühne meistens zwei Jungs herum hampeln. Die Heulbojen am Mikro prügeln die Aufstellungen durch die Boxen, als gebe es keinen Morgen danach. Die musikalischen Darbietungen hätte jeder Autoskooter-Betreiber wegen Niveaulosigkeit abgelehnt. Das Beste aus den 80ern und 90ern, Andrea Berg. Höhepunkt sollen die Toten Hosen sein - "An Tagen wie diesen...". Wenn man ganz viel Pech hat, tanzt noch eine Gruppe langhaariger Frauen, bauchnabelfrei, zu DJ Ötzi.

Gewohnt unbescheiden stehen stets einige in der Nähe, die in der Jugend mit reichlich Fußballtalent gesegnet waren, bei denen auf dem Weg zum Weltstar jedoch immer nur Kleinigkeiten dazwischen gekommen sind. Die roten Teppiche, auf denen die einst überall empfangen wurden, liegen längst im Heizungskeller. Dezentral Fußball schauen ist auch deshalb angesagt, weil zu Hause Bier getrunken und nicht durch die Gegend geschüttet wird. Plastik-Becher liegen herum. Gefahr auf Kreuzbandrisse besteht.

Die meisten Krakeeler sind ohnehin voll wie 'ne Schrankwand und hauptsächlich damit beschäftigt, sich auf den Beinen zu halten. Solche Versammlungen lassen zumindest leichte Zweifel aufkommen, ob Demokratie wirklich eine so gute Staatsform ist.

Zusammen mit Robert und Ludger lässt sich angenehm, ohne "Schland"-Schreier sowie trachtenfrei, dafür mit gutem Blick aufs Bild zu Hause schauen. Der Kultur der Masse haben auch sie widerstanden. Problemlos bekommt man einen Platz und kann dabei auf vorhandene Sitzmöbel zurückgreifen. Meistens lädt sich noch jemand ein, der zwar kaum etwas von Fußball kennt, dafür mit seinem Trivialwissen das Leben im Wohnzimmer dennoch bereichert. Dazu gesellt sich Ludgers Vater, mit ein paar Geschichten aus besseren Tagen. Alles ohne Fahnen, aber mit Leuten, mit denen man seine Freizeit verbringen will.

Daher die Empfehlung: Gucken Sie Fußball nie mit Horden und ohne Armleuchter. Es wird ein Genuss. Zweifler werden um Handzeichen gebeten.

Peter Janssen

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort