Kranenburg Liss-Kind Nora: Zischen als Liebesbeweis
Kranenburg · Nora kam mit einem „glatten“ Gehirn zur Welt. Ein Schicksal, das die Familie noch enger zusammenschweißte. Nun folgt weiterer Nachwuchs.
Wer in diesen Wochen die Dachgeschoss-Wohnung der Familie Janßen-Proest betritt, der muss aufpassen, nicht über Umzugskartons zu stolpern. Es herrscht Aufbruchstimmung bei der vierköpfigen Familie. Groß aber wird ihr Schritt nicht sein - nur zwei Straßenzüge weiter beziehen sie ihre neue Bleibe. Und während in der Wohnung betriebsames Ein- und Wegpacken stattfindet, liegt Nora in ihrem Bett und strahlt an die Decke. „Jetzt ist sie neugierig, da sie unsere Stimmen hört“, sagt Proest.
Die Situation der Familie ist seit beinahe drei Jahren eine besondere, wenngleich Vater Daniel Janßen klarmacht: „Wir sind eine ganz normale Familie“. Die jüngste Tochter Nora (2) kam mit der schwersten körperlichen Behinderung „Lissenzephalie“ zur Welt, umgangssprachlich ein „glattes Gehirn“. Daher wird sie nie eigenständig essen, laufen oder sprechen können. Auch ihre Lebenserwartung sei kurz: „Der älteste „Liss-Mensch“ ist 23 Jahre alt geworden“, sagt Janßen. Dass etwas mit Nora nicht stimme, sei nicht gleich klar gewesen. Doch Noras Augen verhielten sich nicht normal; Personen oder Gegenstände mit den Augen zu verfolgen schien unmöglich. Dazu kamen in immer kürzeren Abständen epileptische Krampfanfälle. „Es ist eine extrem selten auftretende Krankheit“, sagt Janßen. Er sei mittlerweile zu einem richtigen „Liss-Experten“ geworden, schließlich beschäftige er sich täglich mit der Krankheit.
„Die Diagnose war natürlich ein großer Schock, den man erst einmal verarbeiten muss", sagt Jenny Proest. Es gebe, so erklärt sie, in solch einer Situation nur zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: „Entweder man zerbricht als Familie und als Paar daran, oder man rückt enger zusammen.“ Rückblickend ist klar: die Verbindung von Janßen und Proest ist noch enger geworden. Auch habe niemand sonst in ihrem Umfeld, weder Freunde noch Angehörige, Abstand genommen. Mit der Diagnose aber fasste Proest einen Entschluss: Das Schicksal von Nora solle an die Öffentlichkeit. „Ich war deutlich dagegen. Schließlich gehören Kinderfotos nicht ins Netz“, sagt Janßen. Seine Partnerin aber setzte sich durch und platzierte eine Seite für Nora in den sozialen Netzwerken. Darauf veröffentlicht die Familie seitdem regelmäßig Bilder und Videos über den Alltag Noras. „Wir haben durch den Schritt in die Öffentlichkeit viel Zuspruch bekommen. Das gibt uns Kraft“, sagt Janßen. Die Seite schlug hohe Wellen: Ein Klever Journalisten-Trio begleitete die Familie in der Folge filmisch und zeigte das Werk im Klever Tichel-Park. Dass der Umgang mit Nora dennoch manchmal schwierig sei, leugnen die jungen Eltern nicht. „Es gibt dafür keine Entschuldigung. Aber dass Leute, die psychisch nicht stabil sind, ihre Babys schütteln, kann ich nicht mehr absurd finden“, sagt Janßen. Es gebe Nächte, in denen mache Nora einen „verrückt“. Unaufhörlich und scheinbar grundlos heule sie dann die ganze Nacht durch. Auch die im Durchschnitt zwei Mal täglich auftretenden epileptischen Anfälle seien emotional belastend. „Wir sehen es Nora an, wenn sie kommen. Aber man fühlt sich ohnmächtig, da wir nichts dagegen tun können“, sagt Janßen, der Nora als „Papa-Kind“ sieht. „Trotzdem gehen wir immer hin, halten ihren Kopf und streicheln sie. Sie muss wissen, dass wir da sind“, sagt Proest. Auch die älteste Tochter Nele (8) kümmere sich dann rührend um ihre kleine Schwester. „Die sind ein eingeschworenes Duo“, sagt Janßen. Nora, das merkt jeder Besucher rasch, ist ein fröhliches Kind. Sie lacht, lauscht und dreht sich auf den Bauch. Die schönsten Momente aber beschere sie, wenn sie „zischt“. „Aktuell ist Nora in einer Phase, in der sie viel nachahmt“, sagt Janßen. Sie gehört genau hin, wenn ihr Vater, sie auf dem Schoss haltend, mit der Zunge schnalzt oder pustet. Nach wenigen Sekunden wiederholt sie das Geräusch und grinst über das ganze Gesicht. „Sie ist unser Sonnenschein. Nora ist ein glückliches Baby. Der einzige Unterschied zu anderen Kindern ist, dass sie für immer ein Baby bleiben wird", sagt Janßen. In den kommenden Wochen stehen nicht nur wegen des Umzugs bewegte Zeiten bevor. Proest ist schwanger, bis voraussichtlich August wird sie einen Jungen zur Welt bringen. „Er ist gesund", sagt sie.