Kinderarztkolumne „Herr Doktor, mein Kind isst so schlecht!“

Kleve · Oft höre ich die Klage der Eltern, „Herr Doktor, mein Kind isst so schlecht!“ Mit einem Blick auf die Perzentilenkurve im Vorsorgeheft, wo Gewichts- und Längenentwicklung im Vergleich zu anderen Kindern eingetragen werden, sehe ich, dass Gewicht und Länge dieses Kindes aber genau im Bundesdurchschnitt liegen.

 Dr. Wolfgang Brüninghaus, Kinder- und Jugendarzt aus Kleve

Dr. Wolfgang Brüninghaus, Kinder- und Jugendarzt aus Kleve

Foto: Brüninghaus

Also wo ist das Problem?

Der nächste Blick geht auf die Eltern, sind sie etwa zu dick?  Dass es ein echtes Kunststück ist, einer Mutter beizubringen, dass nicht das Kind zu dünn, sondern sie zu dick ist, kann sicher jeder nachvollziehen. Ich will aber einen anderen Aspekt ansprechen. Bei Schokolade und Süßigkeiten macht das Kind  nämlich erwartungsgemäß keine Probleme. Nur alles, was nach Gemüse aussieht oder gekaut werden muss, wird trotz intensiven Drängens der Eltern hartnäckig verweigert.

Manche Eltern stellen in ihrer Verzweiflung den Fernseher an oder spielen irgendetwas vor, um das Kind am Tisch und beim Essen bei Laune zu halten. Zum Schluss gibt es gar Eis oder Chips nach der verweigerten Mahlzeit „damit das Kind überhaupt etwas isst!“ Kurz, das Kind bekommt jede Menge Signale von den Eltern, dass es „für die Eltern“ essen soll, dass es mit seiner Essverweigerung Stress über die Familie bringen kann, Macht und Aufmerksamkeit winken ihm als Lohn, wenn es nur den Mund zumacht.

Dabei gerät völlig in den Hintergrund, dass das Kind doch aus eigenem Antrieb essen sollte, ganz einfach, weil es sonst hungrig bleibt und vielleicht auch, weil Essen etwas mit Lebensqualität und Selbstbestimmung zu tun hat. Aber was können Eltern konkret tun, um diesem Teufelskreis aus Drängen und Verweigerung mit der Folge einer drohenden Fehlernährung zu entgehen?

Eltern können schon im Säuglingsalter versuchen, die Signale des Babys beim Füttern zu erkennen: Wenn das Baby den Flaschensauger loslässt und den Kopf wegdreht, dann ist es wahrscheinlich satt, auch wenn die laut Packungsangabe erforderliche Menge noch nicht erreicht ist. Geben Sie als Eltern ihrem Kind ruhig die Chance, sein eigenes Sättigungsgefühl zu finden, es wird sich akzeptiert und angenommen fühlen.

Im Kindergartenalter sind die Kinder dann sehr aktiv und brauchen mehrere kleine Zwischenmahlzeiten über den Tag verteilt. Bieten sie einen kleinen Teller mit Obst und Gemüse an: aufgeschnittene Apfelscheiben, ein paar rohe Möhren, Paprika oder was der Markt gerade bietet, einfach auf den Tisch gestellt, sodass das Kind mal schnell im Spiel danach greifen kann.

Wenn Sie der Versuchung widerstehen, Süßigkeiten dazu zu stellen und Limonade statt ungesüßtem Tee oder Wasser zu verteilen, werden sie sehen, dass der Teller wie von Zauberhand am Abend leer ist. Noch eine Prise Phantasie und Spieltrieb dazu, indem man aus den Zutaten ein lustiges Gesicht legt oder eine Brücke oder einen Turm baut oder, oder, oder. Und einfach zulassen, dass ihr Kind auch mal richtigen Hunger verspürt, wenn es nach einer verweigerten Mahlzeit keine Süßigkeiten zur „Belohnung“ bekommt. Dann wird auch der hartnäckigste Essverweigerer irgendwann zugreifen.

Und wenn Ihr Kind trotz aller Freiheit und Selbstbestimmtheit plötzlich keinen Appetit mehr hat, dann ist es Zeit, es bei Ihrem Kinderarzt vorzustellen.

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