Kleve Die lange Flucht der Flüchtlingskinder

Kleve · Nach über 6300 Kilometern finden zwei Flüchtlingskinder ein Zuhause in Kleve. Eine Gastfamilie nahm die beiden auf. Jetzt lernen die beiden Deutsch.

Rita F. und die beiden Flüchtlinge Ahmad und Ferydon (v.l.).

Rita F. und die beiden Flüchtlinge Ahmad und Ferydon (v.l.).

Foto: Gottfried Evers

Fragt man einen 16-jährigen, was er in den letzten 15 Monaten getan hat, wird er vermutlich von Sportereignissen, Klassenfahrten oder der ersten Beziehung berichten. Die Geschichten von Ferydon und Ahmad hingegen sind gleichermaßen dramatisch wie schockierend. Beide stammen aus der afghanischen Provinz Herat. Vor 15 Monaten machten sie sich, noch getrennt voneinander, auf den Weg in ein neues, für sie besseres Leben. Die Reise, die vor ihnen lag, sollte über 6300 km betragen und sie am Ende nach Kleve führen.

Seit vier Wochen sind die Afghanen nun in Kleve. Die ersten zwei Wochen waren sie in der Notunterkunft im Konrad-Adenauer-Gymnasium in Kellen. Was dann geschah, muss sich für die Flüchtlinge wie ein wahr gewordener Traum anfühlen. Für die unbegleiteten Minderjährigen macht sich das Jugendamt Kleve auf die Suche nach einer Gastfamilie. Rita F. und ihre zwei Söhne entschlossen sich, die jungen Afghanen in ihre Familie aufzunehmen. Lernen, lachen oder einfach nur Kind sein, in den letzen 15 Monaten schien das nahezu unmöglich für die Jungs.

Ahmad flüchtete allein aus der Grenzregion Afghanistans zum Iran. Zuvor lebte er lange im Iran bei seinem Onkel, nachdem sein Vater von den Taliban verschleppt worden war. Sieben Jahre lang arbeitete Ahmad in einer Art Steinbruch, wo er vor allem Ziegelsteine herstellte. Dass er überhaupt lesen und schreiben könne, grenze an ein kleines Wunder, meint Rita F.

Mittlerweile ist Ahmads Leben anders. Zusammen mit Ferydon und Rita F. sitzt er auf dem Sofa und lernt Deutschvokabeln. Wenn sie nicht gerade pauken, gehen sie zusammen ins Schwimmbad. Ahmad, der im Schwimmen sein neues Hobby gefunden hat, wird bald auch der DLRG beitreten.

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Foto: dpa, shp htf mbk

"Mein größtes Ziel ist es, eine Struktur in den Alltag der zwei Jungs zu bringen. Dazu gehört auch, dass beide Deutsch lernen, bald in die Schule gehen und hier ihre Hobbies finden", erklärt Rita F. . Noch seien sie etwas schüchtern, doch langsam würden sie sich öffnen. "Ahmad und Ferydon hängen vor allem aneinander, das ist aber komplett verständlich", erzählt die Familienmutter. Die Afghanen lernten sich auf ihrer Reise kennen und wichen seitdem nicht mehr von der Seite.

Ferydons Flucht aus dem kriegsgebeutelten Afghanistan begann zusammen mit seiner Mutter und seinen Schwestern. Gemeinsam erhofften sie sich ein besseres und weniger gefährliches Leben in Europa. Bevor sie flüchteten, arbeitete Ferynod über ein Jahr in einer Nähfabrik. Auf ihrem Weg von Herat über den Iran in die Türkei gerieten Ferydon und seine Mutter sowie Schwestern in unterschiedliche Autos. Es sollte das letze Mal gewesen sein, dass Ferydon seine Familie sah. Angekommen in der Türkei fehlte von dem Auto mit der Mutter und den Schwestern jegliche Spur. Der 15-jährige Afghane war komplett allein und auf sich gestellt in einem fremden Land. Doch in der Türkei lernte er Ahmad kennen und fand in ihm eine neue Familie.

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Foto: Hans-Juergen Bauer

Seit diesem Tag sind beide unzertrennlich. Mit dem Boot überquerten sie die Mittelmeerstrecke zwischen der Türkei und Griechenland. Dort angekommen , reisten sie weiter nach Mazedonien. Der Rest ihrer Flucht führte sie über Ungarn nach Österreich und von da nach Kleve. Seit zwei Wochen leben die beiden nun bei der Familie. Mit ihren zwei Söhnen verstehen sich die Afghanen mittlerweile gut, auch wenn es zuerst noch Berührungsängste gab. Das hat sich mittlerweile geändert. Vor allem ihr älterer Sohn hat jegliche Berührungsängste abgelegt. So klopfen die neuen Familienmitglieder immer wieder mal an seine Zimmertür und fragen ihn um Hilfe.

"Noch besteht der Alltag aus vielen Behördengängen und Gesprächen ,um zum Beispiel die Schulmöglichkeiten zu regeln", erzählt Rita F. . Dennoch hofft sie, dass Ahmad und Ferydon bald einen geregelten Tagesablauf haben. Sie befänden sich alle noch in einer Kennenlernphase, aber bis jetzt gäbe es noch keine Probleme. "Sie bringen ihre Wäsche runter, räumen ihre Zimmer auf und bringen ihre schmutzigen Teller in die Küche", sagt Rita F.. Dennoch sei ihr bewusst, dass es sicher Probleme gäbe, wie mit jedem Kind eben. Die beiden neuen Familienmitglieder hat sie ins Herz geschlossen und geht davon aus, dass sie für längere Zeit bei ihr bleiben. "Ich weiß nicht was Ahmed und Ferydon erlebt haben. Ich kann es mir auch nur schwer vorstellen jedoch bin ich froh, dass sie lachen und sich wohlfühlen. Von mir aus können die beiden für immer bei uns bleiben", meint die "frischgebackene" Mutter.

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(RP)
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