Kranenburg Das Blaue vom Himmel

Kranenburg · Der Kartenspielerweg ist geradlinig. Über sechs Kilometer zieht er sich von dem Kranenburger Ortsteil Grafwegen durch den Reichswald bis zur Bundesstraße 504. Rechts und links des Wegs unberührte Natur. Das soll sich ändern. Die Firma Abo Wind, die Gemeinde Kranenburg und der Landesbetrieb Wald und Holz wollen zwölf 200 Meter hohe Windkraftanlagen in das Schutzgebiet bauen. Getrieben von ökonomischen Interessen.

 Jeroen Boot (58) vor dem Windmessmast des Projektentwicklers im Reichswald.

Jeroen Boot (58) vor dem Windmessmast des Projektentwicklers im Reichswald.

Foto: Markus van Offern

So hatte sich Jeroen Boot (58) sein Leben in Groesbeek nicht vorgestellt. Der Mann war vor zehn Jahren von Eindhoven in den Kranenburger Grenzort gezogen. Der Liebe wegen. Zu seiner Frau und zu der Landschaft. Die Beziehung der Eheleute ist intakt. Es ist sein Verhältnis zur Natur, das ihm Probleme bereitet. Aber der Niederländer kämpft dafür, dass es nicht zum Bruch kommt.

Als die ersten Pläne über den Bau eines Windparks im Reichswald öffentlich wurden, gründete sich 2012 im Dorfhaus von Grafwegen die Bürgerinitiative "Gegenwind im Reichswald", die aus einer Handvoll Heimatschützer bestand. Boot war von Beginn an dabei.

Der Niederländer wohnt mit seiner Frau in einer Doppelhaushälfte etwa zwei Kilometer vom Reichswald entfernt. In seinem Wohnzimmer steht ein Schreibtisch, auf dem liegt hauptsächlich Material zum Thema Windkraft. So auch ein Stapel Aufkleber mit der Aufschrift "Reichswald Turbinenfrei". "Hier, jeder sollte den aufkleben", sagt er und reicht einen herüber. Sein Einsatz für die Initiative ist enorm. Er arbeitet in Eindhoven als Berater in der Hochtechnologie-Branche. Die Fahrtzeit dorthin beträgt zwei Stunden. Vier Tage in der Woche engagiert er sich in der Gruppe der Windkraftgegner. Er hat mit dazu beigetragen, dass sich diese auf60 Mitglieder vergrößert hat.

Boot ist davon überzeugt, dass Technik das Leben der Menschen verbessern kann. Dazu gehört auch das Vorhaben, Strom aus Sonne und Wind zu gewinnen. Wenn es aber Entwicklungen gibt, bei denen ohne Not die Lebensräume von Menschen und Tieren vernichtet werden, dann will er dies verhindern.

Vor fünf Jahren rief Bundeskanzlerin Angela Merkel die Energiewende aus. Für den Niederländer eine richtige Entscheidung, und er sieht es immer noch so. "Völlig falsch ist jedoch, wie hektisch und mit welchem Tempo die Ziele umgesetzt werden sollen", sagt er. Für ihn sind die horrenden Subventionen für den Öko-Strom der falsche Weg. Geld sei der Grund für die Eile, so Boot. Mit der Meinung steht er nicht alleine. Auch bei dem niedlich als "Windpark im Reichswald" bezeichneten Projekt sind die ökonomischen Interessen der Beteiligten offensichtlich.

Dass überhaupt Waldflächen abgeholzt werden dürfen, um diese mit Windkrafttürmen zu füllen, ist eine Errungenschaft der rot-grünen Landesregierung. Unter Umweltminister Johannes Remmel (Bündnis 90/Die Grünen) wurde der Windenergieerlass geändert. Der Forst ist keine Tabuzone mehr. Der Landesbetrieb Wald und Holz, deren Chef Remmel ist, sollte einen Blick auf die landeseigenen Wälder werfen und Flächen suchen, auf denen Vorrangzonen oder einzelne Anlagen gebaut werden können. Und siehe da, im Reichswald wurde man fündig. Die Gemeinde Kranenburg war Feuer und Flamme für die Idee, schnell war ein Projektentwickler bei der Hand. Die Zeit, in der die Nullen auf die Schecks kommen, rückte näher.

Dass es auch Remmel um gute Kontostände geht, wird auf der Internetseite von Wald und Holz deutlich. Hier hält der Landesbetrieb Angebote bereit. Wer sich mit der Idee beschäftigt, Windräder in den Forst zu bauen, könne sich melden. Man wolle als Dienstleister die Moderation übernehmen. Es wirkt so, als soll hier durch die "behutsame Öffnung des Waldes für Windenergie" (so Wald und Holz), das Tafelsilber verkloppt werden. Das zeigt auch eine Stelle im Geschäftsbericht 2014 der Landeseinrichtung: "...Die Erschließung von weiteren Geschäftsfeldern beziehungsweise neuen Produktbereichen, insbesondere in den Bereichen Windenergie und Beerdigungswälder, wurde im Jahr 2014 intensiv fortgesetzt...".

Doch mindestens einmal im Jahr geht es Remmel nicht darum, Waldflächen zur Verfügung zu stellen. Als im Juli die Ergebnisse der Landeswaldinventur vorgestellt wurden, präsentierte sich Remmel als werde er um jeden Baum kämpfen. Der Wald sei wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen, er diene den Menschen zur Erholung und trage zum Klimaschutz bei. NRW sei waldarm, so der Grünen-Politiker, der Waldanteil solle erhöht werden.

Die Mehrheit der Bürger will den Reichswald erhalten, so wie er ist - besser noch erweitern und umbauen. Der Widerstand wächst seit Monaten. Das merkt auch Jeroen Boot. "Als wir vor zwei Jahren zu Dorfgemeinschaften Kontakt aufgenommen haben, machten die die Tür zu und sagten 'interessiert uns nicht'. Jetzt, wo sie begreifen, dass ihre Heimat über Jahre hinweg ruiniert sein wird, gründen sich immer neue Gruppen gegen das Windkraft-Industriegebiet", sagt Boot.

Dass sich der Wind auch in die andere Richtung drehen kann, zeigt der Sinneswandel von Kranenburgs Bürgermeister Günter Steins (CDU). Jetzt kämpft er mit Begeisterung für das Projekt. Das war nicht immer so. Die Atomkatastrophen von Tschernobyl (April 1986) und Fukushima (März 2011) führt er stets als Grund an, warum er sich für die Ausweisung der Vorrangzone im Reichswald einsetzt. Als mit dem Windenergieerlass vom 11. Juli 2011 auch der Wald für die Anlagen geöffnet wurde, erklärte der Verwaltungschef einen Tag später in der Tageszeitung NRZ: "...Gänse, Milane und Fledermäuse gelte es zu schützen. Auch die so genannte 'bedrängende Wirkung' auf die Landschaft bleibe ein Argument, Bauvorhaben zu verhindern...". Die beiden Nuklearkatastrophen hatten im Juli 2011 die Meinung von Steins noch nicht beeinflusst.

Die Gemeinde Kranenburg erhält während der gesamten Laufzeit der Anlagen, etwa 20 bis 25 Jahre, jährlich 210.000 Euro an Pachtzahlungen von der Firma Abo Wind. Zusätzlich soll sich das Unternehmen verpflichten, ein Prozent der jährlichen Einspeisevergütung an kulturelle und gemeinnützige Zwecke zu spenden. 50.000 Euro sollen Kinder- und Jugendgruppen zukommen.

Bürgermeister Steins ist während der gesamten Planungsphase eins geblieben: standhaft. Gegen den Bürgerwillen versucht er das Projekt durchzusetzen. Aber nicht nur der Druck von der Straße nimmt zu. Auch etliche Parteikollegen sparen nicht mit Kritik. Der Kreis Klever CDU-Bundestagskandidat Stefan Rouenhoff lässt bei seiner Meinung keinen Interpretationsspielraum zu. "Früher haben sich die Grünen an Bäume gekettet, heute wollen sie diese abholzen. Der Reichswald ist ein bedeutendes Naherholungsgebiet und darf nicht zerstört werden", sagt Rouenhoff.

Zuletzt hat sich der Kreistag dem Entwurf der Verwaltung angeschlossen, die sich im Zuge der Stellungnahme zur Regionalplan-Fortschreibung der Bezirksregierung deutlich gegen die Ausweisung von Vorrangzonen in Waldgebieten ausgesprochen hat. Auch hier stimmte die CDU nahezu geschlossen gegen die Kranenburger Pläne.

Dass der Wind in der Auseinandersetzung auch auf Verwaltungsebene schärfer wird, zeigt ein Schreiben aus dem Kranenburger Rathaus an den Kreis Kleve. In dem Brief lehnt sich Bürgermeister Steins weit aus dem Fenster. Er wirft Landrat Wolfgang Spreen und der Kreisverwaltung vor, bei ihrer Stellungnahme zum Regionalplan nicht korrekt gearbeitet zu haben, "...Äußerungen sind sehr oberflächlich und ohne tatsächliche Prüfung der realen Verhältnisse..." Weiter heißt es "...Aufgrund der Kenntnis des konkreten Vorhabens wäre eine differenzierte und qualitative Bewertung möglich und auch erforderlich gewesen...". Der Verwaltungsleiter von der Grenze fordert den Landrat auf, die grundsätzlich ablehnende Haltung gegen Windkraftanlagen in Waldgebieten aufzugeben.

Für Jeroen Boot ist heute erneut ein Tag, an dem er versucht, seine gute Beziehung zur Natur zu pflegen. Der Widerstand formiert sich erneut und hat zu einem Protestmarsch eingeladen, der um 10.30 Uhr am Parkplatz in Frasselt (Gocherstraße) startet. Die Initiatoren rechnen mit etwa 500 Teilnehmern.

"Für uns geht es um viel, es ist der Erhalt unserer Heimat. Für die anderen geht's um viel Geld", sagt Jeroen Boot. Nach Experten-Meinungen bleiben etwa zwei Drittel der Projekte hinter den finanziellen Erwartungen zurück. Ein Sprecher von Abo Wind erklärte zu der Thema Ertrag, dass man eben keinen Einfluss darauf habe, wie stark der Wind weht. Für Boot steht fest: "Wenn es ums Geld geht, wird einem oft das Blaue vom Himmel erzählt."

(jan)
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