Zum 80. Geburtstag des Künstlers Jürgen Paatz zeigt im Museum Kurhaus fast alles

Kleve · Auch vom Prinzip Zufall in der Kunst erzählt die Ausstellung „Jürgen Paatz: (fast) Alles“ zum 80. Geburtstag des in Kleve lebenden Künstlers. Sie schaut zurück auf sein Werk. Dazu richtete Paatz auch ganz neue Installationen ein.

Jürgen Paatz im Oberlichtsaal des Museums Kurhaus inmitten seiner Installation.

Jürgen Paatz im Oberlichtsaal des Museums Kurhaus inmitten seiner Installation.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Wenn Jürgen Paatz vor oder über der leeren Leinwand steht, hat er nicht das fertige Bild im Kopf oder einen Entwurf auf einem Stück Papier in der Hand. „Bei ihm gibt es das vorgewusste Meisterwerk in dem Sinne nicht – eher im Gegenteil“, sagt Kleves Museumsdirektor Harald Kunde. Seine Bilder entstehen spontan als Akt, wie eine Geste, ein Hineinarbeiten in die Materie aus Stoff und Farbe, ein Sich-Selbst-Einbringen in Farbe und Leinwand. Und die werden oftmals auch sehr unsanft traktiert: Da wird die feine Farbschicht mit der Drahtbürste aufgeritzt, die glatte Oberfläche zerstört oder geschlitzt.

Die Leinwände werden, wenn sie bearbeitet sind, wie provisorisch an die Wand gepinnt. Es werden alte, längst fertig geglaubte Bilder wieder dazugenommen, zu neuen Einrichtungen oder Installationen zusammengefügt. Oder die gedachte Vorderseite wird zur Rückseite. Wie bei einer Leinwand, die Paatz vor vielen Jahren im Atelier des Thomashofs in Goch zur Bearbeitung ausgelegt hatte und sie dick mit Farbe bearbeitete. Um den Boden zu schützen, hatte Paatz Zeitungen ausgebreitet. Doch die Farbe zog durch, es gab so einen Abdruck der mächtigen Dielen auf der Rückseite des Tuchs, die Zeitungen klebten am Rand noch drauf und berichten bis heute von sportlichen Ereignissen.

„Paatz arbeitet wie ein Dramaturg und dementsprechend versteht er seine Arbeiten auch weniger als statische Bilder denn als belebte Körper“, sagt Susanne Figner vom Museum Kurhaus, die die Ausstellung kuratiert hat. Die Leinwand des Thomashofs, jene, die von der Wand wie eine noch nicht abgeschnittene Tapete auf den Boden hängen, Grafiken und Zeichnungen und seine Fotografien hat sie zusammen mit dem Künstler ausgesucht und im Museum Kurhaus in einer großen Übersichtsausstellung zum 80. Geburtstag des Künstlers zusammengefügt. Parallel dazu zeigt auch das Clemens-Sels-Museum in Neuss Arbeiten des 80-Jährigen.

In Kleve entstanden neue Installationen – aber auch ein Blick zurück auf das opulente Werke des in Kleve lebenden Künstlers. Obwohl Paatz und Figner sich scheuen, von einer Retrospektive zu reden: „Das klingt so abschließend“, sagt Paatz Und abschließend sind seine einzelnen Werke nicht, ist sein gesamtes Werk nicht. Es entwickelt sich immer weiter. Und: Paatz hat ein sehr großes Werk mit sehr vielen Arbeiten. Darunter auch die schwarzen Bilder im schwarzen Raum mit borkiger, geradezu lebendiger Oberfläche. Fotos von seinem Traum-Atelier. deshalb titelt die Ausstellung auch: „Jürgen Paatz: (fast) Alles“.

Figner konzentriert sich in großen Teilen der Ausstellung auf Werke, die zu Beginn der 1970er Jahren entstanden. Paatz war damals zu einem Arbeitsstipendium in der Villa Romana in Florenz und erkundete das Material: „Was machen Farbe und Form, was das Material, wenn es entsprechend bearbeitet wird? Was macht das mit unserer Wahrnehmung?“, erklärt Paatz die Fragestellung. Dieses in Florenz begonnene Erforschen hat er bis heute in einer über 50 Jahre dauernden Schaffensphase (so Kunde) fortgesetzt. Man solle in seinen Bildern die Spuren des Prozesses erkennen, wie sie gemacht sind, wie Farbe und Beize reagieren, aufplatzen vielleicht, sagt er. Wie die wenigen Vorgaben, die er mitbrachte, wenn er zu arbeiten begann, und der Zufall sich zu einem neuen Ganzen fügen. Wie sich Farbe und Leinwand auf den Raum auswirken, wie sie den Boden mitnehmen oder einfach auch ihren experimentellen Charakter offenbaren.

 Eine bemalte Leinwand - aufgehängt an einem Stahlwolleband.

Eine bemalte Leinwand - aufgehängt an einem Stahlwolleband.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Paatz erklärt auch, dass die feine Krikelage auf einem seiner Bilder der Todeskampf einer kleinen Fliege ist, die auf der zum Trocknen ausgelegten Leinwand landete und in der frischen Farbe fest hing. Und dass auf einem anderen Bild eine ganze Gesellschaft von Insekten und Blütenstaub und anderem, was im Frühjahr vorbei wehte, festklebte. Und später von einer Putzfrau als Staub einfach abgesaugt wurde. Paatz nahm’s hin – auch dieses Bild ist zu sehen. Ohne die zufällige Beigabe der Natur.

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