Weltkriegs-Bomben in Kleve So werden Blindgänger gesucht und gefunden

Kleve · Auch mehr als 75 Jahre nach Kriegsende werden noch etliche Blindgänger unter Kleve vermutet. Erst am Dienstag musste wieder einer entschärft werden. Doch wie lässt sich die Gefahr einschätzen? Und wer trägt die Kosten? Eine Übersicht.

 Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes entschärfen die Fünf-Zentner-Bombe, die am Dienstag auf einem Baugrundstück an der Lindenallee gefunden wurde. Die Kosten für die Entschärfung trägt das Land NRW – alle weiteren Kosten muss allerdings der Grundstückseigentümer übernehmen.

Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes entschärfen die Fünf-Zentner-Bombe, die am Dienstag auf einem Baugrundstück an der Lindenallee gefunden wurde. Die Kosten für die Entschärfung trägt das Land NRW – alle weiteren Kosten muss allerdings der Grundstückseigentümer übernehmen.

Foto: Markus van Offern (Markus van Offern)/Markus van Offern (mvo)

Seit Monaten herrscht Stillstand auf dem freigelegten Gelände neben der Klever Stiftskirche. Dort, wo eigentlich der Bau des neuen Pfarrheims entstehen soll, geht nichts. Der Grund: Der Kampfmittelbeseitigungsdienst der Bezirksregierung Düsseldorf hat bei Sondierungen sogenannte „Anormalitäten im Boden“ festgestellt, bei denen es sich um Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg handeln könnte (wir berichteten).

Dass unter Kleve noch etliche solcher Blindgänger schlummern, gilt als gesichert. Das zeigte nicht zuletzt der Fund am Dienstag, als auf einem Baugrundstück an der Lindenallee eine englische Fünf-Zentner-Bombe entschärft werden musste. So geht auch die Bezirksregierung Düsseldorf davon aus, dass es in Zukunft noch etliche weitere Funde geben wird. Zumeist sind die Sprengkörper kleiner. Häufiger werden Granaten gefunden. Laut Bezirksregierung liegt das daran, dass am Niederrhein im Zweiten Weltkrieg viele Bodenkämpfe stattgefunden haben. Der Kampfmittelräumdienst findet daher auch viele Granaten.

Doch wie hoch ist die Gefahr eigentlich noch, wie genau wird sie im Vorfeld eingeschätzt und ermittelt? Wie werden Blindgänger lokalisiert? Und welche Kosten können dabei entstehen – vor allem für Privatleute? Wir haben die wichtigsten Fragen gesammelt.

Wie viele Blindgänger liegen noch unter Kleve? Das lässt sich laut Bezirksregierung Düsseldorf nicht pauschal beantworten. Klar ist nur, „dass im Zweiten Weltkrieg etwa 2,7 Millionen Tonnen Kampfmittel abgeworfen wurden, inklusive aller Brand- und sonstiger Munition. Davon fiel die Hälfte auf deutschen Reichsgebiet, davon nochmals knapp die Hälfte auf NRW“, so Regierungssprecherin Beatrix van Vlodrop. Eine belastbare Aussage zur etwaigen Anzahl können die Experten nicht treffen.

Wie werden Blindgänger lokalisiert? Dem Kampfmittelbeseitigungsdienst liegen rund 330.000 Luftbilder aus den Jahren 1939 bis 1945 vor. Die Alliierten hatten zur Vorbereitung und Kontrolle ihrer Luftangriffe Aufklärungsfotos der betroffenen Regionen aufgenommen. Diese Aufnahmen lassen erkennen, wo schwerpunktmäßig Kampfmittel abgeworfen wurden. Diese Bilder werden ausgewertet und mit heutigen Aufnahmen verglichen. Dadurch lassen sich mögliche Gefahren erkennen und präventive Maßnahmen einleiten. Gelegentlich kommt es aber auch zu Zufallsfunden, die ein sofortiges Handeln notwendig machen.

Werden Luftbilder pauschal ausgewertet? Nein. Die Auswertung wird immer einzeln im Zusammenhang mit Bauaktivitäten beim Ordnungsamt beantragt. Und zwar dann, wenn ein sogenannter Bodeneingriff erfolgt – also, wenn gegraben werden soll. Unterschieden wird zwischen einem nicht-unerheblichen Bodeneingriff (tiefer als 80 cm) und einem unerheblichen (bis 80 cm). Im ersten Fall ist ein Antrag auf Luftbildauswertung zwingend nötig – im zweiten Fall nur, wenn sich das Baugebiet auf einem Erdkampfgebiet des Zweiten Weltkriegs befindet.

Genauere Auskunft kann in solch einem Fall das örtliche Ordnungsamt geben. Anträge auf Luftbildauswertung sind immer vom Bauherren zu stellen, sind (zunächst) kostenlos und haben in der Regel eine Bearbeitungszeit von rund zwei bis drei Wochen. Laut Stadtsprecher Jörg Boltersdorf war in den vergangenen fünf Jahren für 70 Prozent aller privaten Bauvorhaben in Kleve eine Luftbildauswertung notwendig, im Schnitt 116 pro Jahr.

Wie werden Luftbilder ausgewertet? Es werden Verdachtsflächen für eine mögliche Existenz von Kampfmitteln identifiziert. Dabei wird zwischen einem konkreten Verdacht (Objekte wie Laufgräben, Panzergräben, Stellungen sind zu erkennen) und einem diffusen Verdacht (lediglich Auswirkungen von Kampfhandlungen wie dem Beschuss durch Artilleriemunition oder durch Bombardierung zerstörte Gebäude sind zu erkennen) unterschieden.

Der Kampfmittelbeseitigungsdienst empfiehlt im Anschluss die Überprüfung aller konkreten Verdachtsobjekte sowie jener Bereiche, in denen ein diffuser Verdacht vorliegt und es zu Erdeingriffen durch die Bauarbeiten kommen soll. Darüber hinaus werden immer Sicherheitsdetektionen empfohlen, sofern bestimmte energiereiche Bauarbeiten (Pfahlgründungen, Rammungen) durchgeführt werden sollen, da auch die Luftbildauswertung an technische Grenzen stößt.

Wird jeder Verdacht überprüft? Ob konkrete Überprüfungen durchgeführt werden müssen, wird abschließend vom Ordnungsamt der Kommune entschieden. Dabei wird in Betracht gezogen, ob und in welchem Umfang Bodeneingriffe auf dem Grundstück geplant sind. Darüber hinaus werden weitere Aspekte, wie Geländeveränderungen seit dem Weltkriegs-Ende und die heutige Geländesituation (z.B. Auskiesungen, Auffüllungen) berücksichtigt.

Wie wird vor Ort nach möglichen Blindgängern gesucht? Werden mögliche Munitionsreste knapp unterhalb der Oberfläche vermutet, wird die betroffene Fläche zunächst mit Metalldetektoren überprüft. Dadurch werden eisenhaltige Gegenstände bis zu einer Tiefe von drei bis vier Metern detektiert. Blindgänger können allerdings in einer Tiefe von bis zu acht Metern liegen. Besteht der Verdacht und ergibt die Oberflächensuche keine Ergebnisse, folgt eine sogenannte Tiefensondierung.

Dazu muss der Bauherr vorher Voraussetzungen schaffen – beispielsweise die Begehbarkeit der Fläche herstellen, den Verlauf sämtlicher Leitungen ermitteln und Veränderungen im Geländeprofil seit Kriegsende ermitteln und abtragen. Danach werden bis zu 7,5 Meter tiefe Löcher ins Erdreich gebohrt, in diese werden dann Metalldetektoren herabgelassen. Wird dabei ein Blindgänger gefunden, wird dieser meist vor Ort entschärft.

Welche Kosten können dabei entstehen? Werden tatsächlich Blindgänger gefunden, bezahlt deren Entschärfung das Land NRW. Allerdings sind die Kosten für vorbereitende Maßnahmen und die Wiederherstellung der Fläche vom Grundstückseigentümer zu übernehmen. In Betracht kommen laut Jörg Boltersdorf in diesem Fall etwa Kosten für Absperr- und Evakuierungsmaßnahmen, die Sicherung von Baugruben oder Kosten für die Vorbereitung der zu untersuchenden Fläche (Abtrag von Oberböden, Freischneiden, Leitungsfreiheit). Aus eigener Tasche bezahlt werden müssen zudem Hilfsmittel wie Stroh oder Dämmmaterial.

Wie hoch die Kosten für Privatleute letztlich ausfallen, lässt sich also nicht genau beziffern. Allerdings dürften schnell mehrere Tausend Euro fällig werden – je nachdem, was und wo es gefunden wird, wie schnell es entschärft werden kann und welche Sicherungsmaßnahmen von den lokalen Behörden eingeleitet werden müssen.

Mehr Informationen unter brd.nrw.de

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