Kleve Frauen in Not finden oft keine Bleibe

Kleve · Mangel an bezahlbarem Wohnraum trifft Alleinerziehende hart. Bemessungsgrundlage des Kreises verschärft Problem.

Sie haben existenzielle Probleme. 140 Frauen aus Kleve suchen im Jahr Rat und Hilfe bei der Frauenfachberatungsstelle (FFbs) des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Kleve. Frauen, die nicht mehr weiter wissen. Frauen, denen eine Grundfeste abhanden zu kommen droht: das Zuhause. Sie müssen ausziehen, weil sie in unwürdigen Verhältnissen leben, weil sie Angst vor dem Mann haben müssen, weil die Schulden ihnen über den Kopf wachsen, weil eine Räumungsklage droht oder das Amt wegen neuer Bemessungsgrundlage die Wohnung nicht mehr ganz zahlt.

"Nicht wenige prostituieren sich, ziehen bei einem Freund oder Bekannten ein, der sie für bestimmte ,sexualisierte Dienste' bei sich wohnen lässt", sagt Diplom-Pädagogin Petra Hermsen-Beyer vom FFbs. Denn Wohnraum, vor allem bezahlbarer Wohnraum, ist knapp in Kleve und Umgebung: "Das unzureichende Angebot an preisgünstigen Wohnungen trifft Bezieher von Sozialleistungen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien hart", sagt Hermsen-Beyer. Das erschreckende: Knapp ein Drittel der Frauen ist unter 27 Jahre - sie haben ihre Zukunft noch vor sich.

"Viele dieser jungen Frauen weisen multiple Problemlagen auf, sind im Auftreten und der persönlichen Reife eingeschränkt", sagt sie. Die FFbs möchte Frauen darin befähigen, eine Wohnung zu finden, einen Weg in einen normalen Alltag. Alina Pouryamout gehört als Sozialpädagogin zum Team, das ambulant betreutes Wohnen bietet, um diesen Weg zu begleiten. 2016 wurden von diesem Team 52 Frauen betreut. Diese 52 Frauen hatten 71 Kinder.

Dieses ambulante betreute Wohnen für Frauen wird zu 100 Prozent vom Landschaftsverband Rheinland finanziert. Die Mittel für die Frauenfachberatungsstelle kommen zu 50 Prozent vom Landschaftsverband Rheinland und zu 50 Prozent von der Stadt Kleve. "Über die 2005 von Kreis errechneten Beratungsbedarfe hat die Stadt Kleve einen weitergehenden Bedarf festgestellt. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, wurde in Koorperation mit dem SkF die Konzeption ,Wohnungslosigkeit vermeiden - Dauerhaftes Wohnen sichern' erarbeitet", blickt Stadtsprecher Jörg Boltersdorf auf das Engagement Kleves. Dennoch: Die Schwierigkeiten, noch Vermieter für ihr Klientel zu finden, ist groß. "Es fehlen Wohnungen - und immer weniger Vermieter sind bereit, an unsere Frauen zu vermieten", sagt Hermsen-Beyer. "Wir sind froh, wenn die Zevens-Grundbesitz auf dem Union-Gelände geförderte Wohnungen baut, zumal Zevens für unsere Probleme ein offenes Ohr hat", sagt sie. 2016 hat der Kreis Kleve die Situation für die Frauen deutlich verschärft: Nach der neuen Bemessungsgrundlage von empirica gibt es teils bis zu 120 Euro weniger Mietzuschuss als zuvor, rechnen Sozialverbände vor. Zu zahlen vom knappen Hartz-IV-Satz oder einem möglichen Zuverdienst, so der Kreis. Dabei leben Menschen mit dem Regelsatz des ALG-II sowieso am Existenzminimum, sagt Pouryamout.

Wie der Kreis mit der neuen Bemessungsgrundlage umgeht, führt zu abstrusen Situationen: "Wir haben der ,Bedarfsgemeinschaft' einer Mutter mit ihrem Sohn eine neue Wohnung beschafft und dies auch genehmigt bekommen - sie war gerade eingezogen, als der Kreis die neue Bemessungsgrundlage einführte", erzählt Pouryamout. Für den Kreis war die Sache klar: Die Mutter sollte wegen 60 Euro Differenz die Wohnung wieder wechseln. Eine neue Wohnung zu finden - geradezu unmöglich. Die Belastung für die Frau war enorm. Erst ein ärztliches Attest rettete sie vor der Wohnungslosigkeit. In einem anderen Fall reichten nach Änderung der Bemessungsgrundlage 15 Euro Differenz, um eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern zu einem Wohnungswechsel aufzufordern.

"Es fehlt ein Bestandsschutz: Menschen, die eine Wohnung haben, sollten da auch bleiben dürfen", sagt Hermsen-Beyer. Denn die zitierte Bedarfsgemeinschaft ist kein Einzelfall - allein im vergangenen Jahr waren 20 von der FFbs betreuten Frauen teils mit ihren Kindern betroffen.

(mgr)
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