Kalkar Kalkar: Christi Hand einfach abgeschnitten

Kalkar · Mittelalterliche Schätze der Dominikaner in Kalkar werden in einer Serie vorgestellt: Heute "Christus auf dem kalten Stein".

 Christus auf dem kalten Stein – eine Figur vom Meister des Annenaltars in der Kalkarer Dominikaner-Ausstellung.

Christus auf dem kalten Stein – eine Figur vom Meister des Annenaltars in der Kalkarer Dominikaner-Ausstellung.

Foto: Katalog

Der Gocher Schnitzer Ferdinand Langenberg griff einfach zur Säge und schnitt diese komische, verkrampfte Hand ab. Sie passte nicht ins Weltbild des 19. Jahrhunderts. Langenberg gehörte zu den führenden Bildschnitzern der Neogotik und verpasste um 1900 dem leidenden Christus eine andere Hand – so wie es der damalige Pfarrer wollte. Aber es kam noch schlimmer: Die expressive mittelalterliche Fassung wurde abgelaugt.

 Die Hand des Anstoßes – wieder an der Skulptur.

Die Hand des Anstoßes – wieder an der Skulptur.

Foto: Gottfried Evers

"Eine Schandtat, die rückgängig gemacht werden konnte", kommentiert Drs. Guido de Werd, der die Dominkaner-Ausstellung in der Kalkarer St.-Nicolai-Kirche einrichtete, die Verstümmelung des Leidenden. In der Kalkarer Mittelalter-Ausstellung gehört der restaurierte "Christus auf dem kalten Stein" vom Meister des Annenalters zu den zentralen Figuren, die die reiche Einrichtung der alten Kalkarer Dominikaner-Kirche rekonstruiert und erstmals das Triumphkreuz wieder zusammenfügt. "Christus auf dem kalten Stein" ist eine Darstellung Jesu, die erst um 1500 aufkam und in der Regel als "Christi letzte Rast" betitelt wird. Der Maler Hans Holbein porträtierte Christus noch zusammen mit der trauernden Gottesmutter, meist konzentrieren sich die Darstellungen aber allein auf den Rastenden.

So auch die 1,56 Meter große Eichenskulptur des Meisters vom Annenaltar. Christus hockt hier auf einem harten Fels. Er hat die Hand ans Gesicht geführt, ohne den Kopf zu stützen und scheint mit der vom Schmerz verkrampft nach oben gezogenen linken Hand – die, die später abgesägt wurde – das drohenden Unheil am Kreuz abwehren zu wollen.

Auf dem Kopf hat er eine schwere, doppelt geflochtene Dornenkrone, der Bart ist fein gelockt – so wie beim Gekreuzigten des Triumphkreuzes. Allein, es fehlt die Farbigkeit: "Der Vergleich der beiden Skulpturen von Christus am Kreuz (Nerbosch) und Christus auf dem kalten Stein in Kalkar belegt eindrucksvoll die Bedeutung, die eine spätgotische Fassung für die Wirkung der Plastik hat, vor allem, weil der Bildhauer bei seiner Arbeit dieser Rechnung trägt", sagt de Werd. Die Figuren sind also auch mit Blick auf die spätere Farbgebung geschnitzt. Aber auch holzsichtig überzeugt die Figur mit ihrer expressiv-realistischen Ausdrucksweise. Es war der Realismus des ausgehenden Mittelalters, für den die idealisierte Darstellung im 19. Jahrhundert keinen Platz mehr hatte. Über diese idealisierte Darstellung führte dann der Weg schließlich zu den kitschigen, en masse produzierten, historisierenden Heiligenfiguren für die heutigen Souvenirläden der Wallfahrtsorte.

Fast schon makaber die Geschichte der abgeschnittenen Hand, die in den Kunsthandel fand – nicht zuletzt weil die künstlerische Qualität des Meisters allein schon in diesem Detail überzeugte. Man baute sie wie eine Jagdtrophäe auf ein Brettchen und stellte sie aus. De Werd entdeckte das Stück im Kunsthandel, kaufte es an – und konnte so den Frevel des 19. Jahrhunderts zumindest zu einem kleinen Teil rückgängig machen.

(RP)
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