Zum Sonntag von Hans-Joachim Wefers Systemrelevant?

Kreis Kleve · Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Kleve über die Kirchenaustritte. Er bittet die Bürger: Lassen sie uns reden über kirchliche Arbeit und ihre Defizite. Und diese zum Guten verändern!

 Hans-Joachim Wefers ist Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Kleve in Goch.

Hans-Joachim Wefers ist Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Kleve in Goch.

Foto: Klaus-Dieter Stade (kds)

Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland haben 2019 massiv an Mitgliedern verloren: Insgesamt traten mehr als eine halbe Million Katholiken und Protestanten aus den Glaubensgemeinschaften aus – so schallte es vor wenigen Tagen durch die Medien­landschaft Deutsch­lands. Und wenngleich ich persönlich das natür­lich bedaure und mit mir viele Mitglieder, die in der Kirche ver­bleiben und sich redlich um über­zeugendes kirchliches Leben mühen, mag es auch viele geben, die offen oder heimlich denken: Gut so, geschieht ihnen Recht, längst über­fällig, niemand braucht sie wirklich, die Kirchen.

Dagegen stelle ich die Frage: Sind nicht auch die immer weiter gehen­den Kirchenaustritte am Ende „sys­tem­relevant“? Und haben sich das alle genug klargemacht, die diesen Schritt vollzogen haben?

Auf lange Sicht wird jedenfalls das Fehlen kirchlicher Arbeit in der Gesell­schaft, das mit den zurück­gehenden Finanzmitteln notwendig verbun­den sein wird, auch Folgen für die Gesellschaft haben und diese verändern, davon bin ich überzeugt.

Dabei denke ich keineswegs nur an die sozialen Aktivitäten der Kirche. Sie können grundsätzlich sicher auch von anderen wahrgenommen wer­den, wenngleich sie auch dann bezahlt werden müssen. Und dann werden also Steuern oder Beiträge für alle erhöht werden müssen, auch für die, die jetzt ihren persönlichen Vorteil aus dem Austritt ziehen, am Ende also ein Nullsummenspiel. Oder der Staat springt eben nicht ein und andere auch nicht – dann werden diese Leistungen also fehlen. Durchaus systemrelevant.

Ich denke aber auch mindestens genauso an das Bil­dungs­handeln der Kirche und die damit verbundene Werte­ver­­mittlung in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwach­senen jeden Alters. Auch viele dieser Wer­te teilen die Kirchen mit anderen in der Gesellschaft, die sie auch vermitteln könnten. Aber es gibt wohl keine Institution und auch keine Organisation, die dies so prä­gend getan hat und tun könnte, wie dies durch die Kirchen direkt und indirekt geschehen ist. Und auch dieser Ausfall wird systemrelevant sein und sich entsprechend auswirken.

Und dann bleibt da noch die kirch­liche Seel­sorge, die von der indivi­duellen Begleitung bis hin zur professi­o­nellen Beratung in Ehe-, Familien- und Lebensberatungs­stel­len oder etwa der Notfallseel­sorge reicht. Wenn es das alles nicht mehr gibt, jedenfalls nicht auf dem Hintergrund eines christlichen Men­schenbildes – das würde unsere Gesellschaft in einer Weise verän­dern, die ich mir tatsächlich nicht vorstellen möchte. Deswegen: Lassen sie uns reden über kirchliche Arbeit und ihre Defizite. Und diese zum Guten verändern! Aber treten Sie nicht unbedacht einfach aus, ohne die Folgen für das System zu bedenken. Ich glaube nicht, dass davon ein Gewinn für alle ausgeht.

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