Awo-Beratungsstelle im Kreis Kleve Schwangerschaft als Finanzproblem

Kreis Kleve · Die Awo-Beratungsstelle an der Lindenallee in Kleve berät viele Schwangere in Konfliktsituationen. Dort gibt es unter anderem den „Schein“, der den Abbruch straffrei macht, aber auch viele andere Beratungen. Die Bilanz des Jahres.

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Foto: Anja Settnik

Mit 558 „Personen“, vermutlich überwiegend Frauen, führten die Mitarbeiterinnen der Awo-Beratungsstelle im vergangenen Jahr ein Gespräch zu einem Problem, das eigentlich ein großes Glück sein sollte: Schwangerschaft. Doch die Ratsuchenden, die die Schwangerschaftskonfliktberatung aufsuchen, können sich nicht freuen, weil sie sich (noch) ein Kind nicht zutrauen oder andere Ursachen die Schwangerschaft belasten. Einmal im Jahr liefert die Beratungsstelle einen Rechenschaftsbericht, der jüngste führt 866 Gespräche für das Jahr 2018 auf.

Nicole Saat ist die Leiterin der Einrichtung und hört sich mit drei Kolleginnen die Probleme der Frauen erst einmal an, um dann ergebnisoffen zu beraten. „Das Gesetz verlangt von uns, dass wir zunächst alle Hilfemöglichkeiten aufzeigen, die es Frauen in einer schwierigen Lebenssituation leichter machen können. Wenn die Frau aber auf einem Abbruch besteht, akzeptieren wir auch dies und geben ihr den Schein, der zu einer straffreien Abtreibung berechtigt“, erklärt Saat. Vorausgesetzt, die ungewollt Schwangere kommt in den ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft und findet schnell genug einen Arzt, der den Eingriff vornimmt. „Im Kreis Kleve gibt es keine solche Praxis, die Frauen müssen dann schon in den Nachbarkreis fahren“, sagt Saat.

Sie erzählt, dass im Berichtsjahr 204 Frauen kamen, die einen Schwangerschaftsabbruch im Sinn hatten. Neun davon waren minderjährig. „Es ist eigentlich erstaunlich: Nicht die ganz jungen, sondern eher solche Frauen, von denen man denken sollte, dass eine Schwangerschaft kein großes Problem ist, kamen zu uns. Die 27- bis 34-Jährigen, die schon zwei oder mehr Kinder haben, stellen tatsächlich die größte Gruppe. Als Begründung geben sie an, dass sie ihre Familienplanung eigentlich abgeschlossen haben“, erklärt die Leiterin. Fast alle finden auch ihre wirtschaftliche Situation schwierig und haben existenzielle Sorgen.

354 „Personen“ (Anonymität ist für die Beratungsstelle ganz maßgeblich) wurden zu Schwangerschaft, Geburt, Familienplanung, Verhütung und Sexualität beraten. 700 Jugendliche seien in den Schulen erreicht worden. „Wir werden so häufig gebucht, dass uns Lehrerinnen ein halbes Jahr vorher kontaktieren sollten“, rät Saat. Auch außerhalb von Schulen kann man die Beraterinnen treffen. Zum Beispiel werden Erzieherinnen geschult, damit sie wissen, wie am besten mit „Doktorspielen“ kleiner Kinder umgegangen wird. Auch Behinderung und Sexualität sei ein Thema. Gerne kommen die Frauen auch in Jugendheime oder zu Jugenddiskotheken. Wer die Awo-Beraterinnen einlädt, muss zwar keine Gebühr zahlen, aber eine Spende wird gern gesehen.

Wer sich auch in einer schwierigen Lebenslage für das Austragen des Kindes entscheidet, kann zum Beispiel Geld von der Mutter-Kind-Bundesstiftung bekommen. Außerdem helfen die Beraterinnen beim Ausfüllen von Anträgen für Erziehungsgeld, Kindergeld, Elternzeit.

Die Zuständigkeit der Einrichtung ist breit gefächert, auch die Beratung im Zusammenhang mit pränataler Diagnostik ist ein Thema. Auch über Adoption oder eine vertrauliche Geburt kann mit den Frauen gesprochen werden oder über Gewalt. Eine Zusammenarbeit mit dem Verein „Impuls“ in Goch oder mit dem Frauenhaus ist nicht selten.

Gut finden die Beraterinnen, dass überlegt wird, junge Mädchen kostenlos mit Verhütungsmitteln zu versorgen, und dass Frauenärzte künftig den Abbruch als medizinische Dienstleistung anbieten können. Dass weiterführende Informationen dazu wie bisher nur von einer staatlichen Stelle zu bekommen sind, gefällt ihnen hingegen gar nicht. Dies entmündige Frauen und stigmatisiere Ärzte.

Die Awo-Beratungsstelle in Kleve ist vormittags zu erreichen, einen Termin gebe es innerhalb von 24 Stunden.

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