Kleve Eine schwierige Reise ins Erwachsenwerden

Kleve · Theater im Fluss zeigte Nuran Calis moderne Version von Frank Wedekinds "Frühlingserwachen".

Frühlingserwachen - der Titel verspricht so viel Positives. Vogelzwitschern, blühende Krokusse, die ersten Sonnenstrahlen auf der Haut, die Vorfreude auf den Sommer.

Der Schein trügt. An den Wänden der Bühnenkulisse prangen trotzige Parolen und sich übergebende Einhörner. Jugendliche streunen biertrinkend und rauchend davor. Theater im Fluss zeigte Nuran Calis moderne Version von Frank Wedekinds Frühlingserwachen, Problempoesie über eine schwierige Entwicklungsphase. Ein Thema, das noch genauso aktuell ist wie zu Zeiten Wedekinds Uraufführung. Bei der jüngsten Aufführung boten zusätzliche Stühle mehr Platz für den Zuschauerandrang.

Frühlingserwachen beleuchtet die jugendlichen Gefühle wie Liebe, Minderwertigkeit, Schmerzeslust und die allgegenwärtige Sehnsucht nach Freiheit. Wendla (Laura van Meurs / Lena Frost) ist gerade 14 und möchte der überfürsorglichen Mutter (Charlotte Jäckle) entkommen, "bluten, damit das Vertraute endlich stirbt".

Moritz (Tim Elze), ist ein Träumer und Gedichte-Schreiber, der "die Schwere des Lebens auf seiner Seele" spürt, seine Versetzung ist gefährdet. Auf den Fährten seines Großvaters will er nach Amerika reisen, um einen Schatz zu bergen. Doch der ehrgeizige Vater (Max Frische) hat andere Pläne für den Jungen. Der coole Mädchenschwarm Melchior (Marc Brühne) macht sich eigentlich nur Sorgen um die nächste Geliebte, wenn da nicht seine strenge Mutter wäre. Ilse (Alina Krebbers) sucht den nächsten Kick bei den "brutalen" Typen am Autoskooter. Die Gang um Hans (Simon Trenckmann), Ernst (Hendrik Rübo) und Otto (Janis Krebbers) verbringt die meiste Zeit mit Rappen. Hobbyphilosophin Martha (Elske Beckmann) hat für ihr Erwachsensein nur einen Wunsch: "Allen in die Fresse hauen, die mich unterdrückt haben, um die Welt reisen und nie wieder zurückkommen".

Theater im Fluss zeigt Frühlingserwachen als schmerzliches Erwachsenwerden und liefert mit melancholischem Soundtrack und anarchischem Bühnenbild die Szenerie jugendlicher Verzweiflung. Die unterschiedlichen Figuren haben eines gemeinsam: Sie befinden sich auf der Suche nach der eigenen Identität, Sexualität und dem Sinn des Daseins.

Sie erfahren die ersten Zweifel, ersten Zurückweisungen, ersten Verletzungen. Da verliebt sich der eine in den besten Freund, da wird die andere beim ersten Mal schwanger und wieder ein anderer beendet sein Leben, bevor es richtig angefangen hat.

"Kann man verlieren, ohne jemals gewonnen zu haben?", fragt Moritz im Angesicht seines geplatzten Traums in den Zuschauerraum. In schonungslos ehrlichen Bildern zeigt die Theatergruppe Jugendliche zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Es sind Jugendliche, die Seilchen springen und sich für Amnesty International engagieren, die Angst vor dem älter werden haben aber beginnen die großen Probleme des Lebens zu realisieren. Jugendliche, die Erwartungen an die Zukunft haben und deren Träume noch allzu oft zerplatzen werden: "Das Leben kennt keine Unendlichkeit".

Frühlingserwachen ist ein starkes Stück, das von seinen mutigen Darstellern lebt, die allesamt die unterschiedlichsten Facetten der literarischen Persönlichkeiten zeigen, in einem Drahtseilakt zwischen dem Drang nach Selbstbestimmung und totalem Kontrollverlust.

(RP)
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