Frühchen im Kreis Kleve Wenn das Leben nicht warten kann

Issum/Geldern · Max und Alexander feierten im September ihren ersten Geburtstag. Dabei war der Start ins Leben für die Zwillinge nicht einfach: Sie kamen einige Wochen zu früh, wogen bei ihrer Geburt unter 2000 Gramm.

 Chantal Laufenberg mit ihren Zwillingen Max und Alexander. Die beiden Kinder feierten im September ihren ersten Geburtstag.

Chantal Laufenberg mit ihren Zwillingen Max und Alexander. Die beiden Kinder feierten im September ihren ersten Geburtstag.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Wenn man die zweieiigen Zwillinge Max und Alexander sieht, fällt es schwer zu glauben, dass der Start ins Leben alles andere als leicht für sie war. Die beiden haben gerade ihren Mittagsschlaf beendet und nuckeln kräftig an ihren Schnullern. Max ist der Ältere und Aktivere der Brüder. Vor ein paar Tagen hat er angefangen zu laufen, berichtet Mutter Chantal Laufenberg aus Issum. Max ist der mit den dunkleren Haaren. Alexander erkennt man auch an seinen Kulleraugen. Am 15. September haben die beiden ersten Geburtstag gefeiert. „Ihnen geht es prächtig“, meint die Mutter. Dabei bekommen sie seit ihrer Geburt Physiotherapie, um die Entwicklung zu unterstützen. Max und Alexander sind Frühchen. Die Mediziner sprechen von frühgeborenen im Gegensatz zu reif geborenen Kindern.

Ausgezählt waren Max und Alexander für den 7. November, doch Chantal Laufenberg war gerade bei einer Freundin ihrer Tochter Josephin (9) zu Besuch, als sie plötzlich Blutungen bekam. Bis dahin sei die Schwangerschaft normal verlaufen, berichtet die Mutter. Zur Sicherheit sei sie ins Krankenhaus gegangen, um alles abklären zu lassen, doch der Wehenschreiber blieb unauffällig. „Ich sollte nach Hause, hieß es, aber ich musste ständig auf die Toilette.“ Schließlich habe ihr Lebensgefährte die Schwestern überzeugt, sie zur Beobachtung übers Wochenende lieber im Krankenhaus zu behalten. Alles schien normal, keine Auffälligkeiten, bis sie in der Nacht zu Montag plötzlich wieder den Drang verspürt habe, auf Toilette zu müssen. „Das war ganz schlimm. Ich konnte mich gar nicht mehr hinlegen, alle fünf Minuten musste ich raus.“ Eine Hebamme habe schließlich festgestellt, dass ihr Muttermund schon drei Zentimeter geöffnet und Max in den Geburtskanal gerutscht war. Zu dem Zeitpunkt war Chantal Laufenberg in der 32. Schwangerschaftswoche.

Max und Alexander sind zwei von etwa 100 Kindern, die in Geldern im St.-Clemens-Hospital neonatologisch versorgt werden müssen. Einige haben nur leichte Anpassungsschwierigkeiten und brauchen ein wenig Zeit, um sich an das Leben außerhalb von Mamas Bauch zu gewöhnen. „Andere benötigen sehr viel Hilfe in den ersten Tagen und Monaten. Sie sind zu früh oder krank geboren“, berichtet Karsten Thiel, Kinderarzt und Facharzt für Neonantologie am Clemens-Hospital. „Wir können hier Kinder ab der 32. Schwangerschaftswoche beziehungsweise ab einem Geburtsgewicht von 1500 Gramm versorgen.“ Den gleichen Versorgungsauftrag hat auch das St.-Antonius-Hospital in Kleve, nur werden dort pro Jahr etwa 250 Patientinnen betreut. Das nächst gelegene Krankenhaus mit „Level 1“-Versorgung ist das Perinatalzentrum am Helios Klinikum in Krefeld. Dort werden Frühchen bereits ab der 25. Schwangerschaftswoche versorgt, die unter 1000 Gramm wiegen können.

„Hauptursache für eine Frühgeburt ist eine Erkrankung der Mutter“, sagt Thiel. Die größte Gefahr bestehe darin, dass es von Natur aus noch gar nicht auf der Welt sein sollte. Seine Organe sind noch nicht weit genug ausgebildet. Das betrifft vor allem die Lunge. „Im Bauch der Mutter ist die Lunge kollabiert“, erklärt Thiel. Das heißt, sie ist noch nicht mit Luft gefüllt. Das passiert erst, wenn das Kind auf der Welt ist.“ Frühchen sind oft zu schwach, um den ersten Atemzug zu machen. Doch nur so könne sich die Lunge entfalten und aufgehen. Deshalb sind mitunter spezielle Maschinen nötig, die die Lunge belüften. Je nach Schwangerschaftsgrad könne auch eine Atemunterstützung erforderlich sein. Ein anderes Problem ist das Herz-Kreislauf-System, das noch nicht ausgereift ist. „Es kann durchaus vorkommen, dass wir Kinder, die zu früh auf die Welt kommen, wiederbeleben müssen“, sagt Thiel.

Bei Max und Alexander entscheiden sich die Mediziner für eine Not-OP. „Ich weiß nur noch, dass ganz viele Ärzte um mich herumstanden“, erzählt Chantal Laufenberg, „und dass Alexander nicht rauskommen wollte.“ Später habe man ihr und ihrem Lebensgefährten nur Max ans Bett gebracht. „Alexander musste auf der Intensivstation mit Sauerstoff versorgt werden.“ Max wog bei der Geburt 1640 Gramm und war 41 Zentimeter groß, Alexander, der zwei Minuten später geboren wurde, wog 1930 Gramm und war 43 Zentimeter groß. Ihn bekommt Chantal Laufenberg erst am Abend in einem Brutkasten auf der Intensivstation zu sehen. „Alle Frühchen brauchen zunächst eine Infusionstherapie“, sagt Thiel, „weil sie noch nicht aus eigener Kraft trinken können. Deshalb bekommen sie am Anfang eine Magensonde. Wenn wir merken, das das Kind in der Lage ist, die Nahrung selbst aufzunehmen und zu halten, entfernen wir die Magensonde wieder. Wenn auch der Wärmehaushalt in Ordnung ist, darf es in ein normales Bett verlegt werden.“

 Chantal Laufenberg mit Max und Alexander

Chantal Laufenberg mit Max und Alexander

Foto: Evers, Gottfried (eve)
 Chantal Laufenberg und ihr Lebensgefährte nach der Geburt der Zwillinge. Ihren Sohn Alexander konnte das Paar anfangs nur in einem Brutkasten sehen.

Chantal Laufenberg und ihr Lebensgefährte nach der Geburt der Zwillinge. Ihren Sohn Alexander konnte das Paar anfangs nur in einem Brutkasten sehen.

Foto: Laufenberg
 Die Zwillinge Max und Alexander kamen zu früh zur Welt. In der 32. Schwangerschaftswoche.

Die Zwillinge Max und Alexander kamen zu früh zur Welt. In der 32. Schwangerschaftswoche.

Foto: Laufenberg
 Frühchen Chantal Laufenberg aus Issum

Frühchen Chantal Laufenberg aus Issum

Foto: Laufenberg

Bei Max und Alexander dauert es knapp vier Wochen, bis die beiden aus dem Krankenhaus entlassen werden können. „Früher gab es ein Fixgewicht, das die Kinder erreichen mussten“, sagt Karsten Thiel. Heute gebe es keine strikten Vorgaben mehr. Trotzdem: 2000 Gramm sei ein gutes Gewicht, mit denen man die Kinder beruhigt nach Hause gehen lasse. Insgesamt, sagt er, seien die Chancen für Kinder, die ab der 32. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken, ziemlich gut, sofern sie keine Vorerkrankungen haben. Max und Alexander sind das beste Beispiel dafür. Die beiden haben sich mittlerweile aus ihrem Laufstall befreit. Alexander fängt an zu schreien. Vielleicht weiß er, dass über ihn gesprochen wird. Vielleicht hat er aber auch einfach nur Hunger.

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