Kleve Als Helmut Schmidt im Haus Koekkoek rauchte
Kleve · Bundeskanzlerin Merkel empfängt Donnerstag den niederländischen Ministerpräsidenten Rutte. Doch ist dies nicht das erste Treffen zwischen den Regierungschefs der Nachbarländer in Kleve. 1978 war es zur Begegnung zwischen Schmidt und van Agt gekommen.
Der Kanzler kam wie aus dem Nichts. Es war ein diesiger ungemütlicher Tag im Dezember, als Helmut Schmidt in dem Klever Museum Haus Koekkoek auf den jungen Museumsleiter Drs. Guido de Werd traf. De Werd, ein Mann wie geschaffen für den diplomatischen Dienst, begrüßte den Bundeskanzler am 1. Dezember 1978 an seinem Arbeitsplatz. "Ich war nicht die offizielle Empfangsperson und keinesfalls dafür vorgesehen, Herrn Schmidt zu empfangen", sagt de Werd und ergänzt: "Aber es war kein anderer da." Helmut Schmidt war viel zu früh in der Kreisstadt eingetroffen. Laut Protokoll sollte er von zwei Botschaftern sowie Kleves Bürgermeister Richard van de Loo und Stadtdirektor Dr. Hans Hermann Schröer empfangen werden.
Guido de Werd war damals 29 Jahre alt und knapp drei davon als Museumsleiter im Amt. Es war noch die Auftaktphase seiner Ehe mit der Klever Kunst. An die Begegnung mit dem Regierungschef kann sich de Werd noch bestens erinnern: "Ihn plagte eine fürchterliche Migräne." Der Bundeskanzler hatte schlechte Laune und ließ zunächst auch jeden daran teilhaben. Kurz nach dem Eintreffen in der Schwanenstadt war einer der ersten Sätze, die der Museumsleiter von Schmidt zu hören bekam: "Wo bin ich hier eigentlich?"
Helmut Schmidt war in Kleve, um den niederländischen Ministerpräsidenten Dries van Agt zu treffen. Die Zusammenkunft diente der Vorbereitung der Brüsseler Sitzung des Europäischen Ministerrats. Zudem wollte Schmidt van Agt näher kennen lernen, der 1978 noch kein ganzes Jahr im Amt war. Es war ihre erste Begegnung. Die beiden Regierungschefs hatten zudem ihre Außenminister mitgebracht. Hans-Dietrich Genscher und Christoph van de Klauw nahmen an der Vorbereitung des Gipfeltreffens teil, tauschten sich jedoch auch persönlich in einem anderen Zimmer des Koekkoek-Hauses aus.
Bei der Vorbereitung auf das Treffen war es im Vorfeld zu einem größeren Problem gekommen. Das Mobiliar im Haus Koekkoek war dem Delegationschef nicht recht. Die Stühle - allesamt zwar sehr stilvoll, aber zu hart für die erlauchten Gäste. Da war "Holland in Not" und es musste ausgerechnet die Nachbarstadt Nimwegen aushelfen, da in der Herzogstadt offenbar kein geeignetes Mobiliar zu finden war. Aus dem Regentenzimmer des "Protestants Weeshuis" an der Begijnenstraat wurden Tisch und Stühle aus der Biedermeierzeit angeliefert. Auch war die Tischdekoration, die von dem Klever Juwelier Franz Sanders sen. gestaltet wurde, den Verantwortlichen nicht recht. Sanders hatte alle Register gezogen und üppig aufgetischt. Was zu der Bemerkung führte: Man treffe sich hier zu einem Arbeitsgespräch und nicht zum Kaffeetrinken. Doch waren dies die kleineren Probleme der Vorbereiter des "Klever Gipfels". Was sich vor dem Haus Koekkoek tat, beschäftigte die Sicherheitsbehörden wesentlich mehr. Blenden wurden an den Fenstern angebracht, die Kanaldeckel zugeschweißt. Die Republik war in den 70er-Jahren extrem nervös. Die Rote Armee Fraktion (RAF) hatte ein Jahr zuvor Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ermordet und das Passagierflugzeug "Landshut" in Mogadischu entführt. Zudem wurde in Kalkar der Schnelle Brüter gebaut, was nicht bei allen Bundesbürgern auf Begeisterung stieß. Den Protest gegen dieses Vorhaben bekam Schmidt auch in Kleve zu spüren. Die Kernkraftgegner begrüßten den Regierungschef bei seiner Ankunft aus respektvoller Entfernung, jedoch mit keinesfalls unehrenhaften Sprechchören wie "Hopp, Hopp, Hopp — Kalkar Stopp".
Es gibt keinen Besuch einer Persönlichkeit in irgendeiner Stadt, ohne den Eintrag in das Buch der Erinnerungen: Bürgermeister Richard van de Loo verteilte - nachdem Schmidt, Genscher und die niederländischen Kollegen ihren Namen in das Goldene Buch der Stadt geschrieben hatten, an die Gäste dekorative Kupferstiche. Guido de Werd weiß auch 35 Jahre später noch, was da überreicht wurde: "Eine Klever Stadtansicht von Braun und Hogenberg um 1580."
Die Gespräche im Haus Koekkoek dauerten länger, als der Zeitplan es vorsah. Helmut Schmidt hatte währenddessen gewohnt souverän das Klombeckzimmer mit Zigarettenqualm vernebelt und so die freie Sicht auf die Landschaftsmalereien aus dem 19. Jahrhundert genommen. Bei den Gesprächen merkte der Kanzler schnell, dass Dries van Agt der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig war. Es war ihm lästig und so unterhielt er sich fortan auf Englisch mit dem Niederländer. Nach dem offiziellen Teil fuhr Schmidt gemeinsam mit van Agt in dessen Privathaus. Der Ministerpräsident wohnte in Groesbeek, man aß zusammen zu Abend. Zwischen den beiden Politikern, so heißt es aus dem Büro des Bundeskanzlers a.D., habe sich später eine Freundschaft entwickelt.
Während Angela Merkel Donnerstag im Museum Kurhaus den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte trifft, diente 1978 das Malerpalais des Künstlers Barend Cornelis Koekkoek als Tagungsraum. Die verstohlenen Blicke der Gesprächspartner, denen als Niederländer im Haus Koekkoek ein Stück Kulturgeschichte ihres Landes begegnete, übersahen diese damals großzügig. Und so formulierte Kleves damaliger RP-Redaktionsleiter Alois Puyn im Hinblick auf die hochrangigen Politiker: "Europa beginnt für sie in Brüssel, Straßburg und Luxemburg." Doch wusste Puyn schon damals, als er schrieb, das Europäische Währungssystem und was danach noch alles komme, sei nur eine Frage der Zeit. Viel Weitblick in einer Region, die Jahrzehnte von der Grenze geprägt war.