Niederrhein Karl Straube: Unspielbares spielend bewältigt

Niederrhein · Karl Straube reifte an der Orgel des Willibrordi-Doms in Wesel zu jenem Virtuosen heran, der weltberühmt wurde. Als elfter Amtsnachfolger Bachs wurde er 1918 Thomaskantor in Leipzig.

Es gibt berühmte Niederrheiner und es gibt Größen, die den Niederrhein berühmt gemacht haben. Zu diesen zählt Karl Straube (1873-1950). Nur kurz, von 1897 bis 1902 wirkte der begnadete Organist im Willibrordi-Dom Wesel. Doch dieses halbe Jahrzehnt reichte aus, den Namen Stadt in der Musikgeschichte zu verankern. Denn hier erarbeitet sich Straube jenes große Repertoire, das ihn zu einem weltberühmten Interpreten der Orgelliteratur und Lehrer einer ganzen Organistengeneration machte. 1902 bereits unmittelbar von Wesel nach Leipzig berufen, wurde Straube dort 1918 der elfte Amtsnachfolger Bachs als Thomaskantor. Er blieb es bis 1939.

Einmal gehört, sofort nachgespielt

Straube bekam es in die Wiege gelegt, die Königin der Instrumente zu beherrschen. Er kam am 6. Januar 1873 als Sohn eines Organisten und Harmoniumfabrikanten in Berlin zur Welt. Der kleine Karl lernte schnell und erwarb die Fähigkeit, einmal gehörte Stücke sofort nachspielen zu können. Mit 22 Jahren wurde er Vertreter seines Lehrers Heinrich Reimann an der großen Sauer-Orgel der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Bereits zwei Jahre später übernahm er die Stelle im Weseler Willibrordi-Dom. Auch hier stand eine große Orgel aus dem renommierten Hause Sauer. Ausgestattet mit 80 Registern und erst 1895 gebaut, war sie die größte Sauer-Orgel im Rheinland. Wie Pfarrer Klaus Bambauer (1940-2002), der in Wesel-Flüren wirkte, es einmal ausdrückte, sah Straube in Wesel alle klanglichen Voraussetzungen, die er sich "für seine romantisierenden Interpretationen der Musik Bachs und Regers wünschte".

In seiner Zeit in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel entwickelte sich auch die enge, geradezu kongeniale Beziehung zu besagtem Komponisten Max Reger (1873-1916). "Es ist für mich ein Glücksfall meines Lebens gewesen, dass ich Reger in jungen Jahren kennen und verstehen lernte. Dem Genius meines Freundes dienen zu dürfen, gab dem eigenen künstlerischen Leben sinnvollen Inhalt", sagte Straube einmal.

Reger-Biograf Fritz Stein sagte über (Ur-)Aufführungen in Wesel: "Reger gewinnt zunächst einen Interpreten, der seine als ,unspielbar' gemiedenen Werke mit unerhörter Virtuosität ,spielend' bewältigt und als Herold seinen Namen immerfort vor die Öffentlichkeit trägt ... Der ob solcher Aufgaben beglückte Straube ermuntert den Freund zu einem Orgelwerk in Bachscher Großform ... Schon dringt der Ruf des jungen Orgelvirtuosen über das stille Wesel hinaus."

Boelitz-Werke vertont

Doch so still ist das Städtchen gar nicht. Im Gegenteil. Straube befruchtet das Musikleben, führt beim Presbyterium ein, dass jeden Dienstagabend die Orgel gespielt wird. Reger widmet dem Kirchenchor und seinem Dirigenten die von ihm bearbeiteten "12 Deutschen geistlichen Gesänge für 4- bis 8-stimmigen Chor" und wird durch Straube mit dem Weseler Dichter Martin Boelitz (1874-1918) bekannt, von dem er 28 Titel vertont.

Straube leitete neben dem Kirchenchor, die Liedertafel Concordia, unterrichtete Musik am Gymnasium und organisierte Veranstaltungen. Auch Symphoniekonzerte. So führte er mit Militärkapellen die "Eroica" von Beethoven oder "Tod und Verklärung" von Strauß auf.

Und er ging selbst auf Konzertreisen. Trotz solcher und auch familiärer Einbindung — Karl Straube hatte sich unterdessen mit Hertha Küchel verlobt, deren Vater das Hotel Dornbusch in Wesel führte — konnte die Stadt ihn am Ende nicht halten. Er blieb ihr zeitlebens verbunden, erkannte aber doch die Möglichkeiten, die ihm nur Leipzig bieten konnte. Dort starb er am 27. April 1950. Seine 1876 geborene Frau Hertha überlebte ihn um 24 Jahre.

(RP)
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