Die Kinderarzt-Kolumne Brauchen wir wirklich so viel Bürokratie?

Kleve · Unser Autor ärgert sich über die Bürokratie, die mit der Impfung gegen Corona verbunden ist. Für sie müsse man heutzutage mehr Papiere unterschreiben als er bei seiner Hochzeit.

 Der Kinderarzt Dr. Wolfgang Brüninghaus empfindet das Diktat der Bürokratie als Entmündigung.

Der Kinderarzt Dr. Wolfgang Brüninghaus empfindet das Diktat der Bürokratie als Entmündigung.

Foto: Brüninghaus

Vor einigen Wochen war ich als Impfarzt im Impfzentrum und habe die Corona-Impfung als Handelnder kennengelernt. Vorweggesagt, das ganze Team war hoch engagiert und die Arbeit lief – soweit von mir aus beurteilbar – reibungslos. Aber welch ein Berg an Bürokratie! Acht Seiten Papier brachte jeder Patient mit – zwei Seiten Aufklärungsbogen (in doppelter Ausfertigung) und zwei Seiten Einverständniserklärung  (auch doppelt).

Bei 60 Millionen Impfungen kommt so ein Papierstapel von 48 Kilometern Höhe zusammen. Laut Internet mussten dafür 56.000 Bäume gefällt und 124 Millionen Liter Wasser verbraucht werden. Gelesen wurden diese Papiere wohl kaum, denn keiner meiner Patienten konnte auch nur eine Frage zum Inhalt beantworten. Um eine Chance zu haben, in diesem Riesenhaufen später noch genau den Bogen zu finden, den man zum Beispiel im Fall eines Rechtsstreits hervorkramen müsste – eine wirklich bizarre Vorstellung – werden zusätzlich tausende Arbeitsstunden zur Archivierung eingesetzt. Braucht unser Land wirklich diesen bürokratischen Wahnsinn? Warum haben Menschen das Impfzentrum aufgesucht, wenn nicht zum Impfen? Und wenn im Laufe des Aufklärungsgesprächs Zweifel aufkamen, wurde doch niemand am Verlassen des Impfzentrums ohne Impfung gehindert. Wozu also der ganze Schreibkram?

Wohl nur, um auch die letzten juristischen Spitzfindigkeiten auszuschließen. Und dafür müssen 56.000 Bäume fallen? Ist dieser riesige Berg Papier angesichts unserer drängenden Umweltprobleme noch verhältnismäßig? Wäre es für uns angeblich so mündige Bürger wirklich unzumutbar und juristisch zweifelhaft, wenn am Eingang ein Poster mit dem Text der Aufklärungsbögen hängen würde und die Patienten im Arztzimmer im Beisein der MFA dann mündlich ihr Einverständnis zur Impfung erklärten? Gibt es keine rechtssichere Möglichkeit, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren – schon gar in einer Situation, in der buchstäblich das Leben vieler tausend Menschen auf dem Spiel steht?

Ich empfinde dieses Diktat der Bürokratie persönlich als Entmündigung. Mein Wort als Bürger gilt ja offenbar nicht mehr. Für eine banale Impfung muss ich heute mehr Papier unterschreiben, als bei meiner Hochzeit, wobei seinerzeit auch kein Hinweis auf Risiken und Nebenwirkungen für nötig erachtet wurde. Apropos: Mehr Papier ist kaum geeignet, das Vertrauen in den Impfprozess zu erhöhen, sondern wird viel eher Anlass zu Verunsicherung und Misstrauen sein. Während der Nutzen der Impfung in den „Aufklärungsbögen“ vergleichsweise beiläufig erwähnt wird, nimmt die Aufzählung aller bislang bekannten Risiken den größten Raum ein. Zusätzlich wird ausdrücklich auf die Möglichkeit weiterer – bislang unbekannter – Risiken hingewiesen, was eine rechte Binsenweisheit ist, denn unbekannte Risiken begleiten jeden Tag unseres Lebens und sind keineswegs impfspezifisch.

Aber es wird wohl ein schöner Traum bleiben, dass hierzulande Politiker den Mut und die persönliche Überzeugtheit finden könnten, für wissenschaftlich so unumstrittene und gesellschaftlich hocherwünschte Handlungen wie der Impfung gegen Covid-19, reduzierte Bürokratievorgaben zu beschließen. Aus meiner Sicht wäre das aber eine  wirksame Möglichkeit, die Akzeptanz der Impfung in der Öffentlichkeit zu fördern und ganz nebenbei noch ein sehr konkreter Beitrag zum Umweltschutz.

Wolfgang Brüninghaus war als Kinder- und Jugendarzt in Kleve tätig und schreibt an dieser Stelle alle paar Wochen von seinem Beruf. Foto: Brüninghaus

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