Kleve-Materborn Der letzte gute Absatz

Kleve-Materborn · Die Schuhfabrik Otten & Leenders gibt es seit 1957 am Mittelweg in Kleve. 60 Jahre später ist Schluss. Norbert Leenders stellt den Betrieb ein. Die Produktion startete mit Fußballschuhen und endet jetzt mit Karnevalsstiefeln.

 Einer der letzen Aufträge, die Norbert Leenders abarbeitet: In seiner Materborner Werkstatt werden Stiefel für die Gocher Tanzgarde gefertigt.

Einer der letzen Aufträge, die Norbert Leenders abarbeitet: In seiner Materborner Werkstatt werden Stiefel für die Gocher Tanzgarde gefertigt.

Foto: Gottfried Evers

Die glorreiche Klever Schuhgeschichte endet in einer Doppelgarage in Materborn. Norbert Leenders (69), der letzte Schuhtechniker der Stadt, steht dort an einer Werkbank und fertigt zum Abschluss Tanzstiefel. Die Karnevalssession rückt näher und Leenders ist auf dem Gebiet der Tanzschuh-Produktion eine Koryphäe. Es werden die letzten sein, die er in seinem Berufsleben fertigt. Spätestens Aschermittwoch ist auch für ihn alles vorbei.

 Blick auf die Hallen der Schuhfabrik Otten & Leenders am Mittelweg. Die Aufnahme stammt aus den 1970er Jahren. Das Gebäude wurde 1904 gebaut. Hier produzierte zuvor die Schuhfabrik Mittmann.

Blick auf die Hallen der Schuhfabrik Otten & Leenders am Mittelweg. Die Aufnahme stammt aus den 1970er Jahren. Das Gebäude wurde 1904 gebaut. Hier produzierte zuvor die Schuhfabrik Mittmann.

Foto: N. N.

Neonlampen erhellen die Werkstatt. An den Wänden hängen reichlich Bilder von Tanzgarden, die Beine schwingen. Auch Fotos von Prinzenpaaren sind darunter. Holzpaletten liegen im Raum, es riecht nach Leder und Klebstoff. Leenders' Mitarbeiter Dieter de Klein (72) steht in der Ecke und bedient eine Maschine - eine Zuschneidestanze. Dieters Job wird hierzulande immer weniger gebraucht. Der 72-Jährige sagt nicht viel. Er ist konzentriert. Der Mann an der Stanze wurde von Leenders angelernt. Die Arbeitsgeräte erwecken einen historischen Eindruck. Aber es ist alles vor Ort, um prächtige und hochwertige Stiefel herzustellen.

 Im Rahmen von Stadtführungen bringt Norbert Leenders den Zuhörern die Klever Schuhindustrie näher.

Im Rahmen von Stadtführungen bringt Norbert Leenders den Zuhörern die Klever Schuhindustrie näher.

Foto: Kleve Marketing

Feste Arbeitszeiten haben die beiden Männer nicht mehr. "Wir orientieren uns an der Auftragslage", sagt Leenders - und die ist derzeit gut. 50 Paar Tanzstiefel sind bei ihm gerade in Arbeit. 100 weitere bereits bestellt. Die Rheinveilchen aus Köln brauchen Schuhwerk für die Session. Aus Aachen, Siegburg, die Prinzengarde Duisburg - alle kommen sie zu Leenders, um Stiefel für die fünfte Jahreszeit zu bestellen.

In der Doppelgarage wird die Produktion der Schuhfabrik Otten & Leenders auslaufen. Ein Betrieb, den Leenders' Vater Theodor zusammen mit Hans Otten vor genau 60 Jahren am Mittelweg aufgebaut hatte. Mit der Herstellung von "Fußballstiefeln" begann die Produktion.

"Zehn Schuhfabriken gab es zu jener Zeit in Kleve. Bei uns waren etwa 50 Leute beschäftigt", blickt Norbert Leenders zurück. Bis 1990 wurde in Serie gefertigt. Dann war man, wie auch andere namhafte Fabriken der Stadt, nicht mehr konkurrenzfähig. Die letzten 15 Mitarbeiter mussten gehen. Der große Klever Industriezweig verschwand immer weiter. "Es wurde nur noch kopiert. Die haben unser Muster gekauft, nach Italien geschickt und dort um mindestens die Hälfte günstiger hergestellt", sagt der Schuhtechniker.

Mit Wehmut blickt er zurück. So war Otten & Leenders das einzige Klever Unternehmen, in dem Pumps das Haus verließen. "Darunter waren auch extravagante Damenschuhe etwa aus Schlangenleder, die heute niemand mehr bezahlen könnte", betont Leenders. 600 Euro würde so ein Paar heute kosten. Zwei Kollektionen wurden jährlich am Mittelweg entworfen. Mit den Mustern waren die Vertreter in ganz Deutschland unterwegs. Bis in die Zentrale des Kaufhofs in Köln oder auch bei Karstadt. "Als wir unsere Modelle in den großen Warenhäusern präsentierten, zeigten die Einkäufer auf zwei Paare und sagten, '20 Mark sollen die kosten? Für 14 können sie liefern'," erinnert sich der Fachmann.

Norbert Leenders ist mit der Produktion von Schuhen aufgewachsen. Er lernte bei Hoffmann, der Klever Nummer eins. Dort konnte er den Weg des Schuhs vom Entwurf bis in den Karton verfolgen. Leenders arbeitete dort zu den Hochzeiten in den 60er Jahren, als täglich 24.000 Paar die Fabrik verließen. In Pirmasens, dem Zentrum dieses deutschen Industriezweigs, ließ er sich zum Schuhtechniker ausbilden. Danach arbeitete er drei Jahre bei Gabor, bevor ihn sein Vater in den heimischen Betrieb zurückholte.

Die Blütezeit der Klever Schuhindustrie war eine schöne. "Man half sich untereinander. Wer zu wenig Leder oder Absätze hatte, der holte sich welche beim Nachbarn", beschreibt der 69-Jährige die Hochzeiten, bevor der Niedergang einsetzte. Damit verbunden änderte sich auch bei Otten & Leenders das Geschäftsmodell. Karnevalsschuhe blieben ebenso ein Teil der Angebotspalette wie Spezialanfertigungen. So stammen etwa die Stiefel für die Deutschlandpremiere des Musical Cats vom Mittelweg. Auch die Künstler der Bayreuther Festspiele traten mit Produkten aus dem Hause Otten & Leenders auf. 1000 bis 2000 Tanzstiefel in der Session wurden produziert.

2014 verließ das Unternehmen den Mittelweg. Es waren zuletzt schwierige Zeiten. Norbert Leenders musste neun harte Monate überstehen. Die Stadt hatte die Straße vor seiner Werkstatt und seinem Geschäft aufgebrochen, kein Kunde konnte während dieser Zeit seinen Laden erreichen. Nach zwei Jahren an der Sackstraße arbeitet er nun seit 2015 in der Garage an der Kapellenstraße.

20 Paar Tanzstiefel für die Gocher Prinzengarde liegen auf seiner Werkbank. 100 Euro kostet das handgefertigte Schuhwerk für Damen, Herrenstiefel sind 50 Euro teurer. Auch die Karnevalisten aus Denklingen bei Aachen haben noch schnell 20 Paar geordert. Trotz des ordentlichen Auftragseingangs, das Ende rückt näher. Für den Klever jedoch kein Problem. "Ich habe mich jetzt damit abgefunden. Mehr als 50 Jahre in der Branche reichen. Wenn jemand meinen Rat braucht, dem helfe ich gern. Aber selbst fertigen werde ich keine Schuhe mehr", sagt Leenders.

Dass dieses Kapitel Klever Geschichte nicht vollends in Vergessenheit gerät, dabei hilft der 69-Jährige weiterhin. In dem Schuhmuseum an der Siegertstraße wird ein Teil der Stadthistorie erlebbar bleiben. Für Norbert Leenders bleibt es ein Leben lang, ein Haus voller Melancholie.

(jan)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort