Kleve Blick ins Ruwel-Innenleben

Kleve · Der Betrieb geht bei dem angeschlagenen Leiterplattenhersteller trotz Insolvenz weiter. Das Werk in Geldern ist jedoch nicht einmal zur Hälfte ausgelastet. Mitarbeiter schwanken zwischen Hoffnung und Sorge. Ein Ortsbesuch.

Das Glück liegt bei Ruwel auf einem Pappteller am Empfang. Es kommt in Keksform daher: chinesisches Gebäck, in das Zettelchen mit mehr oder weniger sinnfreien Sprüchen eingebacken sind. "Ja, davon werden viele gegessen", bestätigt Pressesprecher Frank Hoiboom. Zuversicht ist derzeit begehrt bei dem angeschlagenen Leiterplattenhersteller.

"Jeden Tag Bauchschmerzen"

In den Hallen am Holländer See in Geldern ist wenig los. "Mittagspause", sagt Hoiboom. Und, ja, Kurzarbeit gebe es zurzeit natürlich auch noch. Ein bis zwei Tage habe jeder Mitarbeiter pro Woche frei. Das Werk ist nicht einmal zur Hälfte ausgelastet, die meisten Maschinen stehen still. "Normalerweise sind die auf der Tagesschicht alle an." Normal ist aber zurzeit nichts bei Ruwel. Vor zehn Tagen meldete das Unternehmen Insolvenz an. Der Betrieb geht weiter, aber die Stimmung ist gedrückt. "Ich komme jeden Tag mit Bauchschmerzen", sagt ein Mitarbeiter. Vor acht Jahren habe er bei Ruwel angefangen, "mit großen Hoffnungen", wie er sagt. Ein bisschen davon hat er sich bewahrt. "Klar hoffe ich, dass es weitergeht." Dass in den Hallen einige Maschinen rattern, verdankt Ruwel auch der Konkurrenz. "Wir haben unseren Wettbewerbern angeboten, hier für sie Innenlagen zu produzieren", erklärt Hoiboom. Für dieses Jahr gebe es Fremd-Aufträge für "Masslam" in Höhe von einer Million Euro. Masslam sind hauchdünn aufeinandergestapelte Leiterplattenschichten, die so genannte Multilayer bilden. Das sind Leiterplattenkonstrukte, die sich aus mehreren Leiterplattenschichten zusammensetzen. Bis zu 14 solcher Lagen werden aufeinandergepresst, um das komplizierte Schaltsystem zu fertigen.

Es dauert acht bis zehn Arbeitstage, bis eine Leiterplatte fertig ist. Los geht es mit 61 mal 53 Zentimeter großen, dünnen Kupfertafeln, die mehrfach belichtet, gesäubert und bearbeitet werden. Löcher werden gebohrt, es gibt chemische Behandlungen und für einige sogar einen Goldüberzug. Je nachdem, wo die Leiterplatten eingesetzt werden, ist es das bessere Leit-Metall. Es handelt es sich um Gold, das als Cyanidsalz gelöst in Vergoldungsbädern enthalten ist. Rund 20 Kilo benötigt Ruwel davon pro Jahr. Am Ende durchlaufen die gelochten, vergoldeten und fast fertigen Platten noch eine Farbdusche und werden grün lackiert. Zwischendurch prüfen Computer, ob die Platten auch den Vorgaben entsprechen. Sind alle winzigen Löcher auch dort, wie es das Muster vorgesehen hatte? Es geht um Größen im Bereich eines tausendstel Millimeters. Sind die leitenden Stellen perfekt abgebildet? Fehler darf es bei Ruwel nicht geben: Pro einer Million ausgelieferter Teile sind maximal zehn Fehlprodukte erlaubt. Die in den Gelderner Ruwel-Werken produzierten Leiterplatten werden zu 95 Prozent in der Automobiltechnik verwendet. Sie steuern sicherheitsrelevante Teile, zum Beispiel Airbags. Fehler würden im schlimmsten Fall tödlich enden.

Nur Frauen prüfen

Daher gibt es ganz am Schluss noch eine optische Kontrolle. In einem Raum vor dem Versandbereich sitzen Frauen und begutachten die fertigen Leiterplatten unter riesigen Vergrößerungsgläsern und prüfen, ob alles ist, wie es sein sollte. Dass dort nur weibliche Mitarbeiter sitzen, ist kein Zufall. "Diesen Job können nur Frauen machen", sagt Hoiboom. Sie hätten das bessere Auge, die bessere Übersicht.

Beim Verlassen der Gelderner Ruwel-Werke fällt der Besucher-Blick wieder auf den Teller mit den Glückskeksen. Er ist schon wieder aufgefüllt worden. Glück ist bei Ruwel dieser Tage sehr begehrt.

(RP)
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