Kleve Tradition stirbt mit

Kleve · Der Monat November ist ein ungemütlicher und dunkler Monat. Gut geeignet für Schwermut oder auch Trauer. Einen Teil der trüben Zeit füllen die Totengedenktage Allerheiligen, Allerseelen, Volkstrauertag und Totensonntag, an denen der Verstorbenen gedacht wird. Doch hat sich der Stellenwert der stillen Tage ebenso verändert wie die Bestattungskultur und die verschiedenen Orte der Trauer. Der Friedhof verliert dabei an Bedeutung.

 Menschen sterben, aber die Friedhöfe werden leerer. Die Trauer sucht sich neue Wege.

Menschen sterben, aber die Friedhöfe werden leerer. Die Trauer sucht sich neue Wege.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Der November wird nie Gefahr laufen, zu den beliebtesten Monaten des Jahres zu gehören. Eigentlich könnte man ihn ganz streichen. Die Sonne entzieht uns Licht und Wärme, die Natur stirbt ab. Die Zeit ist trist, dunkel, depressiv und der Vergänglichkeit gewidmet. Dem Tod sind im November vier Tage gewidmet, an denen der Verstorbenen gedacht wird.

Friedhöfe bieten dafür ein besinnliches Umfeld. Auf den Ruhestätten werden als Symbol des Auferstehungsglaubens Kerzen angezündet. Doch wird es hier seit Jahren immer dunkler. Der Friedhof verliert als öffentlicher Gedenkort an Bedeutung. Die Reihen entlang der Einzelgräber und Gruften lichten sich. Die Zahl der Lichter wird geringer, der Platz für die Toten größer. Ein Grund dafür ist, dass sich die Bestattungskultur verändert hat. Vor knapp Zweijahrzehnten wurde noch darüber angedacht, Friedhöfe zu erweitern. Immer dann wenn ein Gottesacker „verwesungsmüde“ war, wie es im Fachjargon heißt, also gesättigt mit Toten. Heute steht mehr Raum denn je zur Verfügung.Die klassische Beisetzung ist ein Auslaufmodell. Bei Spaziergängen über den Klever Friedhof an der Merowingerstraße ist unübersehbar, wie sich Lücken zu Rasenflächen entwickeln. Die Felder für Urnen werden dichter, das Streufeld für die Asche der Dahingeschiedenen intensiver genutzt. Jahrhunderte trauerten die Deutschen am offenen Erdgrab. Mit einem Grabstein am Kopf der Ruhestätte, der einst auch als Statussymbol galt. Nach dem Tod wurde mit meterhohem Granit der Wohlstand demonstriert. Heute sind kunstvoll gestaltete Denkmäler in der Bedeutungslosigkeit versunken und werden kaum mehr gefragt.

Christian Kruchem (37) kann die Entwicklung bestätigen. Er ist Steinmetz und arbeitet beim Unternehmen Germar & Terheiden auf der Merowingerstraße in der Nähe des Friedhofs. Der Betrieb verkauft Grabsteine. Aber immer weniger. Wenn Kruchem aus seinem Bürofenster schaut, blickt er auf mehrere Dutzend Denkmäler. Ein reichhaltiges Angebot steht hier auf einem rötlichen Kiesbett. Doch sind jene Steine, die in den Himmel ragen, Ladenhüter. Im vergangenen Monat verkaufte Kruchem nur noch ein stattliches Grabmal. Der Absatz sei Anfang der 90er Jahre spürbar zurückgegangen, dafür steige der an Gedenkplatten für Urnengräber, so Kruchem. Sie sind günstig, platzsparend und pflegeleicht. Einen Beitrag zum sinkenden Absatz leisten auch Betriebe, die zu Discounterpreisen die letzte Ruhestätte ausstatten. Die Billiganbieter kommen aus den Niederlanden und grasen hier mit Kampfpreisen den Markt ab. Etliche Steinmetzbetriebe können allein vom Verkauf der Grabplatten nicht mehr existieren. Sie haben sich ein zweites Standbein aufgebaut und fertigen etwa Granitplatten für Küchen an.

In dem Besprechungszimmer von Christian Kruchem sitzen zwei junge Frauen. Sie interessieren sich für einen Legestein aus Granit. Der Steinmetz schreibt den Namen sowie das Geburts- und Sterbedatum auf. Er muss die Zahl der einzugravierenden Zeichen wissen, denn auch danach richtet sich der Preis. Im Durchschnitt kostet eine Platte von der Größe 40 mal 40 Zentimeter 500 Euro. „Nach oben gibt es bei Denkmälern kaum eine Preisgrenze“, sagt der Steinmetz. Für ihn spiegelt die anonyme Form der Beisetzung eine verändere Kultur in der Gesellschaft wider, die da lautet: „Möglichst wenig Kosten verursachen und nur keinem zur Last fallen.“

Jedoch sind die Auslagen für eine Erdbestattung mit Grabmal, Nutzungsrecht der Ruhestätte, Sarg, Bestatter und Gebühren beträchtlich. Nicht nur die Seele des Verstorbenen, auch der Rechnungsbetrag für die Hinterbliebenen steigt schnell aufwärts. Von durchschnittlich etwa 6000 Euro spricht Heinz Plecker (47) vom Bestattungsinstitut Winters. Die Entscheidung für eine bestimmte Form der Beisetzung ist deshalb auch aus der Not geboren. Nicht wenige Hinterbliebene haben schlichtweg nicht das Geld dafür. Hinzu kommen Aufwendungen für die Grabpflege. Wer macht das? Wer zahlt? Die Zeit, in der viele Verwandte vor Ort leben und sich darum kümmern konnten, ist Geschichte. Die Familienstrukturen haben sich verändert. Sesshaftigkeit gehört für viele Menschen nicht mehr zwingend zum Leben dazu.

In der Pietät von Heinz Plecker steht die veränderte Bestattungskultur in einem Ikea-Regal. Ausgestellt sind hier nur wenige Urnen in verschiedenen Farben und Formen, schier unendlich ist das Angebot in den Katalogen. So können etwa die Wappen der Bundesliga-Vereine auf den Behälter gedruckt werden, um einen auf die letzte Reise zu begleiten. Plecker erklärt, warum ein reichhaltiges Angebot an Gefäßen notwendig ist: „Bei uns beträgt der Anteil an Feuerbestattungen mittlerweile 75 Prozent.“

Der Trend weg von Reihengrab oder Gruft lässt sich auch durch Zahlen belegen. Jürgen Cremer ist bei den Umweltbetrieben der Stadt Kleve (USK) beschäftigt und zuständig für vier Klever Gottesäcker. „Auf dem Friedhof an der Merowingerstraße ist die Zahl der Erdbestattungen in den vergangenen acht Jahren um 35 Prozent gesunken. Und der Trend wird weiter gehen“, sagt Cremer. Die Stadt verkauft die Nutzungsrechte für eine Grabstätte für eine bestimmte Laufzeit. Die meisten werden danach nicht verlängert und so die Wahlgräber an den Wegen eingeebnet. Die Felder für eine Bestattung im Quadrat füllen sich, das Streufeld immer häufiger genutzt. Hier, wo die Asche des Verstorbenen dem Wind überlassen wird. Experten zufolge wird die Hälfte der Friedhofsfläche in Deutschland nicht mehr für Bestattungen benötigt. Gestorben wird immer. Bestattet anders. Die katholische Kirche lehnte Feuerbestattungen lange Zeit ab. Erst im 20. Jahrhundert wurde ein generelles Verbot aufgehoben.

Kleves Propst Johannes Mecking sieht die veränderte Bestattungskultur pragmatisch: „Wenn die Kinder hunderte Kilometer entfernt wohnen, wer soll sich um die Pflege kümmern?“ Für ihn ist etwas anderes von großer Bedeutung. „Es ist wichtig, dass die Hinterbliebenen  eine Stelle haben, einen Anlaufpunkt, um ihrer Verstorbenen zu gedenken. Denn das hilft bei der Trauerbewältigung“, sagt Mecking. Er sieht es als problematisch an, wenn die sterblichen Überreste irgendwo verstreut werden, ohne zu wissen wo. „Trauer und Erinnerung brauchen konkrete Orte“, sagt der Propst.

Ebenso wie die Zahl der Gräber abgenommen hat, schwindet auch die Bedeutung der Friedhöfe als Ort der Begegnung. Zwischen den Toten gibt es kaum mehr Besucherleben. Auch an Feiertagen nimmt die Zahl ab. Hieß es einst zu Allerheiligen ’Heute gehen wir auf den Friedhof und besuchen die Verwandtschaft’, hielt sich die Begeisterung beim Nachwuchs in Grenzen. Doch änderte sich der Gemütszustand im Laufe des Besuchs. Wenn etwa die Eltern über Verstorbene am Wegesrand Geschichten erzählen konnten. Oder man selbst die Lebenszeiten ausrechnete.

Das Zusammentreffen auf religiösen Plätzen nimmt ab, auch weil die Bedeutung von Religion, Tradition und familiären Bindungen geringer wird. Dabei sind Gedenkstätten nicht allein Orte, an denen es um die Vergänglichkeit geht. So kann  der Klever Friedhof auch wegen seiner parkähnlichen Anlage Anlass für einen Besuch sein. Zu sehen sind etwa prachtvolle Ruhestätten mit künstlerisch wertvollen Denkmälern. Die sterblichen Überreste zahlreicher bedeutender Klever sind hier beigesetzt. Es ist wie ein Archiv aus Stein. Die Stadt pflegt diese Gruften. Sie bleiben lebenslang erhalten. Etliche Reihen lichten sich, die Gräber aufgegeben. Ein Stück Tradition stirbt mit.

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