Kleve Abschied von der Tankstelle mit Tradition

Kleve · 65 Jahre führte die Familie Jöken die Shell-Tankstelle an der Hoffmannallee. Am Wochenende endete dort ein Stück Klever Unternehmergeschichte. Benzin wird jedoch weiter verkauft. Die hellgelben Lichter hinter der Muschel scheinen weiter.

 Tankstellenbesitzer Herbert Jöken zusammen mit seiner Mitarbeiterin Iris Unger, die 21 Jahre bei ihm beschäftigt war. 65 Jahre lang verkaufte die Familie Jöken Benzin an der Hoffmannallee. Samstag war Schluss.

Tankstellenbesitzer Herbert Jöken zusammen mit seiner Mitarbeiterin Iris Unger, die 21 Jahre bei ihm beschäftigt war. 65 Jahre lang verkaufte die Familie Jöken Benzin an der Hoffmannallee. Samstag war Schluss.

Foto: Klaus-Dieter Stade (kds)

Es gab Zeiten, da hätte man Herbert Jöken (62) nachts wecken können und fragen: „Was kostet der Liter Diesel?“ Siebenundachtzigkommaneun Pfennig, kam dann ohne zu zucken. Es war die Zeit, als das Berufsleben eines Tankwarts noch übersichtlicher war. Heute wechselt der Preis nahezu stündlich. Da kommt auch Jöken nicht mehr mit. Was er jetzt auch nicht mehr muss. Ende der vergangenen Woche hat der Betreiber der Shell-Tankstelle an der Hoffmannallee Schluss gemacht. Er geht in den Ruhestand. 65 Jahre führte die Familie Jöken den Betrieb. Vater Alois hatte die Shell-Station in den 1950er-Jahren eröffnet. Auch wenn an der Stelle weiterhin Benzin verkauft wird, so endet ein Stück Klever Unternehmergeschichte. Denn die Tanke der Jökens ist bekannt. Auch weil es hier stets um mehr ging, als Fahrzeuge mit Sprit zu versorgen.

Das Grundstück, auf dem die ersten Zapfsäulen aufgestellt wurden, gehört der Familie. Vater Jöken gehörte zu der Generation Tankwart, die im grauen Kittel Fahrer bedienten. Damals musste kein Kunde aussteigen. „Einmal voll und den Reifendruck prüfen“, hieß es in den ersten Jahren. Herbert war schon in jungen Jahren jede freie Stunde zwischen den Zapfsäulen unterwegs und zog lange Schläuche über den Platz bis zum Tankdeckel. „Ich habe damals eine Lehre zum KfZ-Mechaniker bei Ford Hörbelt gemacht. Wenn da für mich Schicht war, ging es hier weiter“, blickt er zurück. Die Arbeit auf dem Hof des Vaters lohnte sich. „Hier habe ich nebenbei ordentlich verdient“, sagt er. Wenn ein Autobesitzer seinen Tank randvoll haben wollte, und es kostete 28 D-Mark, dann wurde aufgerundet. Zwei Mark Trinkgeld von einem Kunden. „Viel Geld damals“, sagt er. Ebenso wie es heutzutage alle Menschen sagen, die zu seiner Generation gehören.

Wie bei allen Zapfstellen ging es jahrelang zunächst wirtschaftlich nur bergauf. Die Zahl der Autos stieg und damit auch die der Tankstellen. An jeder größeren Straße standen irgendwann welche. An seinen Fingern zählt Jöken ab, dass es allein in Kleve vier Shell-Tankstellen gab. Jetzt gibt es nur noch seine. Braunes Gold wurde der Sprit während des Wirtschaftswunders genannt. Ende der 1960er-Jahre begann der Preiskampf. Herbert Jöken musste umliegende Tankstellen abklappern. „Ich habe notiert, was der Liter bei der Konkurrenz kostet, und musste die Ergebnisse nach Hamburg durchtelefonieren. Wir bekamen dann die Nachricht, ob wir den Preis erhöhen oder senken mussten.“

Mitte der 1970er-Jahre war der Job Tankwart wegrationalisiert. Die Mineralölkonzerne stellten auf Selbstbedienung um. Ebenso wie draußen die Zapfsäulen mehr wurden, wuchs auch das Angebot im Kassenraum. „Mein Vater saß noch alleine hinter einem Schreibtisch aus Holz und zog eine Schublade auf, wenn jemand zum Bezahlen rein kam“, sagt der 62-Jährige. Das Angebot beschränkte sich auf Motoröl und ein paar Falk-Stadtpläne, die heute keiner mehr zusammenfalten könnte. „Jetzt haben wir hier einen Supermarkt“, sagt Jöken und blickt sich um. Er hat nicht damit gerechnet, dass er einmal mit Dosenbier, Snickers und Hörzu mehr Geld verdient als mit dem Verkauf von Benzin. Jedoch hat er noch eine weitere Einnahmequelle: Regelmäßig lassen Unternehmen etwa für ihre Außendienstmitarbeiter die Fahrzeuge bei ihm aufbereiten.

 Blick auf die Tankstelle Ende der 1950er-Jahre. Drei Zapfsäulen, zwei Fahrzeuge und ein gerundeter gläserner Vorbau.

Blick auf die Tankstelle Ende der 1950er-Jahre. Drei Zapfsäulen, zwei Fahrzeuge und ein gerundeter gläserner Vorbau.

Foto: Janssen, Peter

Durch die Jahrzehnte hinter der Kasse und auf dem Hof hat Herbert Jöken verschiedenste Menschengruppen kennengelernt: biedere Familienväter, Typen mit längeren, gelockten Haaren und Manta oder Aufsteiger mit ihren Geländewagen, die mehr Sprit verbrauchen als ein in die Jahre gekommener Mannschaftsbus. Heute sind es junge BMW- oder Mercedes-Fahrer, wo er schon bei der Auffahrt weiß, dass sie ihr Reifenprofil auf dem Asphalt hinterlassen. „Das nervt mich auch. Aber was soll ich machen?“ Er zuckt mit den Achseln. Es kamen auch jene, die gar nicht tanken wollten. Rentner, die zunächst nach der Bild und dem Kicker fragten, bevor es dann hieß: „Hasste schon gehört…“ Jöken hat das verstanden. „Wenn es die Zeit hergab, habe ich mit jedem kurz erzählt. Das wird auch mir schon fehlen“, sagt er.

Am Samstag waren die Regale für die Übergabe leer geräumt. Der Klever sitzt in seinem kleinen Büro, das an den Verkaufsraum anschließt. Vier Monitore hängen über dem Schreibtisch. Sie zeigen das Geschehen an den Zapfsäulen. Er muss noch etwas Schriftliches erledigen. Dann ist die Zeit vorbei, in der er montags bis freitags jeweils 13 Stunden täglich arbeitete und samstags noch ein paar. „Das Privatleben blieb da auf der Strecke“, sagt er. Jöken hat zwei Kinder und eine neue Partnerin.

Eigentlich wollte der Klever mit 60 Jahren aufhören. Jetzt sind es zwei mehr geworden. Ihm wird in seinem neuen Lebensabschnitt wenig fehlen. Da ist er sich sicher. Vor allem nicht jene tausendfach gehörten Sätze wie: „Die drei und einmal Marlboro.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort