Anschlag auf Satire-Zeitschrift Kleverin erlebt Stunden des Terrors in Paris

Kleve · Die 24-jährige Carolin Görgen lebt seit drei Jahren in Paris. Bei dem Anschlag auf die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" am Mittwoch erlebte sie ihre bisher schrecklichsten Momente. Sie berichtet von Angst auf den Straßen - aber auch von Mut und Hoffnung.

"Je suis Charlie" - Tausende gehen in Paris für "Charlie Hebdo" auf die Straße
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"Je suis Charlie" - Tausende gehen in Paris für "Charlie Hebdo" auf die Straße

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Für Carolin Görgen beginnt es in der Nationalbibliothek. "Normalerweise herrscht dort Totenstille. Plötzlich aber wurde es unruhig. Alle fingen an zu tuscheln", sagt die 24-jährige Kleverin, die in Paris im Fach Amerikanistik promoviert. "Ich habe noch gedacht: wie ungewöhnlich. Da vibrierte auch schon mein Handy", sagt sie. Eine Eilmeldung wird angezeigt: Terroranschlag in Paris.

In der Stadt, in der sie seit drei Jahren lebt, in die sie sich verliebt hat, werden Mitarbeiter des Satire-Magazins "Charlie Hebdo" und Polizisten ermordet. "Ich war sofort schockiert", sagt Görgen. Als sie Warnungen hört, die Täter seien auf der Flucht, womöglich noch auf den Straßen der Stadt unterwegs sind, bekommt sie es mit der Angst zu tun. "Ich habe dann meine Sachen gepackt und bin mit dem Fahrrad nach Hause gefahren", sagt sie. Bloß weg von öffentlichen Plätzen - sie ist nicht die einzige, die den Heimweg antritt.

Zuhause im Fernsehen sieht sie dann die Bilder, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen. Wie die vermummten Kämpfer um sich schießen, auf den Straßen die ihr so gut bekannt sind. Jahrelang hat sie im 11. Arrondissement gelebt - also genau dort, wo sich auch das Redaktionsgebäude des Satire-Magazins befindet. Regelmäßig kommt sie dort mit dem Fahrrad vorbei, wenn sie zur Universität Paris-Diderot fährt.

Keine 24 Stunden vorher war sie auf der Straße unterwegs, auf der der Polizist Ahmed Merabet durch einen Kopfschuss getötet wurde. "Das so etwas mitten in der Stadt passiert, so nah dran. Das ist unbegreiflich", sagt die 24-Jährige. Sie hat noch die Stimme eines der Karikaturisten im Ohr. Einmal wöchentlich moderierte er eine Sendung auf ihrem Lieblingsradiosender.

Im Laufe des Tages weicht die Angst dem Trotz. "Schon zur Mittagszeit haben sich viele meiner Freunde gemeldet. Alle wollten abends auf die Straße gehen, ein Zeichen setzen", erzählt sie. Und sie sind nicht allein. Erst sind es Hunderte, dann Tausende. Am Ende sollen es mehr als 100.000 sein, die gegen den Terror demonstrieren. Jedes Alter, alle Hautfarben und Kulturen.

Fotos des Gedenkens: "Je suis Charlie"
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"Je suis Charlie"

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"Uns war bewusst, dass das ein historischer Tag ist. Dann mit allen Freunden zusammenzukommen, hat sich angefühlt wie das Natürlichste der Welt", sagt die Studentin. Menschen stehen bis in die obersten Stockwerke an den Fenstern der Gebäude. "Überall waren sie. Selbst in den Schaufenstern, in denen normalerweise die Puppen stehen", sagt die 24-Jährige. Vom Platz der Bastille ziehen sie am Tatort und den Blaulichtern vorbei zum Platz der Republik. "Viele hatten Stifte dabei, um zu zeigen, dass sie sich ihre Meinungsfreiheit nicht verbieten lassen", sagt Carolin Görgen. Andere halten Schilder mit den Namen der Getöteten hoch und mit dem Schlagwort des Abends: "Je suis Charlie" - "Ich bin Charlie".

"Am Anfang war es ganz still, die Menschen haben nur geflüstert", sagt Görgen. Dann branden immer lauter die Sprechchöre auf. "Nicht einmal Angst", rufen sie, "Redefreiheit", und immer wieder "Charlie, Charlie, Charlie". Demonstranten erklimmen die Figur der Liberté, ziehen ihr eine schwarze Trauerbinde um.

Charlie Hebdo: Bewegende Bilder von den Schweigeminuten
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Bewegende Bilder von den Schweigeminuten

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Banner werden an der Statue angebracht, Blumen niedergelegt. Als ein Demonstrant versucht, ebenfalls hochzuklettern, um dort öffentlich einen Koran zu zerreißen, wird er von der Menge heruntergezogen. "Faschisten raus", rufen sie auf dem gesamten Platz.

"Dass es immer noch so viele Menschen gibt, die friedlich ein Zeichen gegen jede Art von Hass setzen wollen, macht Mut und Hoffnung", sagt Carolin Görgen.

(RP)
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