Serie Büro (1) Ort ohne Leidenschaft

Kleve · In Deutschland arbeitet jeder zweite Erwerbstätige in einem Büro. Räume, in denen Karrieren beginnen und enden, von denen aus ein Konzern gelenkt oder regiert wird. In einer neuen Serie stellen wir Arbeitszimmer aus dem Kleverland vor. Darunter sind Büros wie aus einem Hochglanzprospekt, nüchterne und welche, in denen die Zeit stehengeblieben ist.

 Das staatsmännisch sortierte Büro von Altkanzler Helmut Schmidt in Bonn. Die Aufnahme ist zu sehen in der aktuellen Ausstellung „Deutsche Mythen seit 1945“, die bis zum 14. Oktober im Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, Bonn, zu sehen ist.

Das staatsmännisch sortierte Büro von Altkanzler Helmut Schmidt in Bonn. Die Aufnahme ist zu sehen in der aktuellen Ausstellung „Deutsche Mythen seit 1945“, die bis zum 14. Oktober im Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14, Bonn, zu sehen ist.

Foto: Axel Thünker

Es hält sich hartnäckig eine Geschichte über Amazon-Chef Jeff Bezos. Als der gerade damit begonnen hatte, das Einkaufen neu zu erfinden, wollte er einen Schluck Cappuccino aus einer Tasse trinken, die in seinem Büro stand. Irgendwo zwischen Büchern, Ordnern, Papierstapeln und anderem Krimskrams. Es soll kaum möglich gewesen sein, Möbel in dem Arbeitszimmer zu erkennen. Der jetzt reichste Mann der Welt hätte es beinahe nicht an die Spitze geschafft. Der Cappuccino war sieben Tage alt, eine Vergiftung drohte. Für die Gefahr sorgte das Chaos in dem Raum.

Jeff Bezos fühlte sich offenbar in einem ziemlichen Saustall wohl. Aber es ist wichtig, in einem angenehmen Umfeld zu arbeiten. Die Produktivität soll wesentlich davon abhängen. So gibt es etliche Gutachten, die belegen, dass ein Chaos am Arbeitsplatz leistungsfördernd ist. Die kreative Kraft der Unordnung sorge dafür. Vollgemüllte Arbeitsplätze sollen Menschen zu anderen Sichtweisen anregen und von traditionellem Denken befreien. Harte Fakten, die beweisen, wie sich Output und Motivation mit der Raumgestaltung steigern lassen. Leider gibt es mindestens ebenso viele Untersuchungen, die genau das Gegenteil behaupten. Viel suchen koste Zeit und somit Effektivität. Auch lassen geordnete Arbeitsplätze auf aufgeräumte Persönlichkeiten schließen.

Ob sortiert oder nicht. Für ein Büro entwickeln die wenigsten eine große Leidenschaft. Langeweile steht für den Arbeitsraum, Angestellte verrichten hier ihr Tagwerk: acht Stunden, fünf Tage in der Woche und mit einer geregelten Mittagspause. Morgens geht es mit gefüllter Tupperdose hin. Nach Feierabend mit leerer zurück. Selten erzählen Menschen euphorisch über den Büroalltag. Es ist ein Ort der Beschaulichkeit. Der klassische Dienstraum ist karg eingerichtet, von Wandkalender und Topfpflanzen geprägt. Zweckmäßig muss es sein. Für eine persönliche Note sorgen Familienbilder in Plastikrahmen. Der Job des Büroangestellten genießt nicht den besten Ruf. Antriebsschwäche und Ideenlosigkeit stehen oft für die dort Beschäftigten. Vortäuschen von Betriebsamkeit sei ein typisches Bürophänomen, wird geurteilt. Das Wort bürokratisch, das ebenfalls nicht vorteilhaft behaftet ist, kommt aus diesem Raum und wirkt ebenso.

Doch ist es möglich, die Effektivität durch das richtige Mobiliar zu steigern. Davon ist Nicki Marquardt überzeugt. Marquardt ist Professor an der Hochschule Rhein-Waal und leitet den Studiengang Arbeits- und Organisationspsychologie. „Es ist immer davon abhängig, um welchen Job es geht“, sagt er. Wo nach klaren Vorgaben gearbeitet wird, seien nüchterne, funktional eingerichtete Räume sinnvoller. „Was soll ich denn im Finanzamt mit Gummisesseln? Hier sind die Abläufe immer die selben. Rationalität prägt die Arbeit und den Raum.“ Das extreme Gegenbeispiel seien die Start-up-Unternehmen. Dazu gehören Firmen wie Google, Facebook, Twitter oder eBay. Hier sei der Mitarbeiter häufig völlig frei in seiner Arbeitsplatzgestaltung. „Das ist auch für das Selbstverständnis wichtig. So kreativ wie sie dort arbeiten, ist auch das Umfeld“, erklärt der Dozent. Der Zustand des Büros sage jedoch nur bedingt etwas über seinen Bewohner aus. Eine blankgeputzte Arbeitsplatte mit akkurat sortierten Papierstapeln lasse nicht zwangsläufig auf eine strukturierte Persönlichkeit schließen, so Marquardt. Ebenso wie Werktätige in offenen, bunten Räumen nicht immer kreativ und unstrukturiert sind. „Untersuchungen besagen ohnehin, dass die besten Ideen in der Kaffeepause entstehen“, sagt Nicki Marquardt.

Noch mehr als die Einrichtung, kann die Umgebung zum Wohlbefinden beitragen. So finden es viele Angestellte angenehm, mit vielen Kollegen, in einem großen, offenen Raum möglichst eng zusammen zu sitzen. Sie brauchen Kontakt. Bei der Büroform muss niemand mehr an irgendeine Tür klopfen. Kurze Wege, keine Hürden zu den Vorgesetzten. Kommunikation über halbhohe Trennwände hinweg. Für andere ist es eine Qual. Allein schon ihren Arbeitstag mit einem freundlichen „Guten Morgen“ beginnen zu müssen. Oder danach zu fragen, wie denn das Wochenende war. Jeder hört, wer mit wem telefoniert oder blickt den ganzen Tag gegen das karierte Hemd des Kollegen. In Gruppenarbeitsräumen kippt die Stimmung schnell. Allein schon bei der Frage: Fenster auf, Fenster zu? Wenig kompromissbereit, stört einige der „eisige Zug“ im Rücken. Etliche, die in einem derartigen Raumkonzept arbeiten, hätten liebend gern ein Büro für sich. Doch allein den Wunsch zu äußern, ist brandgefährlich. Schnell heißt es „der hat doch ’was zu verbergen. ’War immer schon ein komischer Typ“.

Das Büro ist ein Ort, an dem viel Zeit verbracht wird. Es heißt, Arbeit sei das halbe Leben. Es ist ein Raum der einen immer begleitet. Wer nicht im Büro arbeitet oder eines zu Hause hat, sitzt immer wieder in einem. Ob auf dem Amt, im Versicherungsbüro oder in dem des Chefs.

Interessant ist, was einen im Inneren erwartet. Teilweise kommt man in Arbeitszimmer, die aus einer anderen Zeit stammen. In übriggeblieben Büros aus den 70er Jahren von Angestellten mit Leitungsfunktion hängen noch kleine Waschbecken. Gerne in der Ecke hinter der Tür. Es gibt Diensträume wie ein Museum eingerichtet. Da stehen ein Gründerjahre-Schreibtisch ohne Schubfächer und ein Schrank mit reichlich Schnitzwerk, dem es aber an Tiefe fehlte, um Ordner hineinzustellen. Hier wird in erster Linie repräsentiert, aber nicht gearbeitet.

Beim Arbeitsmobiliar werden Traditionalisten schnell erkannt. Sie setzten auf standfeste, gewichtige Werte. Ein Phänomen, dem Susanne Teubler (54) regelmäßig noch begegnet. Sie ist Fachfrau für die Einrichtung von Arbeitsplätzen und erstellt Raumkonzepte bei dem 1960 gegründeten Klever Unternehmen Büro Derksen. Sie steht in Privathaushalten immer noch vor braunen, klobigen Massivholzstücken. „Es sind Schreibtische aus den 60er und 70er Jahren, die aus Echtholzfurnier hergestellt wurden“, sagt sie. Geschäftsführer orderten in der Zeit nach dem Motto „je schwerer, desto besser“, gerne kühl und geschmacklos. In Unternehmen sind diese mittlerweile verschwunden. Etwa alle 20 Jahre würde hier das Arbeitsambiente ausgetauscht, so Teubler. Wert wird hier nicht auf Designerstücke gelegt, sondern auf ergonomische Tische und Stühle. „Dass sich die Investition in eine hochwertige Einrichtungen lohnt, um Rückenkrankheiten zu vermeiden, ist mittlerweile bei Arbeitgebern angekommen.“

Selbst Staatenlenker saßen an ausgewachsenen Schreibtischen mit viel Ablagefläche und wenig Stil. Als Helmut Schmidt 1974 die Arbeit im Bundeskanzleramt aufnimmt und das Haus mit neuem Büro erblickte, urteilte er: „Es könnte genauso gut eine rheinische Sparkasse darin residieren.“ Eine Ausstattung, die zweifellos passen würde. Gut aufgestellt und ordentlich sortiert. Zumindest ist die Gefahr gering, dass Vorstände hier aus Tassen mit sieben Tage altem Cappuccino trinken.

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