Unser Rhein (Folge 11) Ein Idyll, das zur Raffinerie werden sollte

Kleve · 1969 schmiedete der Veba-Konzern Pläne, den Orsoyer Rheinbogen zum Standort der Großchemie zu machen.

 Niederrhein-Natur bei Wallach: Nur ein Stück stromauf sollte ein petrochemischer Komplex entstehen - dreimal so groß wie Bayer bei Leverkusen.

Niederrhein-Natur bei Wallach: Nur ein Stück stromauf sollte ein petrochemischer Komplex entstehen - dreimal so groß wie Bayer bei Leverkusen.

Foto: Stephan Kaluza/Rheinprojekt-Edition

So erklären sich Wasserbauer und Schiffer die Geografie: Zwischen Stromkilometer 802 und 804 öffnet sich vor Rheinberg die Landschaft nach Westen in den Orsoyer Rheinbogen. Vom Weg auf der Deichkrone aus fangen mächtige Weiden, Pappelreihen, lange Weidezäune und locker verteilte Büsche den Blick ein. Um ein Haar wären sie von turmhohen Raffinerieanlagen, Öltanks, Eisenbahngleisen und Fabrikanlagen verdrängt worden. Wie das ausgesehen hätte, stellte der damalige Oberkreisdirektor Hübner 1970 mit einer Delegation aus der Kreisstadt Moers dem Gemeinderat des noch selbstständigen Budberg mit einem Modell detailliert vor.

 Erster Spatenstich 1986 zum Wetterschacht der Ruhrkohle im Orsoyer Rheinbogen. Mit dem Ende des Bergbaus wurde das Millionen teure Loch in den Rheinwiesen wieder verfüllt.

Erster Spatenstich 1986 zum Wetterschacht der Ruhrkohle im Orsoyer Rheinbogen. Mit dem Ende des Bergbaus wurde das Millionen teure Loch in den Rheinwiesen wieder verfüllt.

Foto: Archiv

Die Dimensionen waren gewaltig: Die Anlage sollte dreimal so groß werden wie das Bayer-Werk in Leverkusen. Petrochemie. Bauherr: die Veba-Chemie. Mit einem Hafen. Mit einem Aluminiumwerk im Norden als Nachbarn. Und für die lokale Wirtschaft wäre gleich nebenan auch noch ein respektables Gewerbegebiet abgefallen.

Es war eine schöne Wirtschafts-Welt, die die Planer zeichneten und für die Veba-Oel schon viel Land gekauft hatte. 663 Hektar für ihren petrochemischen Komplex. Von etwa 7,50 Mark je Quadratmeter war die Rede - rund das Dreifache dessen, was Ackerland damals kostete.

 Naturidyll Orsoyer Rheinbogen - aktuell wird hier ein großer Stauraum für Rheinhochwasser geplant.

Naturidyll Orsoyer Rheinbogen - aktuell wird hier ein großer Stauraum für Rheinhochwasser geplant.

Foto: Fischer

Auf den Rheinbogen waren die Industrieplaner nicht von ungefähr gekommen: Nur dort war an der Rheinschiene noch genug Platz, um das Projekt überhaupt bauen zu können. Bauernhöfe, die dort lagen, wurden aufgekauft und abgebrochen. Die Raffinerie der Veba sollte nur das Herzstück des rund 775 Hektar umfassenden Ansiedlungsgebietes sein. Es sollte dem Kreis Moers - damals noch in der Monostruktur von Bergbau, Stahl und Eisenindustrie gefangen - im ersten Bauabschnitt für rund 400 Millionen Mark bis 1985 etwa 1300 neue Arbeitsplätze bringen; bis zum Jahr 2000 rechnete man mit 4000 neuen Stellen. Insgesamt war sogar von 9500 Beschäftigten die Rede.

Um den Arbeitern eine Heimat zu geben, sollte Rheinberg massiv wachsen - die Planer sahen nicht mehr 25 000 Menschen in der Stadt, sondern locker doppelt so viele. Baulöwe Kun kaufte viel Land in der "Millinger Heide" und wollte dort Hochhäuser auf den sandigen Boden klotzen, um die Neu-Rheinberger unterzubringen. Vor Ort, in der Region, auch im Land wurden die Prognosen mit leuchtenden Augen gelesen. Doch dann kam Gegenwind. Es hagelte Proteste von Bürgern und Gemeinden. Die ersten Demos in Rheinberg: Särge wurden durch den Rheinbogen geschleppt und auf den Markt getragen. Symbolisch. Aus Sorge um die Umwelt. Jungsozialisten, aber auch die evangelische Kirche und eine Ärzteinitiative waren Kristallisationskerne des Widerstandes.

Letztlich lagen rund 16 000 Einsprüche gegen die Planung auf dem Tisch - abgeschickt selbst aus dem fernen Helsinki, wie seinerzeit gerne berichtet wurde.

Am Ende war es sogar für die Veba ein Glück, dass die Ansiedlungspläne platzten. Die Raffineriekapazitäten wurden nicht mehr gebraucht, wären für den Konzern teurer Ballast geworden. Eine Kohlehydrieranlage, über die Anfang der 80er Jahre als Folge der zweiten Ölkrise nachgedacht wurde, wäre nie wirtschaftlich geworden. Am Ende eines langen Weges voller Komplikationen beschloss die Landesregierung 1986, den mittlerweile als international bedeutsames Feuchtgebiet und Rastplatz arktischer Wildgänse anerkannten Rheinbogen grün zu lassen.

Das blieb er bis heute. Jedenfalls im Prinzip. In der Tiefe baute der Bergbau jede Menge Kohle ab. Aus einem kleinen Stück des Rheinbogens machte er mit mächtigen Gefrieranlagen vorübergehend einen riesigen Eisklotz. Dadurch wurde der Boden aus Sand und Kies so stabil, dass darin ein Wetterschacht abgeteuft werden konnte. Der ist mittlerweile wieder verfüllt.

Zurzeit wird im Rheinbogen ein ganz großes Hochwasserschutzprojekt vorbereitet: Das Land kaufte von Veba-Nachfolgerin BP deren Fläche, um darauf einen riesigen Rückhalteraum zum Hochwasserschutz zu bauen.

(RP)
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