Ausgestorbene Berufe Immer pünktlich vor der Haustür

Kleve · Den Milchmann gibt es nicht mehr. Der Beruf wurde überflüssig, als die Zeit der Supermärkte gekommen war.

 Josef Faaßen war einer der letzten Milchmänner Kleves. Hier trägt er ein historisches Kostüm, mit dem er als Melkbuur im Kareval auftrat.

Josef Faaßen war einer der letzten Milchmänner Kleves. Hier trägt er ein historisches Kostüm, mit dem er als Melkbuur im Kareval auftrat.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Es war auch Nachtarbeit. Denn als die Sonne aufging, hatte Josef Faaßen (80), den alle nur „Jüppi“ rufen, die Hälfte seines Tagwerks bereits vollbracht. Faaßen kommt aus Donsbrüggen und war Milchmann. Zumindest in einem Abschnitt seiner beruflichen Laufbahn. Um 4 Uhr stand er vor der Molkerei in Hasselt. 250 Liter Milch wurden in seinen Tank gefüllt, die er sofort wieder auf der Straße verkaufte.

1969 belieferte er seinen ersten Bezirk in der Unterstadt. Die Spyckstraße gehörte dazu. Ihm war damals schon bewusst, dass es ein Job mit überschaubarem Haltbarkeitsdatum war. „Dem Beruf wurde  schon damals keine große Zukunft mehr vorhergesagt“, blickt Josef Faaßen zurück. Er sollte Recht behalten. Das Geschäft mit Milch von der Kuh zum Kunden verschwand rasant schnell aus dem Alltagsleben. Die Gründe dafür waren mehr Kühlschränke in den Haushalten und der aufkommende Trend zur H-Milch. Hauptursache sind die Supermärkte. Das Reich des Billigen wurde immer größer.

Josef Faaßen führte eine Familientradition fort. Schon sein Großvater war als Milchmann mit einem Pferdefuhrwerk auf den Straßen Kleves unterwegs. In den 1930er und 40er Jahren belieferte er sieben Tag in der Woche die Haushalte. Aus verzinkten Kannen, 25 Kilo schwer, füllte er das Getränk in einen Messbecher. „Er war abends kaputt. Die Arbeit war körperlich viel anstrengender, und Urlaub gab es auch nie. Keinen Tag“, sagt Faaßen.Da hatte es der Donsbrüggener in seiner Zeit als Milchmann leichter. Zumindest, was die physische Belastung betrifft. Den Job machte er gern. Doch wenn er davon erzählt, wirkt es so, als hätte er damit abgeschlossen. Mit der Erkenntnis, dass sein Job nicht mehr benötigt wurde. Auch wenn er im Telefonbuch noch immer unter Josef Faaßen, Milch, geführt wird.

Bevor Faaßen vor 50 Jahren die erste Milch an der Haustüre verkaufen durfte, musste er beim Kreisgesundheitsamt eine Prüfung ablegen. Fachwissen über die Produkte wurde abgefragt, doch sei dies risikolos gewesen. Mitte der 70er Jahre bekam er ein zweites Gebiet. Der erstreckte sich von Rindern bis Schenkenschanz. Auf die Frage, ob es sich gelohnt habe, schüttelt er mit dem Kopf: „Eigentlich nie.“ Denn es kam immer auf den Bereich an, den man versorgen durfte, „Der Aloys Vehreschild, der hatte einen tollen Bezirk. Neubaugebiet, nur junge Familien mit Kindern, die brauchten alle viel Milch.“ Doch gab es auch bei ihm Tage, an denen er 250 Liter verkaufte. Wenn die Eisdiele an der Hoffmannallee wieder öffnete. „Die brauchten Milch für die Eisproduktion“, erinnert sich Faaßen an die Höhepunkte. Aber das waren Ausnahmen.

Ein Liter kostete damals 75 Pfennig, zwölf verdiente Faaßen daran. Eier gab es bei ihm für 21 Pfennig, die brachten ihm zehn Pfennig Gewinn. „Im Durchschnitt nahm jeder Haushalt täglich zwei Liter. Mein bester Kunde war das Kinderheim an der Münze“, erzählt Faaßen. Zunächst gab es die Milch aus Kannen, dann wurde aus einem Tank gezapft. Am 5. Juli 1975 verkaufte er die letzte lose Milch. Am Ende wurde das Getränk noch in Plastiktüten verpackt angeboten. Doch ebenso wie sein Angebot mit Eiern, guter Butter oder Buttermilch stieg, sank der Umsatz. Bis die Preisfrage und der ungleiche Kampf um die Kunden den Beruf überflüssig machten.

Für die Bevölkerung gehörte der Besuch des Milchmanns zum Alltag. „Wichtig war, dass ich pünktlich vor den Häusern stand. Die Leute hatten es gern, wenn sie zur selben Zeit beliefert wurden“, sagt Faaßen. Eine halbe Stunde zu spät konnte einem das Geschäft verhageln. Die Kunden wussten, wer da kommt und woher die Milch stammt. Mit einer Glocke kündigte er sich an. Um 11 Uhr war seine Schicht beendet.

Der Mann aus Donsbrüggen gehörte zu den letzten Milchmännern Kleves. Doch folgte dem ausgelaufenen Geschäftsmodell ein weiteres. Zusammen mit seiner Frau kaufte er für 73.000 Mark einen rollenden Supermarkt. In einem Kleinbus hatte das Paar auf ein paar Quadratmetern alles untergebracht, was die Menschen an lebensnotwenigen Dingen brauchten. Die Faaßens zogen damit über die Dörfer. In Keeken, Düffelward, Schenkenschanz aber auch Rindern oder Donsbrüggen machten sie Station. „Eine super Idee war das. Da haben wir richtig Geld verdient“, sagt er. Bis 1984 war das Mobil im Einsatz. Dann hatten die Discounter auch das zweite Geschäftsmodell beendet.

Den Preiskampf konnte der 80-Jährige nicht gewinnen. Vorne lag er, wenn es um das Zwischenmenschliche geht. Ein Plausch auf der Straße beim Verkauf, Grüße an die Frau und: „Bis morgen“.

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