Großeinsatz der Polizei in Bedburg-Hau Meuterei in der Forensik

Bedburg-Hau · Nach einem erneuten Ausbruchsversuch ist es in der Bedburg-Hauer Forensik des Landschaftsverbands Rheinland zu einer Gefangenenmeuterei gekommen. Die Polizei rückte mit Hundertschaft und SEK an. Die Straftäter sind unter Kontrolle.

  Das Haus 38 der LVR-Forensik in Bedburg-Hau: In diesem Haus soll es zu dem Ausbruchsversuch und zu der Gefangenenmeuterei gekommen sein.

Das Haus 38 der LVR-Forensik in Bedburg-Hau: In diesem Haus soll es zu dem Ausbruchsversuch und zu der Gefangenenmeuterei gekommen sein.

Foto: Guido Schulmann

Viele Fragezeichen bleiben nach dem Zwischenfall in der forensischen Klinik des LVR in Bedburg-Hau: Wie konnten die Gefangenen eine massive Eisenstange aus einem Fenstergitter sägen? Woher stammt das Werkzeug, das sie dafür benötigten? Zentrale Fragen wie diese sollen jetzt von Klinik und Polizei geklärt werden. Die Kriminalpolizei hat zur Aufklärung eigens eine Kommission eingerichtet. Der erneute Ausbruchsversuch in der Nacht zu Sonntag steht jetzt im Fokus der Ermittlungen.

 Die Polizei riegelte das Areal um die forenische Klinik komplett ab. Der Einsatz sorgte in Bedburg-Hau für Aufsehen.

Die Polizei riegelte das Areal um die forenische Klinik komplett ab. Der Einsatz sorgte in Bedburg-Hau für Aufsehen.

Foto: Guido Schulmann

Stärker in den Fokus der Öffentlichkeit geriet jedoch eine Gefangenenmeuterei am Sonntagnachmittag – eine indirekte Folge des Ausbruchsversuchs. Bis zu 18 verurteilte und drogenabhängige Straftäter sollen in einem Gemeinschaftsraum in Haus 38 randaliert haben, und zwar nachdem das Klinik-Personal die Polizei gegen 15 Uhr um Hilfe gebeten hatte, um sechs Gefangene in andere Forensik-Bereiche zu verlegen. Ihre Namen hatte ein weiterer Gefangener genannt, der nach Feststellung des manipulierten Fensters durch das Klinik-Personal von den anderen 18 Männern isoliert wurde. Die sechs Straftäter stehen im Verdacht, den Ausbruch gemeinsam mit ihm geplant zu haben. Sie wollten ein Eisengitter vor einem Fenster zersägen und so in Freiheit gelangen.

Als die Polizeistreifen für die Verlegung der Verdächtigen an der Forensik eintrafen, sollen sich die Mitarbeiter der Klinik bereits vor dem Gebäude befunden haben. Sie konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. In dem Gebäude spielten sich kurze Zeit später tumultartige Szenen ab. „Zunächst war die Situation ruhig, dann flog Porzellan“, berichtet Polizei-Sprecher Achim Jaspers. Möbel sollen zerstört worden sein, auch attackierten die Straftäter die Polizisten verbal. Diese riefen umgehend Verstärkung.

 Nachdem die Klever Polizei Verstärkung gerufen hatte, rückte auch eine Hundertschaft an.

Nachdem die Klever Polizei Verstärkung gerufen hatte, rückte auch eine Hundertschaft an.

Foto: Guido Schulmann

Die Polizei riegelte die Forensik wenig später komplett ab, eine Hundertschaft und ein Spezialeinsatzkommando rückten an. Mit Erfolg: Offenbar beeindruckt von dem massiven Polizeiaufgebot gaben die Straftäter auf. Gegen 21.30 Uhr meldete die Polizei: „Situation unter Kontrolle.“ Zuvor war es der Polizei gelungen, mit den Straftätern Kontakt aufzunehmen. Die Gefangenen beruhigten sich, es gelang der Polizei, die Männer voneinander getrennt unterzubringen. Mit wie vielen Kräften die Polizei vor Ort war, möchte die Behörde aus ermittlungstaktischen Gründen nicht bekanntgeben. Laut Achim Jaspers sollen es „deutlich über 50“ gewesen sein. Der Einsatz endete nach rund acht Stunden gegen 23 Uhr.

Der NRW-Maßregelvollzugsbeamte Uwe Dönisch-Seidel lobt das Vorgehen der Polizei und auch das der Klinik-Mitarbeiter als „professionell“. Als der Klever von der Meuterei erfuhr, saß er in Ludger Kazmierczaks Kabarett und verließ fluchtartig den Saal. Er fuhr rasch nach Bedburg-Hau und machte sich selbst ein Bild von der Lage. Dönisch-Seidel kündigt insbesondere mit Blick auf den Ausbruchsversuch Aufklärung und Gespräche auch mit dem Träger der Klinik an.

Die Situation im Drogen-Bereich der Forensik bezeichnet er als „schwierig“. Es herrsche ein „enormer Aufnahmedruck“, es komme immer wieder auch zu Überbelegungen. Er verweist auch auf die Geiselnahme im Mai 2017, bei der zwei Gangster einen Pfleger überwältigen und mit einer aus Rasierklingen selbst gebastelteten Waffe schwer am Ohr verletzen konnten. Einem Mann war damals die Flucht über den vier Meter hohen Zaun gelungen; er konnte erst zwei Tage später bewaffnet in Bonn festgenommen werden. In Bezug auf den jüngsten Vorfall in der Forensik sagt der Maßregelvollzugsbeamte: „Ich bin froh, dass niemand verletzt wurde. Wir werden jetzt die Ursachen herausfinden und präventiv tätig werden.“ Uwe Dönisch-Seidel weiß auch um die Belastungen, denen sich die Mitarbeiter der Forensik ausgesetzt sehen.

Die Sicherheitsvorkehrungen sind in den vergangenen Jahren stark verschärft worden, der Zugang zur Forensik erfolgt durch zwei Schleusen. De facto können Straftäter nur dann ausbrechen, wenn sie eine Geisel nehmen. Die Mitarbeiter seien laut LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies allerdings auch in Extremsituationen wie einer Geiselnahme daran gebunden, den Forderungen nicht stattzugeben. Diese Weisung beruht auf Erfahrungen aus dem Gladbecker Geiseldrama, bei dem zwei Verbrecher mit Geiseln in ihrer Gewalt quer durch die Republik gefahren sind. Die Sicherheit der Mitarbeiter ruft auch den Klinik-Personalrat auf den Plan: Aus seinen Reihen heißt es, dass auch nach den jüngsten Vorfällen Gespräche geführt werden sollen.

In Bezug auf den aktuellen Ausbruchsversuch erklärt LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies, dass die Täter nicht weit gekommen wären: Die Öffnung im Fenster wäre wohl zu schmal gewesen. Auch hätten die Täter das Gelände über die Mauern nicht ohne weiteres verlassen können. Auch Knöbelspies verspricht Aufklärung: „Wir werden alle sicherheitsrelevanten Aspekte durchgehen.“ Gleichwohl macht sie darauf aufmerksam, dass es sich bei Haus 38 um einen Altbau handelt. „Wir hoffen auf ein neues Gebäude“, sagt sie. Die Situation in der Forensik könnte sich durch einen Neubau verbessern; Arbeiten auf dem LVR-Gelände haben bereits begonnen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort