Serie 200 Jahre Raiffeisen Der Vater einer genialen Idee

Kleve · Friedrich-Wilhelm Raiffeisen wurde am 30. März 1818 als siebtes von neun Kindern in Hamm an der Sieg geboren. Zwei Prinzipien trieben ihn bei der Gründung von Genossenschaften an: Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe.

 Friedrich-Wilhelm Raiffeisen ist in voller Lebensgröße als Aufsteller in Filialen der Volksbanken an der Niers und Kleverland zu sehen.

Friedrich-Wilhelm Raiffeisen ist in voller Lebensgröße als Aufsteller in Filialen der Volksbanken an der Niers und Kleverland zu sehen.

Foto: Markus van Offern

Kreis Kleve Knapp acht Millionen Mitglieder sind 2018 im Genossenschaftsverband organisiert. Darunter 402 Kreditgenossenschaften und Banken (wie die Volksbank an der Niers oder die Volksbank Kleverland) mit über 72.000 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von 437 Millionen Euro. Oder die 473 Landwirtschaftlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften (wie in Bedburg-Hau-Louisendorf oder wie in Wachtendonk) mit 18.616 Beschäftigten und einer Bilanzsumme von 18,3 Millionen Euro. Nicht zu vergessen die Immobiliengenossenschaften wie Geldern oder Goch.

Die Genossen sind dabei nicht nur lokal, regional und bundesweit vernetzt. "Genossenschaften sorgen dafür, dass niemand zurückbleibt", sagt Andreas Kappes, Generalsekretär der Internationalen Raiffeisen Union, auf dem internationalen Genossenschaftstag 2017. Denn sie alle folgen einer Idee. Und die ist jetzt 200 Jahre alt. Deshalb wird gefeiert - auch bei den Genossenschaften im Kreis Kleve.

Es sei die "geniale Idee" (wie der Genossenschaftsverband präzisiert) des Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Ein Mann, der die Idee entwickelte, die heute aktueller denn je ist und inzwischen 800 Millionen Menschen weltweit fasziniert. Dabei hat Raiffeisen seine Heimat nie verlassen.

Seine Idee, dass viele das umsetzen können, was einer alleine nicht schafft, hat das Leben und Wirtschaften der Menschen spürbar verbessert. Zwei Prinzipien trieben ihn dabei an: Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe, so Eckhard Ott vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband.

Doch dass Raiffeisen eine konkrete historische Person ist, wissen nur die wenigsten: "Vier Prozent verbanden damit den Menschen, für andere war es ein Synonym für Wohngenossenschaften, Agrargenossenschaften oder eben Banken", sagt eine Sprecherin des Organisationsbüros Raiffeisen 2018, dass derzeit bundesweit Aktionen rund um den Mann auf die Beine stellt. Josef Zolk, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft, fügt an: "Das Motto ,Mensch Raiffeisen, starke Idee!' macht deutlich, dass hinter dieser Idee eine Person steht. Diese Idee war stark und ist stark. Selbstverantwortung, Selbsthilfe, Selbstverwaltung".

Raiffeisen wurde am 30. März 1818 als siebtes von neun Kindern in Hamm an der Sieg geboren - im gleichen Jahr wie Karl Marx. Und wie Marx erlebte auch der Mann von der Sieg eine Zeit, die für die Menschen von Hunger, Arbeitslosigkeit und politischen Verfolgungen bestimmt waren und Millionen Deutsche in die Emigration trieben. Raiffeisen wird religiös erzogen; seine Kindheit ist von Geldnöten geprägt. Er meldet sich mit 17 freiwillig zum Militär, später arbeitet er in der Verwaltung.

1846 verursachen die Ausbrüche von Vulkanen in Asien und im Pazifik Klimaveränderungen in ganz Mitteleuropa - im Westerwald fällt im August Schnee, der Ernteertrag ist gering, die Lebensmittelpreise explodieren. Raiffeisen gründet den "Weyerbuscher Brodverein" - zuerst zur Verteilung von Lebensmitteln, dann für den gemeinsamen Bezug von Saatgut und Kartoffeln. Das errichtete Gemeindebackhaus ist eine erste genossenschaftsähnliche Einrichtung. 1849 gründet Raiffeisen den "Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte", der Kredite an Landwirte vergibt. Es ist der erste Verein in Deutschland mit Solidarhaftung.

Nahezu zeitgleich gründet in Sachsen Hermann Schulze-Delitzsch die ersten "Rohstoffassoziationen" für Tischler und Schuhmacher und 1850 den ersten "Vorschussverein" - den Vorläufer der heutigen Volksbanken. Die von Raiffeisen gegründeten Darlehnskassenvereine in Anhausen, Engers und Heddesdorf verpflichten 1862 die Kreditnehmer erstmals zur Mitgliedschaft. Sie gelten heute als erste Genossenschaften im Raiffeisenschen Sinne. Der Mann, der die Genossenschaft erfand, stirbt 1888, vier Jahre vor seinem Tod hat Kaiser Wilhelm I. ihn zum Ritter des Roten Adlerordens ernannt.

1866, ein Jahr, nachdem Raiffeisen aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt worden war, veröffentlicht er mit Unterstützung seiner Tochter Amalie sein Buch "Die Darlehnskassenvereine als Mittel zur Abhülfe der Noth der ländlichen Bevölkerung sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter". Das Buch wird ein Erfolg. Es thematisiert den großen Teil des Genossenschaftskosmos - wie Konsum-, Verkaufs-, Winzer-, Molkerei- und Viehversicherungsgenossenschaften. Heute in Zeiten von Crowdfunding ist die Genossenschaftsidee jünger denn je.

(mgr)
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