Mutter aus Kleve berichtet „Ich konnte meine Kinder nicht lieben“

Kleve · Die Kleverin Jennifer Kern verlor nach einer psychischen Krise das Sorgerecht ihrer Kinder. Nun will sie es besser machen. Damit die Familie wiedervereint wird, braucht sie eine größere Wohnung. Vermieter reagieren misstrauisch.

 Sandra Scherf (links) begleitet die Familie beratend. Von links nach rechts: Alexander Friesen, Jennifer Kern, Amina, Lea und Luca.

Sandra Scherf (links) begleitet die Familie beratend. Von links nach rechts: Alexander Friesen, Jennifer Kern, Amina, Lea und Luca.

Foto: Markus van Offern (mvo)

Wer die Wohnung von Jennifer Kern betritt, der tritt in ein Reich von Sauberkeit und Reinheit. Die Schuhe am Eingang makellos parallel, die Fenster streifenfrei sauber. Ein Staubkorn sucht man vergebens. „Das ist mein Tick“, sagt die 32-Jährige. So viel Ordnung wie in den vier Wänden herrschte in ihrem Leben lange Zeit nicht. „Bei mir ist viel schief gegangen“, sagt Kern.

Schon der Start in ihr Leben war ein schwerer: Sie selbst wurde von ihren Eltern abgestoßen, wuchs bei ihrer Großmutter auf, zog bereits mit 14 Jahren aus. „In meiner Kindheit habe ich nie Liebe erfahren. Also konnte ich meine Kinder nicht lieben. Das musste ich erst lernen“, sagt sie. Schon mit 17 Jahren wurde sie junge Mutter von Lea, die heute 14 Jahre alt ist. Es folgten Luca (12) und ein weiterer Sohn, der in einer Pflegefamilie lebt. Die drei Kinder stammen von drei verschiedenen Vätern. „Es ist mir nie gelungen, Kontrolle über mein Leben zu gewinnen. Erst jetzt bin ich auf einem guten Weg“, sagt sie.

2011 ereignete sich ein Familiendrama, das die Großfamilie bis heute als „Trauma“ bezeichnet. In Abwesenheit der Mutter wurden zwei der Kinder von der Polizei abgeholt. „Ich habe es kommen sehen, aber nichts dagegen getan“, sagt Kern. Der Vorwurf des Jugendamtes: Die Mutter sei nicht fähig, für das Aufwachsen und die Erziehung der Kinder aufzukommen. „Ich kann ihnen nicht einmal Unrecht geben.“ Luca und Lea kamen in die Obhut der Jugendhilfe in Neukirchen-Vluyn. Seit August 2017 leben sie nun im Klever SOS-Kinderdorf. Kern suchte Beratung beim Jugendamt, den Angeboten aber folgte sie halbherzig. Der Wendepunkt ereignete sich, als sie erneut Mutter von Zwillingen wurde. Mit ihrem Lebensgefährten Alexander Friesen (40) brachte sie 2016 Maxim und Amina zur Welt. „Die Kleinen haben wieder Hoffnung in mein Leben gebracht“, sagt sie. Nach der Geburt war sie ein halbes Jahr lang im Mutter-Kind-Haus in Geldern, ein weiteres Jahr besuchte sie die Tageseinrichtung „Wippe“ zur Förderung der Bindung zwischen Mutter und Kind im Gocher Anna-Stift.

Die Jüngsten leben zu Hause. „Ich brauche aber meine Freiräume. Daher gehen die Zwillinge vormittags zur Tagesmutter“, sagt Kern, die einen Sonderschulabschluss hat. Die Sozialpädagogin Sandra Scherf begleitet die Familie wöchentlich und ist sich sicher: „Es geht aufwärts. Jennifer ist mittlerweile stabil, weshalb sie sich die Belohnung verdient hat“, sagt Scherf. Die Belohnung wäre die Rückkehr von Luca und Lea ins vertraute Umfeld. Bisher dürfen sie nur von freitags bis montags nach Hause. „Wir wollen unbedingt zurück zu Mama“, sagt Lea. Das Jugendamt hat in Aussicht gestellt, dass das Sorgerecht zurück in die Hände von Kern gelegt wird. Dafür müsse sie allerdings eine neue Wohnung finden. Aktuell lebt das Paar mit zwei Kindern in einer Vier-Zimmer-Wohnung. „Das ist einfach zu eng. Man hockt auf einander, wird genervt und mault sich an“, sagt Kern. Dazu komme, dass sich in der Wohnung zu viele einschneidende Erlebnisse abgespielt haben.

Damit die Ältesten wieder einziehen können, braucht es aber vier Schlafzimmer. Das gestaltet sich schwierig. Scherf verfasst die Anschreiben an Vermieter. Bisher hagelt es jedoch Absagen. So heißt es in einer Antwort: „Danke für Ihre Nachricht. Warum reagiert die Familie selber nicht? Warum suchen die dringend eine Wohnung? Sind diese Personen in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis?“. Werden solche Fragen gestellt, wisse Scherf bereits, dass der Vermieter abgeneigt ist. „Man begegnet der Familie kaltherzig und mit Vorurteilen“, erklärt Scherf. Und das, obwohl sich Alexander Friesen als Hilfsarbeiter in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befindet. Kern aber bezieht Arbeitslosen- und Wohngeld vom Amt. „Die Vermieter glauben, dass wir die Miete nicht bezahlen, aber das ist Quatsch. Schließlich zahlt doch niemand so zuverlässig wie der Staat“, sagt Kern. 935 Euro Warm- oder 683 Euro Kaltmiete hat die Großfamilie zur Verfügung. Möglichst soll es eine Doppelhaushälfte im Kleverland sein, dazu ein kleiner Garten.  Einziges Tabu sei Goch, wo ihre Herkunftsfamilie wohnt. „Sie sind schlechter Einfluss für mich.“ In den nächsten Jahren will Kern „Vollzeit-Mama“ sein und all das nachholen, was sie beim Heranwachsen des Nachwuchses verpasst hat. Luca, Lea, Maxim und Amina wollen zusammenleben.

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